Eine Radiosendung als Medienereignis - epd medien

09.05.2025 14:14

Die Sendung "Wer weiß, wer kennt" des Jerusalemer Radiosenders Kol Yerushalayim half Juden in Israel nach 1945, überlebende Verwandte in aller Welt wiederzufinden. Ein RBB-Hörspiel rekonstruiert die Sendung, die in Israel zum Familienritual wurde.

Hörspiel "Wer weiß, wer kennt" erzählt israelische Mediengeschichte

Das Radio als Ort der kollektiven Erinnerung, Trauer und Hoffnung

epd Schon vor der Gründung des Staates Israel unterstützten die Jewish Agency und ihr Chef Shlomo Eisenberg eine Sendung beim Jerusalemer Radiosender Kol Yerushalayim: "Wer weiß, wer kennt". Dort hielten nach Israel davongekommene Juden nach ebenfalls noch überlebenden Verwandten Ausschau, auf der Grundlage von etwa einer halben Million Dokumenten und ständigen weiteren Einzelanfragen. "Das Amt für Verwandtensuche erreichten Nachrichten und Grußbestellungen von Verwandten und Freunden aus dem Land und aus der Welt": So einladend begann jeweils die berühmte Radiosuche, die damals nach Verfolgung und Holocaust punktuell zu einem Ort der Begegnung, Erinnerung, Trauer und Hoffnung wurde.

Nun, 80 Jahre nach dem Krieg, haben die beiden radioerfahrenen Autoren Noam Brusilovsky (Jahrgang 1989) und Ofer Waldman (Jahrgang 1979) mit "Wer weiß, wer kennt" Ausschnitte aus der wechselseitigen Suche von Verwandten seit Beginn der Befreiung Europas von Krieg und Naziherrschaft rekonstruiert. In der Sendung ruft eine in Variationen wiederholte Musterszene ein Familienritual vor Augen, bei dem Kinder aus der Schule kommend erleben, wie zu Hause ihre Großfamilie bei Tisch sitzt, isst und sich gerade in die legendäre Sendung vertieft: Alle diese könnten meine Familie sein, so erleben die Kinder hier intensiv den Zusammenhalt.

Gebanntes Publikum

Plötzlich rücken Anfrageorte wie Königsberg oder Lodz, Amsterdam oder New York in ihre Nähe. Tatsächlich geht es hier nicht um eine Trefferquote. Es geht darum, Möglichkeiten oder Lösungen zu testen. So finden vielleicht nur selten Gesuchte und Suchende zusammen. Jedenfalls macht das Hörspiel dazu keine Angaben. In der Sendung finden sich immerhin eine Mutter und ihre jahrelang vermisste Tochter in Israel, überglücklich über ihr Zusammenkommen über das Radio.

In ihrer großen Produktion "Adolf Eichmann - Ein Hörprozess" (RBB), die 2021 nach Akten und Unterlagen ein Re-Enactement der im Radio übertragenen Gerichtsverhandlung gegen Eichmann in Jerusalem inszenierte, untersuchten Brusilovsky und Waldman bereits, welche Wirkung der monatelange Prozess im Radio auf das Land Israel hatte. Diesmal nun vergegenwärtigen die Autoren, wie die Radiosendung "Wer weiß, wer kennt" regelmäßig ein gebanntes Publikum anzog, wie sie rundum das Familienleben und die Atmosphäre von Straßen und Arbeitsplätzen veränderte.

Kluge Inszenierung

Vielperspektivisch rekapituliert das Hörspiel zudem die Bedeutung des Medienereignisses für Israels Zusammenhalt, aber auch die Wirkung auf einzelne Trauernde und Traumatisierte, die auflebten, da ihre persönlichen Leiden plötzlich öffentlich geteilt wurden. Tiefensondierungen zu Israels Vorgeschichte und Selbstverständnis sind die wichtigste Errungenschaft der Verwandtensuche im Radio. Lässig werden sie im Hörspiel jetzt ergänzt durch eine weitere Montage-Ebene, die verschiedene Publikumsreaktionen auf die damaligen Radiosendungen einbezieht und damit nebenbei - etwa beim kindlichen Versteckspiel - das Panorama einer vielgestaltigen israelischen Gesellschaft verschiedener Herkunft skizziert.

"Wer weiß, wer kennt" ist klug inszeniert. Das große Büro, souverän geleitet von Mitarbeitern mit Übersicht wie der allgegenwärtigen Leiterin (Kathrin Störmer), die alles Planbare erreicht, sich sonst aber der oft chaotischen Realität stellt.

Am Ende der Sendung kommt der Autor Ofer Waldman zu ihr ins Archiv mit einem Antrag auf Verwandtensuche. Und siehe da, die Waldmans erscheinen auf dem Bildschirm: der 1924 erstmals eingewanderte Großvater, der 1936 mit seiner Frau zurückkam, 1942 wurde Waldmans Vater geboren. Erstaunlich nur, dass noch weitere Gleichnamige auftauchen, von denen der Autor nie gehört hat. Eines ist sicher: Ofer Waldmans Herkunftsfamilie väterlicherseits stammt aus einem für die deutschsprachige Literatur legendären Ort, aus Czernowitz.

infobox: "Wer weiß, wer kennt". Das Amt für Verwandtensuche. Dokumentarisches Hörspiel von Noam Brusilovsky, Ofer Waldman, Regie: Noam Brusilovsky (RBB Radio3, 4.5.25, 16.03-17.00 Uhr und in der ARD-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 09.05.2025 16:14

Eva-Maria Lenz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KRBB, Hörspiel, Brusilovsky, Waldman, Lenz

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