15.05.2025 07:40
Dokumentation "Das Nazi-Kartell" bei Sky
epd Nach Kriegsende tauchten zahlreiche hochrangige Nazis in Südamerika unter, darunter Adolf Eichmann und Josef Mengele. Die politische Connection zwischen deutschen Militaristen und lateinamerikanischen Staaten bestand aber schon vor dem sogenannten Dritten Reich. Bereits 1929/30 bildete der spätere SA-Chef Ernst Röhm mit seinem mörderischen Knowhow die bolivianische Armee aus. Dass ein weiterer Nazi-Kriegsverbrecher, der als "Schlächter von Lyon" bekannte Klaus Barbie, nach Bolivien floh und dort nicht nur Urlaub machte, ist schon länger bekannt.
In seiner Hochglanz-Dokumentation "Das Nazi-Kartell" zeichnet Justin Webster mit einer Fülle von Zeitzeugen nach, wie Klaus Altmann (so Barbies Deckname) maßgeblich mitwirkte am Militärputsch vom 17. Juli 1980, der dem grausamen Diktator García Meza den Weg ebnete. Damit wurde in Bolivien auch der erste "Narco-Staat" in Südamerika installiert: Mezas Militärregierung kooperierte mit Drogenhändlern und Geheimdiensten, um das gesamte Land zu einer Produktionsstätte für illegale Betäubungsmittel zu machen.
Klaus Barbie, als Geheimdienstkoordinator und Oberstleutnant ehrenhalber ausgestattet mit einer "Lizenz zum Töten", protegierte den bolivianischen Geschäftsmann Roberto Suárez. Bis ihm das kolumbianische Medellín-Kartell, das Suárez zunächst auch belieferte, den Rang ablief, galt dieser als mächtigster Drogenhändler Südamerikas.
In der komplexen dreistündigen Dokumentation, an der auch Christian Bergmann, David López Canales und Catherine Morawitz mitwirkten, verknüpft Justin Webster recht heterogene Erzählstränge. Weil Roberto Suárez die gesamte Bevölkerung in seine Kokain-Produktion einspannte und dadurch das Land aus der Armut herausführte, wurde er in Bolivien wie ein Messias verehrt. Kehrseite der Medaille war die grausame Ermordung zahlreicher linker Oppositioneller durch Barbies paramilitärische Eingreiftruppe, die sogenannten Verlobten des Todes (Novios de la Muerte), in der sich auch ehemalige SS-Leute als Söldner verdingten.
Ergänzt wird die Geschichte durch weitere Recherche-Puzzlestücke. So zitiert die Dokumentation Ausschnitte aus Brian de Palmas blutrünstigem Drogen-Thriller "Scarface". Die dort auftretende Figur des bolivianischen Drogenhändlers Alejandro Sosa (gespielt von Paul Shenar), der für die von Al Pacino verkörperte Titelfigur als Lieferant fungiert, ist von Roberto Suárez inspiriert.
Die Verflechtung zwischen Nazi-Kartell und Miami Vice wird ausführlich kommentiert durch die Darlegungen von Michael Levine, der als verdeckter Ermittler der US-amerikanischen Drug Enforcement Administration (DEA) Roberto Suárez zur Strecke bringen sollte. Dass diese Mission scheiterte, führt Levine zurück auf die Kollision zwischen den Interessen der DEA und der US-amerikanischen Außenpolitik. Durch verdeckte Interventionen der CIA wurde offenbar das Terror-Regime von García Meza gestützt, um eine Machtergreifung der Kommunisten in Bolivien zu verhindern. Nahm der amerikanische Geheimdienst somit billigend in Kauf, dass die USA von Drogen überschwemmt wurden?
Die Dokumentation bereitet diese Erzählstränge multiperspektivisch auf. Die Erzählungen der Zeitzeugen werden szenisch so dargestellt, als wäre seinerzeit eine Spielfilm-Kamera zugegen gewesen. So ist aus der Perspektive einer linken Oppositionspolitikerin, die sich unter einem Bett versteckt, zu sehen, wie Barbies SS-Schlächter einen ihrer Genossen meuchelt, der vor ihren Augen zu Boden fällt. Zudem zitiert der Dreiteiler authentische Video-Aufzeichnungen, deren schummerige Ästhetik in aufwendigen Nachinszenierungen mit unscharfen Bildern imitiert wird. Auch Ayda Levy, die Ehefrau von Roberto Suárez, kommt zu Wort: in authentischen Tonbandmitschnitten ebenso wie mit einer KI-generierten Stimme.
In dieser verschachtelten Rekonstruktion verliert man manchmal den Überblick. Bei dem Versuch, die zahlreichen Quellen und Zeitzeugen filmisch zu vernetzen, entsteht ein stellenweise unübersichtliches Mosaik. Dennoch ist "Das Nazi-Kartell" eine thematisch ungewöhnliche, spannend inszenierte True-Crime-Dokumentation, die zwischen historischer Aufarbeitung und Verschwörungserzählung changiert. Der Geschichte Klaus Barbies, dessen Auslieferung nach Frankreich im Jahr 1983 als bekannt vorausgesetzt wird, fügt der Dreiteiler einige wichtige Aspekte hinzu.
infobox: "Das Nazi-Kartell", dreiteilige Dokumentation, Regie: Justin Webster, Buch: Christian Bergmann, Justin Webster, David López Canales, Catherine Morawitz, Kamera: Alexander Gheorghiu, Jenny Lou Ziegel, Produktion: Kundschafter Filmproduktion, Mobydok (Sky Documentaries, 15.5.25, 21.00-23.30 Uhr, WOW, seit 15.5.25)
Zuerst veröffentlicht 15.05.2025 09:40
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Streaming, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KSky, Dokumentation, Webster, Bergmann, López, Morawitz, Barbie, Riepe
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