09.05.2025 08:10
SWR-Hörspiel nach einer Erzählung von Edgar Allan Poe
epd Im Genre Hörspiel kann der Rundfunk von sich selbst träumen wie sonst nirgends: Da wird fast Vergessenes und Totgeglaubtes aus dem Archiv geholt, entstaubt, fragmentiert und in neuem Arrangement zur Wiedervorlage gebracht. Kunstvoll delirierend fragt so ein Hörspiel dann: Kann der ganze alte Kram, der einst die Gesellschaft und die eigene Biografie so machtvoll prägte, so kurz vor dem Untergang noch etwas zur Schmerzlinderung beitragen? Heute, in Zeiten wachsender Feindschaft gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
In Walter Filz’ "Der Untergang des Hauses" begibt sich ein Erzähler hoch zu Ross und auf Einladung eines alten Jugendfreundes zu dessen abgelegener Wohnstatt. Dieser Freund lebt, dem Wahnsinn nah, als letzter Spross eines alten Adelsgeschlechts in seinem von Verfall bedrohten Schloss. Schon auf dem Weg umwehen den Erzähler Mitschnitte aus alten Radio- und Fernsehsendungen. Sei es die Erkennungsmelodie der "Sesamstraße" ("Der, die, das, wer, wie, was") oder die strenge Männerstimme des "Tagesschau"-Wetter-Ansagers in den 80ern.
Was Programmverantwortliche dem Publikum intellektuell zugemutet haben!
Für Menschen ab 40 - und auch für den Erzähler - klingen diese Fragmente vertraut und unheimlich zugleich. Es sind Geisterstimmen, freundlich, aber ihrer Relevanz enthoben: Ansagerinnen kündigen mit beflissenem Bildungsauftrags-Duktus Louis-de-Funès-Filme an, die absurde Titel tragen wie "Hasch mich - ich bin der Mörder"; oder sie stellen gut gelaunt eine Schlagersendung mit Carolin Reiber in Aussicht. Sie entschuldigen sich bei den "sehr verehrten Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen" für kurzfristige Programmänderungen und machen mit hörbar verklemmtem Augenzwinkern auf eine Seitensprung-Komödie Appetit.
Dazwischen äußern sich "sozusagen" Philosophen wie Odo Marquard oder Rolf-Peter Horstmann über Aspekte von Hochkultur, Unbehagen und Apokalypse, Jürgen von der Lippe witzelt sich derweil durch sexistische Untiefen. Aus heutiger Sicht wirkt manches ziemlich piefig, dennoch rührend - und mitunter auch rührend anspruchsvoll. Was Programmverantwortliche da dem Publikum intellektuell zugemutet haben! Man könnte fast weinen.
Filz montiert diese Ausschnitte mit Auszügen aus Edgar Allan Poes Erzählung "Der Untergang des Hauses Usher". Dieses Haus ist unschwer als Sendeanstalt zu erkennen, zugleich aber traumartig verrutscht und verrückt in die nebligen Sphären Poes. So spielt schon der elegant unvollständige Titel auf das Prinzip der Kürzung an. Sylvester Groth spricht Poes Sätze mit melancholischer, von untergründigem Missbehagen beschwerter Müdigkeit, als gelte es, sich einerseits wissend auf eine hoffnungslose Mission zu begeben, andererseits trotzdem wachsam zu sein. Geht es bei Poe nicht auch mal um Blutsauger und lebendig Begrabene? Um Schockstarre und plötzliches Auftauchen des Endgegners?
Das ist ein schönes Paradox und zeugt von Witz: Walter Filz, bis März Leiter der Abteilung "Künstlerisches Wort" beim SWR, erzählt hier kaum verklausuliert von einer auf wackeligem Grund gebauten, durch einen Riss gezeichneten Institution; einer Institution, die sich aber offenkundig noch immer solche schaurig schönen Bildungsträume leistet und leisten will. So tot ist sie also nicht.
infobox: "Der Untergang des Hauses", Hörspiel, Regie und Buch: Walter Filz nach einer Erzählung von Edgar Allan Poe (SWR Kultur, 1.5.25, 18.20-20.00 Uhr und in der ARD-Audiothek, seit 30.4.25)
Zuerst veröffentlicht 09.05.2025 10:10
Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), Hörspiel, KSWR, Filz, Poe, Lutz
zur Startseite von epd medien