28.05.2025 09:49
Reality-Show "Most Wanted" bei Joyn
epd Als Wolfgang Menge im Jahr 1970 mit "Das Millionenspiel" einen Fernsehfilm schuf, in dem ein Privatsender eine mehrtägige Menschenjagd im TV veranstaltet, hielt schon damals manch ein Zuschauer die morbide, aber fiktive Show für echt. 55 Jahre später schafft es ein solches Format tatsächlich ins deutsche Fernsehen - um Leben und Tod geht es aber nicht.
Zum Glück - denn Spaß macht die prominent besetzte Verfolgungsjagd auch ohne Todesangst. 15 Prominente bilden in "Most Wanted" als Einzelperson oder als Duo insgesamt zehn Ziele ("Targets"), die sich in einem Radius von 200 Kilometern rund um Aachen, aber innerhalb Deutschlands bewegen, um vor drei Jägern zu flüchten. Diese drei "Hunter" sind Survivalexperte Otto Bulletproof, Extremsportler Joey Kelly und der einstige 9Live-Moderator Max Schradin. Das ehrgeizige Trio erhält in seinem Van alle 20 Minuten den Standort aller Targets übermittelt. Nach dem Ausbruch der 15 Prominenten aus dem Gefängnis sind sie fünf Tage lang in ihren orangefarbenen Overalls auf der Flucht. Gespielt wird jeweils von 10 bis 19 Uhr.
Dankenswerterweise stellt Folge eins die Promis in aller Kürze vor, während sie mit einem nur einstündigen Vorsprung vor den Huntern flüchten und sich in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland verteilen. Während sich die Hunter schnell auf ein Target konzentrieren, sind alle Targets ständig unterwegs - in ständiger Sorge, bald gefangen zu werden. So lernt man mit den Protagonisten viele schöne Ecken im Westen Deutschlands kennen, etwa Rheinbach ("Da sollte man ruhig mal hin"), Bingen ("Pampa") oder Neuheim ("am Arsch der Welt"). Ganz nebenbei erweist sich das Fangspiel als beste Werbung für das auf der Flucht sehr praktische Deutschlandticket.
Dass viele der Prominenten ihre Kontakte nutzen, um mühelos an Geld und Unterkünfte zu kommen, nimmt dem Format leider etwas die Herausforderung. Vermutlich wären sie außerhalb Deutschlands viel aufgeschmissener, doch viele komische Dialoge mit Passanten machen diese Schwäche wett. Die im ÖPNV sehr gesprächige Claudia Effenberg verzweifelt daran, einem jungen Passanten ihren Bekanntheitsgrad zu erklären, während Ex-Bachelor Paul Janke ganze Gruppen von Frauen mit Rosen von der Tankstelle um Unterstützung bittet. So kommen auf der Flucht viele herrliche Momente zusammen. Doch längst nicht jeder Passant ist auf der Seite der Promis: Manch einer meldet gesichtete Targets lieber telefonisch bei den Huntern, die den Hinweisen nachgehen und ihren Tippgebern Kelly-Family-Alben als Dank für weitere Hinweise versprechen.
In ihrem Regelwerk und ihrer Machart ist "Most Wanted - Wer entkommt?" eine sehr originalgetreue Adaption der unter anderem von John de Mol erdachten Sendung "Het Jachtseizoen: Most Wanted", die 2024 in den Niederlanden startete und wiederum auf der bereits 2016 gestarteten Youtube-Serie "Jachtseizoen" basiert. Tatsächlich ist auch dem deutschsprachigen Youtube-Publikum das Konzept Menschenjagd nicht fremd: Von der Anfang 2024 gestarteten Serie "Manhunt", bei der ebenfalls mehrere Kandidaten tagelang vor einem Hunter-Team flüchten, gibt es inzwischen zwei Staffeln.
Im Vergleich zu "Manhunt" wirkt "Most Wanted" viel eher wie eine konventionell für das Fernsehen produzierte Show, da die Promis von Kameraleuten begleitet werden und die Sendung immer wieder Raum für alberne Momente lässt. "Manhunt" hingegen wirkt auf Anhieb viel ernster und herausfordernder, auch weil die Kandidaten sich selbst filmen und dadurch ohne Begleitperson auf sich allein gestellt sind. Den Ansprüchen der Zuschauer von Survival-Serien wie "7 vs. Wild" oder eben "Manhunt" dürften ProSieben und Joyn mit ihrem Format eher nicht gerecht werden. Manch ein Fernsehzuschauer hingegen wird froh darüber sein, dass "Most Wanted" den Kandidaten nicht auch noch die Kameraarbeit anvertraut und man so von ständigen Selfie-Perspektiven verschont bleibt.
Produziert wurde "Most Wanted" vom 30. April bis 4. Mai. Erst zehn Tage nach Drehschluss startete das Format bei Joyn und auf ProSieben. Dieser Zeitversatz schadet dem Format zwar nicht. Als durchaus störend stellt sich aber die wöchentliche Veröffentlichung der einzelnen Folgen heraus. Denn ein solch temporeiches Fangspiel, bei dem sich ständig jemand in Anspannung und in Bewegung befindet, wird massiv ausgebremst, wenn zwischen dem Erscheinen der Folgen eine ganze Woche vergeht. Ein fünftägiges Action-Rollenspiel ist offensichtlich nicht allzu gut dazu geeignet, acht Wochen lang erzählt zu werden. Dank der gelungenen Balance aus spaßigen Momenten und einer andauernden Spannung bleibt man aber dennoch gern dran.
infobox: "Most Wanted - Wer entkommt?", achtteilige Reality-Show, Produktion: Cheerio Entertainment (Joyn, seit 14.5.25, mittwochs ab 19.00 Uhr, ProSieben, seit 14.5.25, mittwochs, 22.35-23.40 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 28.05.2025 11:49
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KJoyn, Survival-Serie, Respondek
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