06.05.2025 08:44
WDR-Dokumentation zur Berichterstattung über Verbrechen
epd Aufmerksamen Zuschauerinnen und Zuschauern der "Tagesschau" wird es vermutlich aufgefallen sein: Im Vergleich zu ähnlichen Anschlägen wurde über die Amokfahrt in Mannheim Anfang März im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sehr wenig berichtet. Für die "Monitor"-Dokumentation "Volk in Angst: Wie mit Verbrechen Politik gemacht wird" hat das Recherche-Team rund um Redaktionsleiter Georg Restle, der zugleich Presenter der Reportage ist, nachgezählt und festgestellt: Der Anschlag in München war der "Tagesschau" fünf Berichte und einen "Brennpunkt" wert, der in Magdeburg acht Berichte und einen "Brennpunkt" - und der in Mannheim zwei Berichte ohne "Brennpunkt"-Sonderformat.
Trotz Hinweisen auf einen rechtsextremen Hintergrund, wie es im Film heißt, rangierte das Verbrechen mit dem deutschen Tatverdächtigen in der medialen Aufmerksamkeit also deutlich hinter den anderen Taten.
Trotzdem bleibt das Dilemma.
Daraus lässt sich freilich keine pauschale Aussage zur Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen ziehen, als Hinweis ist diese Auswertung aber vor allem mit dem im Anschluss folgenden Interview zwischen Restle und ARD-Chefredakteur Oliver Köhr beachtenswert. Köhr sagt wörtlich: "Das Problem ist natürlich, dass man mit der Berichterstattung über Verbrechen, die von Ausländern begangen werden, eine Debatte anheizt. Das ist nicht unbedingt die Berichterstattung, die die Debatte anheizt, sondern es sind interessierte Kreise, einzelne Parteien, einzelne Interessengruppen - und das ist natürlich dann ein Problem, da muss man genau hingucken."
Restle fragt, ob die Gefahr nicht groß sei, häufiger zu berichten, wenn die AfD besonders laut schreie. Köhr dazu: "Ich gebe zu, dass es passieren kann, dass, weil da so laut geschrien wurde, andere Medien draufspringen, andere Parteien draufspringen und sich dann Diskussionen ergeben, denen man sich irgendwann nicht mehr entziehen kann. Und dann kann man sagen, ist man vielleicht denen aufs Glatteis gegangen. Es ist aber nicht die Intention gewesen. Und trotzdem bleibt das Dilemma."
In den letzten Minuten der mit einer halben Stunde viel zu kurzen und wenig fokussierten Dokumentation blicken die Macher somit auf ein Kernproblem dieser Debatte, das auch der Untertitel - "Wie mit Verbrechen Politik gemacht wird" - anspricht: Wie sich Medien- und Politikbetrieb gegenseitig befeuern. Alleine, dass Chefredakteur Köhr meint, es sei "nicht unbedingt" die Berichterstattung, die eine Debatte weiter anheizt und dass sich auch die Öffentlich-Rechtlichen gewissen Diskussionen irgendwann "nicht mehr entziehen" könnten, wäre eine eigene Sendung wert.
Die Frage, wie mit laut herausgebrüllten politischen Forderungen auch und vor allem abseits von Anschlägen journalistisch umzugehen ist, hat durch die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" durch den Verfassungsschutz neue Aktualität und Brisanz gewonnen. Transparenz im Hinblick auf die eigene Berichterstattung wäre für öffentlich-rechtliche wie private Medienhäuser wichtig. Und auch wenn es die Aufmerksamkeitsökonomie anders verlangt - "Angst generiert Klicks, Quoten und Wählerstimmen", heißt es in der Doku -, bleibt es notwendig, hier stetig trockene Fakten entgegenzustellen, auch wenn dies manchen Politiker-Forderungen widersprechen mag.
Restle und das "Monitor"-Team leisten gewissermaßen eine Vorarbeit dafür, denn über weite Strecken beschäftigt sich "Volk in Angst" mit der Polizeilichen Kriminalstatistik, die bekanntermaßen oft falsch interpretiert und wenig hinterfragt zitiert wird.
Restle widmet sich unter anderem den Zahlen der Gewalt- und Sexualdelikte bei deutschen und nicht deutschen Mitbürgern und ordnet diese mit Experten und wissenschaftlichen Studien ein. Dies eröffnet dem Publikum einen neuen Blick auf die Statistik, wie auch der Besuch des Dortmunder Hauptbahnhofs oder einer schwäbischen Kleinstadt. Inwiefern diese Reportage-Ausflüge mitsamt Passanten-Befragung als journalistisches Stilmittel aber tatsächlich sinnvoll sind, bleibt fraglich. Denn mit dem "Nah-bei-den-Leuten"-Gefühl geht auch eine gewisse Verwässerung des Themas einher, da sich komplexe Debatten rund um die Migration - Erstaufnahme, Versorgung von Geflüchteten, wieso und in welcher Form entsteht Kriminalität - nicht auf einzelne Schauplätze übertragen und schon gar nicht dort austragen lassen.
"Volk in Angst: Wie mit Verbrechen Politik gemacht wird" ist für das Fernsehpublikum eine interessante Einordnung, für Medienschaffende eine Art Handreichung, die insgesamt jedoch deutlich zu kurz geraten ist, um den vielen Fragen gerecht zu werden. Die Sendung wirkt wie ein Sammelsurium verschiedener Anknüpfungspunkte, aus denen sich monothematische Beiträge basteln ließen, bringt aber auch für sich genommen einen Erkenntnisgewinn.
infobox: "Monitor: Volk in Angst. Wie mit Verbrechen Politik gemacht wird", Dokumentation mit Georg Restle, Regie und Buch: Georg Restle, Mareike Wilms, Kamera: Olaf Eibeck, Stephan Neuhalfen (ARD/WDR, 24.4.25, 21.45-22.15 Uhr, ARD-Mediathek, seit 24.4.25)
Zuerst veröffentlicht 06.05.2025 10:44
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KWDR, Restle, Hechler, Wilms
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