Kalblütiger Killer - epd medien

03.05.2025 07:36

Zwei 16-Jährige beobachten aus einer Waldhütte heraus einen dreifachen Mord. Doch weil der Täter zumindest einen von ihnen gesehen hat, schweigen die beiden über das, was sie gesehen haben. In der Thriller-Serie "Die Augenzeugen" müssen sie um ihr Leben fürchten.

ARD-Thriller-Serie "Die Augenzeugen" mit Nicolette Krebitz

Jan (Philip Günsch, vorne links) und Lukas (Marven Gabriel Suarez-Brinkert) haben einen Mord beobachtet. Im Hintergrund Killer Roman Berg (Lucas Gregorowicz) und Ermittlerin Helen Severin (Nicolette Krebitz)

epd Der Mann ist ein kaltblütiger Killer. Nach der Tat wäre sein unfreiwilliger Ausflug zur Waldhütte zumindest aus seiner Sicht bloß noch eine tödliche Anekdote gewesen, aber er ist beobachtet worden: Zwei Jungen haben gesehen, wie er drei Männer erschossen hat. Bevor er einen der beiden Zeugen beseitigen kann, wird er vom anderen niedergeschlagen, und nun beginnt eine Geschichte, die weitgehend ohne die üblichen Spannungsverstärker auskommt und trotzdem fesselt. Die Handlung verblüfft mehrfach durch unerwartete Knüller.

"Die Augenzeugen" basiert auf einer norwegischen Serie aus dem Jahr 2014, die international unter dem Titel "Eyewitness" gehandelt wurde (2015 lief sie auf Arte). Die deutsche Adaption (Buch: Jens-Frederik Otto, Anil Kizilbuga, Michael Vershinin) ist zwei Folgen kürzer, aber aufgrund der personellen Konstellation beeindruckend komplex. Die jugendlichen Mitwirkenden sind ausnahmslos sehr präsent und von Anna-Katharina Maier ausgezeichnet geführt. Dank der guten Geschichte kann es sich die Regisseurin leisten, dem Geschehen einfach zuzuschauen. Die Bildgestaltung von Holger Jungnickel hat hohes Niveau, erreicht jedoch nicht die Raffinesse der Drehbücher.

Ein liebevoller Familienvater

Für Spannung sorgen neben den manchmal fiesen Cliffhangern in erster Linie die gute elektronische Musik von Jaro Messerschmidt und Nik Reich sowie die Frage, ob und wie die Beteiligten heil aus der Sache rauskommen. Das gilt keineswegs nur für die beiden Jungen, Jan und Lukas (Philip Günsch, Marven Gabriel Suarez-Brinkert), sondern überraschenderweise auch für den Mörder, denn der von Lucas Gregorowicz als cooler Killer verkörperte Roman Berg entpuppt sich als liebevoller Familienvater.

Das ist ein echter Coup des Drehbuchs, aber auch die weiteren erwachsenen Figuren haben jeweils eine Besonderheit, die sie verletzlich und angreifbar macht. Das gilt vor allem für die zuständige Ermittlerin. Die Geschichte spielt im oberbayerischen Miesbach, die Gegend ist viel zu schön für skrupellose Gewalttaten. Helen Severing (Nicolette Krebitz) hat den Drogentod ihrer Schwester nicht verhindern können und sich vom Münchener Dezernat für Organisierte Kriminalität (OK) in ihre alte Heimat versetzen lassen, um sich um ihren 16-jährigen Neffen Jan zu kümmern, er und sein Freund Lukas sind die beiden Jungs, die sich in der Hütte zum ersten Mal näher gekommen sind und anschließend die Morde beobachteten. Bergs Tochter Hannah (Paulina Hobratschk) ist ihre Mitschülerin.

Ambivalente Figuren

Entsprechend groß ist das Risiko, dass sich die Augenzeugen und der vermeintliche Profikiller auf dem Schulgelände über den Weg laufen, zumindest Jan hat er gesehen. Die Hütte wiederum dient als Drogenversteck für die Münchener Rockerbande "Balkan Barbarians", mit der Helen während ihrer Zeit bei der OK regelmäßig zu tun hatte, ebenso wie mit dem Mafia-Boss Vincenzo Fontana (Michele Cuciuffo), dessen Tochter die ganze Sache überhaupt erst ins Rollen gebracht hat: Francesca (Julia Anna Grob), kaum älter als Hannah, hat sich unsterblich in Berg verliebt. Eigentlich hatten es die Rocker auf sie abgesehen, stattdessen ist der Geliebte im Kofferraum gelandet.

Wie nun eins zum anderen führt und die Handlung deshalb immer weitere Kreise zieht, ist hohe dramaturgische Kunst. Helen hat wenig Verständnis dafür, dass ihre Nachfolgerin (Lana Cooper) beim OK keine Lust hat, sich von der Vorgängerin in die Arbeit pfuschen zu lassen. Das Verhältnis von Tante und Neffe spielt ebenfalls eine wichtige Rolle.

Das besondere Merkmal der Geschichte ist jedoch die Ambivalenz der Figuren: Neben dem Mörder haben auch der als Vater gescheiterte melancholische Mafia-Boss sowie sogar der Rocker-Chef (Shenja Lacher) durchaus sympathische Momente. Am Ende bleiben einige Fragen offen, aber das stört nicht.

infobox: "Die Augenzeugen", vierteilige Thriller-Serie, Regie: Anna-Katharina Maier, Buch: Jens-Frederik Otto, Anil Kizilbuga, Michael Vershinin, Kamera: Holger Jungnickel, Produktion: Bantry Bay Productions (ARD-Mediathek/Degeto, seit 2.5.25, ARD, 3.5.25, 20.15-23.15 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 03.05.2025 09:36

Tilmann Gangloff

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Streaming, Kritik.(Frensehen), Serien, Maier, Otto, Kizilbuga, Vershinin, Gangloff

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