07.05.2025 07:54
Die Paramount-Serie "Parallel Me" spielt mit der Frage "Was wäre, wenn?"
epd Heute hier, morgen dort - das Leben von Antonia Falk (Malaya Stern Takeda) ist eine einzige atemlose Hetze durch die Welt. Wer sie ist, weiß sie schon lange nicht mehr, und zu Hause in Berlin lässt sie sich kaum blicken. Schlimmer: Die "Change Managerin" weiß zu Beginn der Serie "Parallel Me" nicht einmal mehr, in welcher Stadt sie sich gerade befindet, welchem Kunden sie Vorschläge unterbreitet oder um welches Projekt es sich handelt.
Im Grunde ist es auch egal. Die Vorschläge sind immer gleich: Prozessoptimierung, Veränderung des Arbeitsumfelds und der Firmen-Mentalitäten, darin ist sie spitze. Andererseits hat sie, trotz Turbokraft, mit Ende 20 schon einen Burnout gehabt und ein neuer kündigt sich an. Konservativen Scheichs den Konsum von Tabakerzeugnissen als Ersatz für das Saugen an der Mutterbrust verkaufen zu wollen, das ist selbst für Tonis aalglatten Chef Kai (Golo Euler) zu viel. Sie fliegt.
In der ersten von acht sehr bunten, vor Einfällen schier berstenden Folgen der Serie ist Antonia, heruntergeschubst von der Überholspur, plötzlich arbeitslos. Ausgerechnet am Silvesterabend, der für sie, eben heimgekehrt nach Berlin, noch mehr unangenehme Überraschungen bereithält. Ihre stockkonservativen Eltern Selma und Thomas Falk (Caroline Peters und Ulrich Noethen) und ihr einfallsloser Bruder Leon (Theo Trebs) mit seiner Frau Emma (Antonia Bill) planen ein langweiliges Fest, bei dem Toni als Vorzeigetochter die ihr zugedachte Rolle spielen soll.
Tonis Zimmer in der elterlichen Villa ist ausgeräumt, dort ist nun eine Sauna. Ihre beste Freundin Bea Laverde (Larissa Sirah Herden) reagiert kühl auf Toni, die sich nie gemeldet hat. Ihre Jugendliebe Jonas Dunkel (David Kross) taucht zwar plötzlich auf Beas Party auf, hält jedoch das Bild seiner Tochter in der Hand und ist vermutlich in einer Beziehung. Chance vertan. Und nicht nur diese.
"Parallel Me" zeigt das alte Dilemma der Moderne, zentrales Motiv aller Bildungsromane: Wie werde ich, wer ich bin, wenn das Ich zahlreiche Wege der Entwicklung gehen kann und das Ergebnis wie ein bloßer Zufall anmutet? Wenn sich Lebenszeit, Eigensinn und Umwelt nicht mehr durch Schicksal oder Vorsehung fügen, sondern sich mein Leben durch eigene Entscheidungen mal hierhin, mal dorthin bewegt?
Wir leben ständig "Tür an Tür mit einem anderen Leben", so der Titel eines Buchs von Alexander Kluge. Was, wenn all die Alternativleben, die man notgedrungen als ungenutzte Optionen aufgibt, plötzlich zugänglich wären? Aus dieser Frage hat das Team um Ideengeberin und Hauptautorin Jana Burbach und Felix Binder eine großartige, schauspielerisch und visuell hervorragende Serie gemacht, in der sich erzählerische Oberflächenreize und Tiefgang nicht nur die Waage halten, sondern aufs Schönste befeuern. Immer wieder gibt es den einen überraschenden Twist mehr, der die Zuschauer-Erwartungen auf den Kopf stellt und Handlung und Reflexionspotenzial noch einmal in eine ganz andere Richtung lenkt.
Erst einmal freilich zieht sich Toni, von Malaya Stern Takeda eindrucksvoll gespielt, zum Ende der ersten Folge heulend in die Storage Box eines Lagerhauses zurück, in das ihre Eltern all ihre persönlichen Sachen geschafft haben: Fotos, Relikte ihrer Jugend, ihre Geschichte. Dort erscheint ihr plötzlich Ariadne (Maria Schrader), die mit dem Faden und dem Labyrinth des Minotaurus auf Kreta. Sie schenkt Toni einen bunten Schal mit losem Ende und ein paar rätselhafte Informationen. Wenn sie am Faden zieht, fällt sie in ein anderes Leben. Freilich nicht zurück an die Wendepunkte ihres Lebens, sondern in ein zeitgleiches Dasein. Denn es gibt viele Alternativversionen von Toni in Paralleluniversen. Viele Tonis, die durch andere Türen gegangen sind.
Nun greift "Parallel Me" voll in die Trickkiste des Storytelling. Wir erleben die Hauptfigur mit Bea als Surflehrerin auf Bali. Der Aussteigertraum - wäre da nicht Kai als Investor, der sein Geld in Tonis heimlich entworfene Luxusferienanlage stecken will. In einem anderen Leben landet Toni als Dealerin in Berlin, als zugedröhnte Dramaqueen und Freundin eines fragwürdigen Club-Türstehers. Mal betreibt sie eine Alpaka-Farm für Gestresste. Mal hat sie Jura studiert und ist Karriereüberfliegerin. Immer wieder taucht Jonas auf, für dessen Heiratsantrag sie sich einst zu jung fand, und sie erleben die unterschiedlichsten Formen von Beziehungen.
"Parallel Me" ist keine einfache Zeitreisegeschichte. Die Serie macht glaubwürdig Ernst mit der mal schönen, mal erschreckenden Vorstellung alternativer Existenzen. Sie erhält ihre mitreißende Dynamik und Komik vor allem dadurch, dass die jeweils neu in ihre verschiedenen Leben geplatzte Toni keinen Plan hat, wer sie gerade ist, was sie für gewöhnlich tut, in welcher Beziehung zu ihr ihre immer wieder in verschiedenen Rollen auftretenden Lebensmenschen, Freunde und Familie, stehen.
Denn nicht nur Toni, auch die anderen sind jeweils anders abgebogen. Großartig ist Caroline Peters als Tonis überkontrollierende Musikmanagerin-Mutter in Bangkok, großartig sind Larissa Sirah Herdens Laid-Back-Surferinnen-Vibes. Auch die Mehrsprachigkeit, in der sich die Figuren bewegen, ist überzeugend. Am Ende weiß Toni, was sie will, und Ariadne überzeugt sie, dass dies ein Anfang sein kann, Ausgangspunkt für viele andere Anfänge.
Mehr soll nicht verraten werden. Wo andere Serien ihr Ideenfeuerwerk in einen Erzählstrom münden lassen, gelingt "Parallel Me" ein fruchtbares Delta.
infobox: "Parallel Me", achtteilige Serie, Regie: Felix Binder, Vanessa Jopp, Sebastian Sorger, Buch: Jana Burbach, Dilan Gezaza, Mireya Heider de Jahnsen, Fabian Wallenfels, Brix Koethe, Sonja Heiss, Kamera: Marcus Kanter, Steven Priovolos, Claire Jahn, Produktion: Gaumont (Paramount+, seit 26.4.25)
Zuerst veröffentlicht 07.05.2025 09:54
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Streaming, Serien, Binder, Jopp, Sorger, Burbach, Gezaza, Heider de Jahnsen, Wallenfels, Koethe, Heiss
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