Unwiderstehlich frisch - epd medien

23.05.2025 08:55

Carlo hat gerade das Abitur gemacht und eigentlich liegt jetzt das Leben vor ihm. Doch satt in die weite Welt zu ziehen, muss er in Gastwirtschaft seiner Eltern mitarbeiten. Die ZDF-Serie "Tschappel" erzählt davon, wie es ist, in Oberschwaben erwachsen zu werden.

ZDF-Serie "Tschappel"

Carlo Brenner hat den geliebten Oldtimer seines Vaters geschrottet und muss zur Strafe in der Gastwirtschaft der Eltern mitarbeiten

epd Von Carlo sagen seine Kumpels (und auch er selbst), dass er ein echter Tschappel ist. Diese oberschwäbische Vokabel meint nicht dasselbe wie das norddeutsche Dösbaddel oder gar der bayrische Depp - ein Tschappel ist eher ein naiv-liebenswerter Tollpatsch, der keine klaren Pläne oder Ziele hat und durch das Leben stolpert.

Carlo hat gerade das Abitur gemacht und lebt im oberschwäbischen Dorf Vorderhinterbach bei seinen Eltern, die die Dorfwirtschaft führen. Seine besten Kumpel sind Aydin und Niklas aka Blabla, er ist verknallt in Pia, die bald für ein Jahr Work & Travel nach Australien will, und weil er nichts Besseres vorhat, will Carlo das natürlich auch. Leider schrottet er bei der Heimfahrt von der Abi-Fete Papas heißgeliebten Benz-Oldtimer. Zur Strafe und zum Abarbeiten des Schadens gibt es für Carlo nun Work ohne Travel, und zwar an der Spüle in der elterlichen Gastwirtschaft.

Hinreißend erzählt

Was macht man mit 18, 19 Jahren in einem schwäbischen Provinzdorf, mitten im Hochsommer, wenn die Tage lang sind und die Nächte lau, wenn man nicht weiß, wohin mit sich und seinen Gefühlen, wenn die Angebetete bald in weiter Ferne ist und die Zukunft ein weißes Blatt Papier? Party, wenn es geht, möglichst mit viel Alkohol, und allerlei schräges Zeug mit den Kumpels, das regelmäßig in die Hose geht: das Fälschen von "Schluckkarten" beim Dorffest, die Verwandlung einer Güllegrube in einen Party-Pool fürs Dorf, ein spontanes Startup mit getunten Pizzen oder die Besetzung des heruntergekommenen Hauses eines Alt-Nazis ...

Keine Frage: Drehbuchautor Marius Beck und Paul Beck, Koproduzent und Marius Becks Cousin wissen ganz genau, wovon sie da erzählen, denn sie drehen in ihrer alten Heimat und sind - wie auch Regisseurin Carly Coco und Koautor Marc Philip Ginolas - jung genug, um sich genau an diese Lebensphase zu erinnern. Und sie können hinreißend erzählen: "Tschappel" startet mit hohem Tempo und überzeugt über alle acht Folgen mit originellen Ideen, unberechenbaren Wendungen und unwiderstehlicher Frische.

Nette Überraschungen

Dafür sorgt auch die exzellente Besetzung: Jeremias Meyer als Carlo mit Wuschelkopp und Kulleraugen nimmt man den "Tschappel" sofort ab, man schließt aber auch Sebastian Doppelbauer als Blabla ins Herz, der meist mehr und schneller redet als er denkt, so wie David Ali Rashed als Aydin, der sich sicherheitshalber seine Adresse hat tätowieren lassen, falls er mal irgendwo besoffen liegenbleibt. Das Trio wird ergänzt von Carlos Tante Gabi (Nina Gnädig), die nie ganz erwachsen geworden ist.

Dass Carlo bis über beide Ohren in Pia verliebt ist, versteht man sofort, denn Pia (gespielt von Mina-Giselle Rüffer) hat nicht nur ein umwerfendes Lächeln, sondern verfügt rundum über natürlichen Charme. Leider entschwindet sie in Folge vier tatsächlich nach Australien. In den Nebenrollen gibt es immer wieder nette Überraschungen: in kurzen Szenen taucht Harald Schmidt als Arzt auf, der Carlos Kronjuwelen begutachten muss, Alexander Schubert spielt einen Ex-Lover von Tante Gabi, Paul Faßnacht taucht in der letzten Folge auf, um einem alten Freund, der am Tresen gestorben ist, die letzte Ehre zu erweisen.

Breites Oberschwäbisch

Die Kombination von anarchischem Witz und Gemächlichkeit der dörflichen Provinz funktioniert auch hier hervorragend. Ausschlaggebend ist dafür, dass das Provinzielle nicht klischeehaft denunziert, sondern ernst genommen wird - das heißt auch, dass die Einheimischen konsequent breites Oberschwäbisch sprechen (Jeremias Meyer musste sich für die Serie den Dialekt erst aneignen, was aber den nicht-schwäbischen Zuschauern nicht auffallen dürfte). Vielmehr gelingt es den "Tschappel"-Machern, die Ambivalenz gerade der jungen Leute zu zeigen: Man hängt einerseits am Vertrauten, ist hier verwurzelt und will andererseits doch raus aus der dörflichen Enge in die weite Welt.

Auch optisch ist "Tschappel" ein großes Vergnügen: ungewöhnliche Kameraperspektiven, flotter Schnitt (Katja Beck), der Einsatz von Schnappschüssen, die beispielsweise Rückblenden ersetzen, Inserts, die launige Erläuterungen oder Übersetzungen anbieten ("ABS = Leberkäsweck mit a bissle Senf") - langweilig wird es hier keine Sekunde. Unterstützt wird das erfrischende Gesamtpaket von einem passgenauen, mitreißenden Soundtrack (Musik: Hochzeitskapelle): Man hört Linkin Park, Rage against the Machine, Green Day, Beastie Boys und andere. Den Titelsong steuern "Wir sind Helden" bei: "Von hier an blind".

Diesem "Tschappel" würde man gern noch länger zusehen - das Ende hält diese Option immerhin offen.

infobox: "Tschappel", Comedyserie, Regie: Marc Philip Ginolas, Carly Coco, Buch: Marc Philip Ginolas, Marius Beck, Kamera: Conrad Lobst, Produktion: Apollonia Film, LAX Entertainment (ZDF-Mediathek ab 23.5.25, ZDFneo, ab 3.6.25, dienstags, 21.45-22.35 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 23.05.2025 10:55 Letzte Änderung: 23.05.2025 11:05

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Steglich, Fernsehfilm, NEU

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