Den Bann lösen - epd medien

21.05.2025 07:51

Eine Frau wundert sich, warum ihre Tochter keine Filmszenen mit Vergewaltigungen erträgt. Sie findet Antworten in den Tagebüchern ihrer eigenen Mutter, die vor mehr als 30 Jahren starb. Das Hörspiel "Und dann saß ich da ..." beschäftigt sich mit dem Kriegsende vor 80 Jahren und einem vererbten Trauma.

Das RBB-Hörspiel "Und dann saß ich da ..."

Die Schauspielerin Nina Kunzendorf bei den Aufnahmen zu dem Hörspiel

epd Wie Gedanken und Gefühle über die Zeiten hinweg Dinge in Bewegung bringen können oder verhindern, die grausamsten und die heilsamsten, davon handelt das Hörspiel "Und dann saß ich da mit meinen sieben Unterhosen in der Hand. Was übrig blieb vom Krieg" der Schriftstellerin Sabine Ludwig, inszeniert von Anouschka Trocker. Dass schon im Titel von Unterhosen die Rede ist und im Programmtext von Vergewaltigung, führt zwar nicht auf die falsche Fährte, engt aber die Erwartung zunächst ein. Und schreckt womöglich Hörerinnen ab, denen es geht wie der Tochter der Ich-Erzählerin: Die kann Szenen nicht ertragen, in denen Männer Frauen Gewalt antun. Audiovisuelles Erzählen, das sich manchmal in bester Absicht am Übergriff weidet, hält sie nicht aus. Die Tochter muss dann den Kinosaal verlassen, den Fernseher ausschalten, muss weg.

Die Mutter fragt sich, woher das kommt, denn ihrer Tochter ist - anders als ihr selbst - nie so etwas widerfahren. Die Angewohnheit, aus Obst und Gemüse penibel die faulen Stellen herauszuschneiden, hat sie selbst auf ihre Tochter übertragen, das zumindest weiß sie. Denn schon ihr eigener Vater, nach dem Zweiten Weltkrieg in russischer Kriegsgefangenschaft, konnte keine Lebensmittel wegschmeißen, schnitzte immer den Schimmel aus dem Brot, und immer hatte er einen Lappen bei sich, um irgendwelche Flecken wegzuputzen. Etwas, so scheint es, war beschmutzt, verdorben, aber was es war, darüber wurde nicht gesprochen. War der Großvater an Massakern beteiligt?

Herzlose Worte

Mehr als 30 Jahre nach dem Tod ihrer eigenen Mutter öffnet die Erzählerin deren hinterlassene Kartons. Alte Feldpost-Briefe, Schwarz-Weiß-Fotos, Tagebücher und Gedichte auf hauchdünnem Durchschlagpapier sind darin aufbewahrt. Nüchtern und knapp beschreibt die Verstorbene darin, wie das war: von russischen Soldaten aus dem Luftschutzkeller geholt zu werden. Wie einer sich im Vorfeld für das entschuldigte, was er nun leider tun müsse.

Die Gewalt steckt in diesem Hörspiel aber nicht nur in diesen Szenen. Sie steckt auch in den Märchen-Splittern, in denen die einzelnen Kapitel brutal auf den Punkt gebracht werden. Sie schlägt zu in den herzlosen Worten des Arztes gegenüber der Schwangeren. Und sie ist allgegenwärtig in der nazi-pädagogischen Überzeugung, das eigene Kind - die Erzählerin - nicht "verweichlichen" zu dürfen. Prügel waren "fast der einzige Körperkontakt, den ich zu meinen Eltern hatte", so die Erzählerin.

Valentin Butts Akkordeon schafft punktuell aufscheinende Schraffuren, mal wollen sich Harmonien und Melodien bilden, verschieben sich, und nur einmal, in einem Albtraum der Erzählerin, träumt das Instrument vorsichtig oder ironisch von Weihnachten.

Ich war ein Nichts. Und doch ein Mensch.

Dass sich Traumata auf psychosoziale und sogar epigenetische Weise auf die nächste Generation übertragen und bei dieser zu einer Häufung von Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen führen, dazu gibt es inzwischen fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse. Ludwig und Trocker zeigen durch ihre Montage von Tagebuch, tastendem Erlebnisbericht und Horror-Märchenausschnitten, wie die Gewalt ihren Weg durch die Sprache nimmt.

Ein Absatz aus Andersens "Die Stopfnadel" wird da zum Beispiel zur vorausgreifenden Essenz des großmütterlichen Erlebnisses, als Schülerin bei den Olympischen Spielen im Stadion dabeigewesen zu sein, eingeladen von ganz oben, für Jubel-Zwecke und Choreografien für Schriftzüge wie "Die Jugend Großdeutschlands": "Ich war ein Nichts. Und doch ein Mensch", notiert die Großmutter, ein Pixel im Stadion des Größenwahns, eine Stecknadel im Heuhaufen.

Erinnertes Leben

Und doch wird sie jemand finden und in der Erinnerung aufbewahren. Ausgerechnet ein einstiger russischer Soldat schreibt der Erzählerin einen Kondolenzbrief, als deren Mutter Anfang der 1990er Jahre stirbt. Er hatte diese Jahre nach dem Krieg auf einem Filmfestival in Moskau kennengelernt. Vielleicht waren sie sich schon als junge Menschen im zerbombten Charlottenburg begegnet? Tatja Seibt, Nele Rosetz, Nina Kunzendorf und Mateja Gabriel lassen mit ihren Stimmen immer wieder die Linearität der Generationenfolge brüchig werden, als erinnerte und gegenwärtige Leben.

Das ist auf kluge, unsentimentale Art herzzerreißend und manchmal nur schwer auszuhalten. Gibt es denn keine Erlösung aus der Kette der Traumata-Weitergabe? Im Tagebuch ihrer Mutter findet die Erzählerin am Ende die Worte: "Am Abend stand die Sonne so nah, dass ich dachte, ich müsse sie fassen. Aber ich hielt meine Hände still, denn die Sonne war Blut. Der rote Ball am Himmel würde zerfließen und das Blut die Erde bedecken, wie damals." Die Hände stillzuhalten, war zumindest für sie eine Zeit lang eine Strategie der Heilung.

infobox: "Und dann saß ich da mit meinen sieben Unterhosen in der Hand. Was übrig blieb vom Krieg - in 10 Kapiteln", Hörspiel, Regie: Anouschka Trocker, Buch: Sabine Ludwig (Radio3/RBBB, 8.5.25, 18.03-19.00 Uhr Uhr und in der ARD-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 21.05.2025 09:51

Cosima Lutz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KRBB, Hörspiel, Trocker, Ludwig, Lutz

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