Schmerzensfrau mit Mission - epd medien

20.05.2025 11:28

In "Der Tote in der Schlucht" zeigt sich einmal mehr die hohe Qualität der österreichischen Landkrimis: Patricia Aulitzky spielt hier die Kommissarin Lisa Kuen mit einer traumatischen familiären Vergangenheit.

Landkrimi im ZDF: "Der Tote in der Schlucht"

Lisa Kuen (Patricia Aulitzky) und Alexander Yüsüf-Demir (Dominik Raneburger) ermitteln gemeinsam in Innsbruck

epd Um den Schauplatz und die zwei prägenden Figuren dieses Landkrimis eindrücklich zu etablieren, reicht Regisseurin Mirjam Unger der Vorspann aus: Da joggt die Kommissarin Lisa Kuen (Patricia Aulitzky), bekleidet mit einem roten Sportdress, der den Blick auf ihren tätowierten Oberarm freigibt, die endlos scheinenden Stufen der Innsbrucker Bergiselschanze hoch. Und der Häftling Andy Colussi (Bernhard Schir), der sich FREI-HEIT auf die Finger tätowiert hat, absolviert die letzten Formalitäten, bevor sich das Gefängnistor öffnet und er auf eine Schnellstraße vor Alpenkulisse tritt. Warum der Mann sieben Jahre einsaß, zeigt eine kurze Rückblende: Er war an einem Raubüberfall auf einen Geldtransporter beteiligt, bei dem seine Komplizin die Nerven verlor und einen der beiden Fahrer erschoss.

Als auf der Gegenwartsebene nach einem anonymen Hinweis der titelgebende Tote in der Schlucht gefunden wird, sind noch keine fünf Filmminuten vergangen. "Irgendwoher kenn I den", murmelt Lisa Kuen, während sie die Leiche mit Schusswunde mustert. Sie täuscht sich nicht: Es handelt sich um Josef Radl (Hans Danner), den seinerzeit in den Überfall-Plan eingeweihten zweiten Fahrer des Geldtransports.

Traumatische Vergangenheit

Hatte Colussi noch eine Rechnung mit ihm offen? Immerhin wurden die erbeuteten 1,5 Millionen Euro nie gefunden, auch die Komplizin blieb verschollen. Beim Versuch, die Rätsel des alten Falls zu lösen, müssen die Kommissarin und ihr Kollege Alexander (Dominik Raneburger) ins Milieu des Absamer Schützenvereins eintauchen, in dem Radls hinterbliebene Lebensgefährtin Jenny (Gerti Drassl) aktiv ist. Eine Nervenprobe für die Ermittlerin, die eine Aversion gegen alles Männerbündische hegt: "Es muss sich doch irgendwann amol was ändern", seufzt sie und schickt eine kleine Suada über Katholizismus, Konservatismus und traditionelle Werte hinterher.

"Der Tote in der Schlucht" ist der zweite Auftritt der toughen Innsbrucker Polizistin nach "Das Mädchen aus dem Bergsee" (2020), beide Filme stammen aus der Feder von Eva Testor. Die Tiroler Drehbuchautorin und Kamerafrau liefert hier nicht nur bemerkenswert wenig idyllische Bilder ihrer Heimat. Sie schreibt mit der Figur Lisa Kuen auch die Geschichte einer Schmerzensfrau fort, die selbst mit einer traumatischen familiären Vergangenheit fertigwerden muss und daraus eine feministische Mission ableitet: Trifft sie auf einen Mann, der seine Frau schlägt, bekommt der nicht nur eine Abreibung, sondern gleich noch die Visitenkarte einer Männerberatung hingeworfen.

Mit dem Spuckerl darfst selber fahren.

Ihren Chef Oberst Günter Schupp (Harald Windisch) weist Kuen schon mal darauf hin, dass er heutzutage genderkorrekt von "Polizist:Innen" zu sprechen habe. Weibliche Selbstermächtigung bedeutet für sie allerdings auch, sich zwischendurch per Textnachricht zum schnellen Sex mit einem Typen namens Elvis zu verabreden. Mit dem verdächtigen Colussi lässt sie sich bei Bier und Rum auf ein bizarres Tänzchen ein.

Während Patrizia Aulitzky diese Kämpferin mit großer physischer Präsenz und angemessenem Furor verkörpert, kommt ihrem Sidekick Dominik Raneburger die Funktion zu, für Comic Relief zu sorgen. Selbst in den Bergen trägt er stets seine Aktentasche bei sich, in unwegsamem Gelände kommt er leicht aus dem Tritt. Schon beim Autofahren konterkariert das Ermittler-Duo die klassischen Geschlechterrollen: "Mit dem Spuckerl darfst selber fahren", bescheidet Lisa ihrem Kompagnon, der ihr gerade den Schlüssel seines Elektro-Kleinwagens zugeworfen hat.

Energetischer Soundtrack

Zum komödiantischen Höhepunkt kommt es eines Morgens in Alex' Küche, wo Lisa dessen nackten Dating-Partner antrifft, noch dazu einen Polizei-Kollegen. Da ist selbst die schlagfertige Kommissarin kurz perplex. "Mogsch a Smoothie?", versucht der Beamte treuherzig, die Situation zu entschärfen.

Dass durchgängig Tiroler Dialekt gesprochen wird, kann zwar dazu führen, dass nicht österreichische Zuschauer womöglich nicht jeden Satz verstehen. Der Charme dieses Dialekts und die so erzeugte Authentizität tragen aber - ebenso wie der energetische Soundtrack von Teresa Rotschopf und Patrick Pulsinger - erheblich dazu bei, dass "Der Tote in der Schlucht" eine eigene Aura entfaltet und sich über die Routine des Provinzkrimi-Genres erhebt. Dass die Protagonistin noch Potenzial für weitere Fälle birgt, haben auch die auftraggebenden Sender erkannt: Episode drei mit der erprobten Besetzung vor und hinter der Kamera ist bereits abgedreht.

infobox: "Der Tote in der Schlucht", Krimi, Regie: Mirjam Unger, Buch: Eva Testor, Kamera: Eva Testor, Produktion: KGP Filmproduktion (ZDF-Mediathek/ORF, ab 19.5.25, ZDF, 26.5.25, 20.15-21.45 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 20.05.2025 13:28

Peter Luley

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, KORF, Krimi, Unger, Testor, Luley

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