Wenn Oskar Schindler "lebendig" wird - epd medien

16.05.2025 08:04

Für die Sendereihe "Deepfake Diaries" in der ZDF-Mediathek verwandelt die Redaktion von "Terra X History" Schauspieler mithilfe von Künstlicher Intelligenz in historische Persönlichkeiten wie Oskar Schindler oder Rosa Luxemburg. Manfred Riepe hält dies für digitale Augenwischerei.

Das ZDF perfektioniert das Histotainment

Für "Deepfake Diaries" wurde ein Schauspieler mithilfe Künstlicher Intelligenz in Oskar Schindler verwandelt

epd Kann eine ausdrückliche Fälschung der Vermittlung geschichtlicher Fakten dienlich sein? Dieses paradox anmutende Kunststück verspricht eine neue dokumentarische Reihe aus der ZDF-Redaktion "Terra X History" bereits im Titel. Basierend auf Tagebüchern werden die Geschichten von Oskar Schindler und anderen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte noch einmal erzählt - mit der Kennzeichnung "Deepfake". Dieser Anglizismus wird im Sprachgebrauch nicht mehr übersetzt. Er entspricht einem Kunstwort, das den Begriff "Deep Learning" (also eine Methode des maschinellen Lernens mit "tiefen" neuronalen Netzen) mit dem "Fake" verknüpft. Sollen wir also mit einer nicht mehr erkennbaren Täuschung für dumm verkauft werden? Rubrik: Meinung und Analyse

Gewiss, die Täuschung, der "Fake", wird zu Beginn jeder der fünf Episoden von "Deepfake Diaries" transparent gemacht. Vor schwarzem Hintergrund setzt sich ein Schauspieler auf einen Ledersessel und beginnt zu sprechen. "Mein Name ist ..." Während seiner Rede verwandelt sich die Physiognomie des Darstellers zu einem Avatar, zum Beispiel jenes Oskar Schindler, der heldenhaft 1.200 Juden vor der Ermordung im Konzentrationslager rettete. Mittels Künstlicher Intelligenz (KI) wurde auch die Stimme des Schauspielers so manipuliert, dass sie klingt wie die Stimme Schindlers in Fernsehinterviews des Hessischen Rundfunks aus dem Jahr 1965.

Gibt es eine Ethik des Fälschens?

Neu ist diese Technik nicht. Tools wie Lyrebird machten Voice-Cloning ab 2019 so einfach, dass damit schwerwiegende Betrügereien begangen wurden. Um diese Zeit entstand auch ein viral gegangenes Video der israelischen Firma Canny AI: Donald Trump, Barack Obama und andere Persönlichkeiten sangen im Chor John Lennons "Imagine". Täuschend echt, dank KI-basierten Gesichtsanimationen.

Inzwischen sind diese Tools in den Fernsehredaktionen angekommen. Damit wird erneut die Frage aufgeworfen, ob es eine Ethik des Fälschens gibt. Darüber wird schon lange gestritten - spätestens seit Guido Knopp, damaliger Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte, 1998 in der zweiten Staffel der dokumentarischen Historien-Reihe "Hitlers Helfer" den KZ-Arzt Josef Mengele durch einen Komparsen darstellen ließ. Der Mengele-Darsteller selektierte an der Rampe von Auschwitz mit weißen Handschuhen und mit fließenden Handbewegungen. Zeitzeugen hätten dies so berichtet, sagte Knopp. Und deswegen seien diese Nachinszenierungen legitim. Er bezeichnete sie gar als "szenisches Zitat".

Wenn nun also der digitalisierte Oskar Schindler mit original anmutender Stimme und verblüffend authentischer Mimik zu uns spricht, als sei er geklont worden: Geht mit diesem Deepefake Guido Knopps Traum endlich in Erfüllung? Wird Geschichtsfernsehen bald aussehen wie eine Live-Übertragung aus der Vergangenheit?

Digitale Augenwischerei

Mit diesem digital gefakten Material, betont das ZDF, gehe die Redaktion verantwortungsvoll um. "Alle Folgen", so der Pressetext zu "Deepfake Diaries", "wurden von wissenschaftlichen Fachberatern begleitet, darunter ist auch der Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz". Um junge Menschen für historische Themen zu interessieren, "braucht es neue Formen der Vermittlung", sagt der renommierte Wissenschaftler: "Mit digitalen Formaten sind sie am besten erreichbar, deshalb freue ich mich, dass mit den 'Deepfake Diaries' Akteure wie Oskar Schindler oder Georg Elser wieder 'lebendig' werden und die Möglichkeit haben, sich unmittelbar mitzuteilen."

Was versteht der Historiker darunter, dass Schindler "lebendig" wird und "sich unmittelbar mitteilt"? Ist das nicht ein semantischer Deepfake? Oskar Schindler, so viel ist sicher, wird in dieser Doku keineswegs "lebendig". Er wird gefakt, wie in einem Videospiel. Was bringt diese digitale Augenwischerei? Welchen Mehrwert hat sie gegenüber einer dokumentarischen Erzählung, die Quellen und Dokumente präsentiert, zitiert und zuordnet? Ob es dem ZDF um mehr geht als die Perfektionierung von Histotainment wird der künftige Umgang mit der Deepfake-Technik zeigen.



Zuerst veröffentlicht 16.05.2025 10:04

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Internet, KI, ZDF, Geschichtsfernsehen, Riepe

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