17.05.2025 08:10
ARD-Dokudrama "Stammheim - Zeit des Terrors"
epd Wenn es um die Einhaltung von Vorschriften geht, kann Andreas Baader pedantisch sein: Mit einem Zollstock misst er genau die 15 Meter Abstand ab, die der Wachmann einhalten muss, um die vier inhaftierten RAF-Mitglieder am Gemeinschaftstisch vor ihren Zellen in Stuttgart-Stammheim nicht belauschen zu können. Es ist auch ein Akt der Demütigung. Für das exakte Messen "seid ihr doch viel zu blöde", ätzt Baader, schleppt seinen tragbaren Fernseher herbei, baut ihn vor dem Wachmann auf und schaltet ihn ein. Gerade läuft "Die Sendung mit der Maus". "Kannste noch was lernen", höhnt Baader, den Henning Flüsloh in "Stammheim - Zeit des Terrors" ohne Stilisierung oder Überhöhung spielt, weder als terroristisches Monster noch als verführerischen Guerillakämpfer.
Das Dokudrama von Stefan Aust und Niki Stein erzählt nicht zuletzt von der Verachtung, mit der die Angeklagten das Wachpersonal behandeln. Dagegen steht der gutmütige Vollzugsbeamte Horst Bubeck (Moritz Führmann), der nur widerwillig die Zwangsernährung durchführt und Ulrike Meinhof (Tatiana Nekrasov) eine warme Jacke empfiehlt, damit sie beim "Hofgang" auf dem Dach nicht friert. Die moralische Differenz ist offenkundig, der gerne erhobene Foltervorwurf erscheint absurd.
Dass die RAF-Terroristen bei ihren Anschlägen auch den Tod von Fahrern, Polizisten und Botschaftsangehörigen in Kauf nahmen, daran erinnert die begleitende SWR-Dokumentation "Im Schatten der Mörder - Die unbekannten Opfer der RAF" (ebenfalls ab 17. Mai in der ARD-Mediathek) von Holger Schmidt und Thomas Schneider.
Bekanntlich ist das Dokudrama "Stammheim - Zeit des Terrors", das drei ARD-Sender zum 50. Jahrestag des Prozesses gegen Baader, Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe bei Spiegel TV in Auftrag gegeben hatten, nicht das erste Werk von Stefan Aust zum Thema. In seinem Sachbuch "Der Baader-Meinhof-Komplex" arbeitete er bereits vor 40 Jahren umfassend die Entstehung und frühen Jahre der RAF auf. Uli Edel (Regie) und Bernd Eichinger (Drehbuch) verfilmten den Bestseller 2008 als krachendes Action-Kino. Aust, der als junger Journalist selbst gegen den Springer Verlag demonstriert und wie Ulrike Meinhof für "Konkret" gearbeitet hatte, war als Berater mit an Bord. Im Lauf der Jahrzehnte wirkte der Journalist, der von 1994 bis 2008 "Spiegel"-Chefredakteur war, an verschiedenen TV-Dokumentation mit. 2013 landete er beim Springer Verlag, bei dem er bis Ende 2024 als Chefredakteur und Herausgeber der rechtskonservativen "Welt" tätig war.
Und dann gibt es da noch den anderen "Stammheim"-Film von Reinhard Hauff, der bereits 1986 Premiere hatte und den Goldenen Bären bei der Berlinale gewann. Das Drehbuch schrieb auch damals schon Stefan Aust, der die Protokolle des 192 Tage dauernden Prozesses als Grundlage für ein semidokumentarisches Gerichtsdrama nutzte. Der Film - mit dem jungen Ulrich Tukur als aufbrausendem Baader - sparte die ausschweifenden politischen Vorträge der Angeklagten nicht aus und dokumentierte auch die Beugungen des Rechtsstaats im Kampf gegen die RAF. Die öffentlich-rechtlichen Sender mochten sich lieber nicht an der Produktion beteiligen.
Der Prozess selbst wird im aktuellen Werk von Aust und Stein nur mit markanten Zitaten der Angeklagten vor Gericht skizziert. Die Justizvollzugsanstalt in Stammheim, wo eigens für den Prozess ein Gerichtsgebäude gebaut wurde, ist in diesem Kammerspiel eine Art doppelte Festung. Hier leben Häftlinge, die sich in ihrer Ideologie eingemauert haben, hinter den Mauern des für sie abgeriegelten Zellentrakts. Der Film erzählt, wie sie den Kampf gegen den Staat fortzusetzen versuchen und auf Befreiung durch die Genossen draußen hoffen. Wie sie in den Hungerstreik treten und zwangsernährt werden. Wie sie sich kettenrauchend am Tisch über Strategiepapiere beugen oder einzeln mit Vertretern des Staates verhandeln.
Zwei Frauen und zwei Männer, die die Illusion aufrechterhalten, sie könnten die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Aktionen gegen den Staat mobilisieren. Und die sich in einem letzten, selbstzerstörerischen Akt des Widerstands Kugeln in den Kopf jagen und am Fenstergitter erhängen.
"Unser Anspruch ist, der RAF und ihren Protagonisten so nahezukommen, wie das noch kein Film vorher versucht hat."
Stammheim war damals auch das Symbol für einen hochgerüsteten Staat, der im Kampf gegen die RAF Bürgerrechte einschränkte. Die Spielszenen "basieren auf Protokollen, Kassibern (heimliche Nachrichten der Gefangenen) und Erinnerungen handelnder Personen", heißt es im ARD-Presseheft. Auch die Befragungen Bubecks und anderer Personen vor dem Untersuchungsausschuss zu den Umständen des Todes von Baader, Ensslin und Raspe in Stammheim hat Regisseur Niki Stein in grobkörnigen Bildern in Spielszenen einbezogen. Ausschnitte aus Fernsehnachrichten oder Radioreportagen, die von den dramatischen Ereignissen zwischen April 1974 und dem "deutschen Herbst" 1977 zeugen, sorgen für ein Mindestmaß an Grundverständnis.
"Unser Anspruch ist, der RAF und ihren Protagonisten so nahezukommen, wie das noch kein Film vorher versucht hat", wird Regisseur und Co-Autor Niki Stein im ARD-Presseheft zitiert. Erst einmal stellt sich jedoch das Gefühl umfassender Fremdheit ein. Gedreht wurde am Originalschauplatz. Das verleiht zwar den Spielszenen einen authentischen Rahmen, aber die historische Distanz ist mittlerweile enorm, zumal die Demokratie aktuell eher von Rechtsaußen unter Druck gesetzt wird.
Viele Anschläge, die Mitglieder der zwischen 1970 und 1998 aktiven RAF verübten, sind freilich nicht vollständig aufgeklärt. Vor dem Oberlandesgericht Celle wurde Ende März der Prozess gegen Daniela Klette eröffnet, weitere ehemalige RAF-Mitglieder sind immer noch auf der Flucht.
Die manchmal unklare Faktenlage bietet immer noch Gelegenheit zur Mythenbildung, an der sich am Schluss auch dieses Dokudrama ein Stück weit beteiligt. Eine eingeblendete Schrifttafel lautet: "Ob die Zellen in dieser Nacht abgehört wurden, ist bis heute umstritten. Die zuständigen Behörden bestreiten das." Hätten "die Behörden" abgehört, hätten sie womöglich davon gewusst, dass sich Baader, Ensslin, Raspe und Ingrid Möller nach der Befreiung der Geiseln aus der Lufthansa-Maschine "Landshut" in Mogadischu am 18. Oktober 1977 selbst töten wollten. So hätte der Staat die Häftlinge zwar nicht ermordet, wie die RAF und ihre Sympathisanten behaupteten, aber die Selbstmorde geschehen lassen. Ingrid Möller überlebte als einzige, Ulrike Meinhof hatte sich bereits am 9. Mai 1976 in ihrer Zelle in Stammheim erhängt.
Meinhof, die von Ensslin mal als "Stimme der RAF" in die Pflicht genommen und mal als "das Messer im Rücken der RAF" verunglimpft wird, erscheint hier wie in früheren Darstellungen als tragische Persönlichkeit, die von den anderen Häftlingen gemobbt wird. Tatiana Nekrasov spielt sie als Mitleid erregende Außenseiterin, was sie menschlicher erscheinen lässt als die anderen Insassen. Einen besonders starken Eindruck hinterlässt Lilith Stangenberg, die mit ihrem Talent für extreme Figuren die radikal konsequente Seite der Gudrun Ensslin eindringlich zur Geltung bringt. Weibliche Solidarität ist in dieser linken Häftlingsblase ebenso wenig anzutreffen wie Selbstreflexion oder gar Reue.
Wie aus Menschen, die für eine humanere Gesellschaft streiten wollten, derart kaltblütige und abgehobene Typen werden konnten, das vermag Austs Alterswerk nicht zu erklären. Die politischen Debatten jener Zeit (Vietnamkrieg, NS-Vergangenheit, kapitalistische Ausbeutung) spielen nur am Rande eine Rolle. Vor allem an Heinrich Breloers Zweiteiler "Todesspiel", der umfassender, packender und zugleich tiefgründiger vom "deutschen Herbst" und auch von Stammheim erzählte, reicht dieses Dokudrama nicht heran.
infobox: "Stammheim - Zeit des Terrors", Dokudrama, Regie: Niki Stein, Buch: Stefan Aust, Niki Stein, Produktion: Spiegel TV (ARD-Mediathek/SWR/NDR/RBB, ab 17.5.25, ARD, 19.5.25, 20.15-21.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 17.05.2025 10:10
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Dokudrama, Stein, Aust, Gehringer, RAF
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