24.05.2025 09:56
ARD-Fernsehfilm "Ohne jede Spur"
epd "Wie in einem schlechten Film". So beschrieb die österreichische Leistungssportlerin Nathalie Birli in einem Facebook-Post die eigene Entführung im Juli 2019. Während einer Trainingsfahrt mit dem Rennrad war die junge Mutter von dem 34-jährigen Christoph K. mit seinem Auto angefahren und in ein abseits gelegenes Haus in der Steiermark verschleppt worden. Eine Nacht lang war sie in der Gewalt des Täters, der sie schwer misshandelte. Er wurde später zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Dass auch dieses brutale Verbrechen buchstäblich für "filmreif" gehalten wird, kann angesichts des grassierenden True-Crime-Trends nicht überraschen. Dem Fall widmete sich bereits die ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke im August 2024 in der Reihe "Verbrechen!". Der 45-minütige ZDF-Beitrag samt Interview mit dem damaligen Entführungsopfer und weiteren Protagonisten enthielt in begrenztem Umfang auch nachgestellte Spielszenen. Die deutsch-österreichische Koproduktion "Ohne jede Spur", gedreht bereits im Sommer 2023, setzt dagegen auf eine vollständige Fiktionalisierung, ergänzt allerdings durch die im linearen Fernsehen anschließend ausgestrahlte Dokumentation "Das zweite Leben von Nathalie" von Michael Mueller.
Die Kritik, dass die zahlreichen Krimis und True-Crime-Formate vornehmlich das Bild von Frauen in einer typischen Opferrolle reproduzieren, trifft hier nur bedingt zu. Nathalie Birli bewies mentale Stärke und Einfallsreichtum, gewann Einfluss auf den Täter und befreite sich letztlich selbst. Aus dem Fall wird in der Inszenierung von Esther Rauch das eindrucksvolle Beispiel eines weiblichen Entführungsopfers, das erstaunliche Widerstandskraft entwickelt. Die reale Story gibt das auch her.
In der Fiktion visualisiert die entsprechend geschulte Triathletin immer wieder Möglichkeiten der Rettung - muss aber stets verkraften, dass ihre Fantasien nicht real werden. Erst über die üppige Orchideen-Sammlung findet Nathalie Zugang zu dem im Film Florian genannten Täter. Florian ist ein Außenseiter mit unglücklicher Kindheit und Sinn für schöne Blumen. In die Falle, den Täter zu verharmlosen, tappt der Film dennoch nicht. Die Kamera von Mario Minichmayr nimmt häufig die Perspektive von Nathalie ein, ohne die entführte und auch sexuell missbrauchte Frau bloßzustellen. Es entwickelt sich ein psychologisch packendes Duell zwischen dem Entführer und seiner Geisel. Während Luise von Finckh in ihrem Spiel die bemerkenswerte Ruhe Nathalies betont, gibt Dominic Marcus Singer einen unberechenbaren Zausel, dessen freundliche Avancen immer wieder unvermittelt in Wut und Gewalt umschlagen.
Parallel zu diesem konzentrierten Kammerspiel in der düsteren Enge des Hauses erzählt das Autoren-Duo Jonas Brand und Lia Perez von der sich ausweitenden Suchaktion in der nahen, landschaftlich schönen Umgebung. Der ständige Wechsel zwischen Innen und Außen, zwischen dem Zweikampf im Haus und dem lebhaften Treiben außerhalb, sowie der zeitliche Druck und die Begrenzung der Handlung auf eine Nacht sorgen für einige Dynamik und erhebliche Spannung - insofern handelt es sich hier nicht um einen "schlechten Film".
Dennoch zeigen sich auch die Grenzen des True-Crime-Genres, das großspurig Wahrheit und Authentizität verspricht und dem man umso mehr misstraut, wenn etwas besonders auffällig hervorgehoben wird. Das gilt hier zumindest für eine Figur: Robert Stadlober spielt den bräsigen Polizisten Kapfhammer, über dessen Charakterzüge bereits die Aufschrift auf dem Kaffeebecher erschöpfend Auskunft erteilt: "Ich Chef du nix". Kapfhammer weist Nathalies besorgten Lebensgefährten Martin (Stefan Gorski) mit entsprechender Attitüde ab und bleibt auch dann noch stur auf seinem Stuhl hocken, als sich seine Kollegin Ivanovic (Claudia Kottal) endlich zur Suche nach Nathalie aufrafft. Da haben Martins Bitten um Unterstützung in den sozialen Medien längst eine privat organisierte Suchaktion ausgelöst. Facebook und andere Netzwerke sind manchmal doch zu etwas nutze.
Verwirrend ist dann aber, wenn der reale Martin Schöffmann in der anschließenden Dokumentation erklärt, die Polizei habe sehr schnell reagiert. Was denn nun? Wurde die Polizeiarbeit mutwillig als faul und zögerlich geschildert, weil dies weitere Konflikte und dramaturgische Höhepunkte beschert?
Auch sonst fallen Widersprüche zwischen der fiktionalen Erzählung, der Darstellung in der Dokumentation und auch einigen Aussagen von Nathalie Birli in anderen Medienberichten auf. Für die Kernbotschaft spielt es zwar keine Rolle, ob die Polizei den Täter beziehungsweise sein Haus über eine Kfz-Halterabfrage oder über Nathalies Fahrradcomputer ermittelte. Aber die Glaubwürdigkeit von fiktionalen True-Crime-Formaten erweist sich mal wieder als begrenzt.
Damit aber das Publikum die Kernbotschaft nicht verpasst, wird sie am Ende noch einmal eingeblendet, verkleidet in zwei Sätze, die wie die Schlussanalyse eines Therapeuten klingen: "Das Trauma ihrer Entführung wird Nathalie ein Leben lang begleiten. Es wird jedoch nicht bestimmen, wer sie ist." Dass dem Entführungsopfer eine lebenslang optimistische Prognose aufgebürdet wird, ist sicher gut gemeint, aber auch etwas übergriffig.
infobox: "Ohne jede Spur - Der Fall der Nathalie B.", Fernsehfilm, Regie: Esther Rauch, Buch: Jonas Brand, Lia Perez, Produktion: Zeitsprung Pictures, Graf Film (ARD-Mediathek/Degeto/ORF, seit 24.5.25, ARD, 29.5.25, 20.15-21.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 24.05.2025 11:56
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Fernsehfilm, Rauch, Gehringer
zur Startseite von epd medien