Nicht mehr alle Latten - epd medien

01.06.2025 12:35

Krach, Drogen, Dreck, Gewalt: Der "Görli" in Berlin-Kreuzberg ist der wohl berüchtigtste Park Deutschlands. Der Berliner Journalist Lorenz Rollhäuser wohnt direkt vor Ort und fragt in einem Deutschlandfunk-Radiofeature: Kann der vom Senat beschlossene Zaun helfen? Er findet viel Symbolpolitik, noch mehr konkretes Leid und einen funkelnden Rest an Utopie.

Deutschlandfunk-Feature über den "Görli"-Park

Polizisten gehen am Abend durch den Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg

epd Zäune und Mauern sind das Ende jeder Ambivalenz. Dann ist hüben wie drüben klar, in welche Richtung gekeift werden muss, die Welt ist geordnet. Das weiß jeder, der im geteilten Berlin aufgewachsen ist; und das weiß jeder, der einen Hund hat: Durch die Zaunlatten kläffen die Tiere einander als Todfeinde an, ohne Barriere haben sie aber oft plötzlich kein Problem miteinander.

Natürlich lässt sich das nicht eins zu eins auf den Konflikt um die vom Berliner Senat beschlossene Umzäunung des "Görli" übertragen, eines kleinen Parks in Berlin-Kreuzberg. Doch auch hier sorgt ein Zaun für rhetorische Aufrüstung und Vereinfachung, und zwar schon, bevor er überhaupt steht. Als Drogenumschlagplatz und Ort sexueller Gruppengewalt verschrien, hat der Görlitzer Park in den letzten Jahren deutschlandweite Bekanntheit erlangt. Eltern berichten von ihren Kleinkindern, die sich auf dem Spielplatz an Heroinspritzen verletzen. Viele ziehen weg, Partytouristen rücken in die frei werdenden Wohnungen nach. Radikalere Teile der Kreuzberger Szene sehen in der Anwesenheit der Drogendealer eine Maßnahme gegen Gentrifizierung, Kritik daran gilt als Rassismus.

Das große Ganze

"Mit dem Mikro in der Hand stehe ich eingeklemmt zwischen den Fronten", erzählt der Journalist Lorenz Rollhäuser in seinem Radiofeature "Kreuzberger Gefechte". Er nimmt alle Seiten auf. Zunächst einmal die schreienden Demonstrierenden bei einer Ortsbesichtigung mit dem Regierenden Bürgermeister. Mit ihrem Anti-Zaun-Protest meinen sie das große Ganze, den Kapitalismus, die Ausbeutung Afrikas, die "eigentliche" Gewalt gegen Frauen in der bürgerlichen Sphäre.

Rollhäuser spricht mit der Bezirksbürgermeisterin, Stichwort Behörden-Pingpong, mit Erzieherinnen, die mit den Kleinen nicht mehr in den Park kommen, mit Frauen, die sich bedrängt fühlen, er hört Crackabhängigen zu und einem für Sicherheit zuständigen "Parkläufer": Der wurde an seinem freien Tag von der Polizei festgenommen, weil die Beamten dachten, er sei Dealer. Rollhäuser spricht auch mit Menschen aus der einstigen Kreuzberger Studentenszene, ohne die es den Park nicht gäbe: Sie hatten sich für seine Schaffung stark gemacht, gegen den Widerstand jener, die die Brache erhalten wollten. Das Motto lautete: "Für jeden etwas und alles für jeden".

Wer sind die Stärkeren?

Man habe nicht gewollt, berichtet eine der Initiatorinnen von damals, "dass sich letztlich Stärkere durchsetzen, die einfach in der Lage sind, sich eine Fläche anzueignen". Doch wer sind heute die "Stärkeren"? Immobilienbesitzer? Die unbehelligten Hinterleute der Drogendealer? Der Senat mit seinen Bulldozern? Oder die am lautesten Schreienden mit ihren Parolen?

Der Autor lebt seit bald 30 Jahren am Park. "Mit dem Herausschreien von Hass und Wut als Form politischer Auseinandersetzung kann ich immer weniger anfangen", sagt er. Er kennt noch die Anfänge des Görli und agiert nun in einer Doppelrolle: Einerseits hört er als Chronist allen Seiten zu, andererseits ist er Mitbegründer der "Anwohnerinitiative Görlitzer Park". Deren Ziel sei es, "pragmatisch die Situation für alle zu verbessern, Dinge vorzuschlagen, die funktionieren und Akzeptanz finden". Er übt deutliche Kritik: Immer wieder scheitere es am Senat mit seiner rigiden und deshalb wenig hilfreichen Drogenpolitik, aber auch an veränderungsunwilligen Linken. Mit klaren Feindbildern, so scheint es, kommt keine Bewegung in die Angelegenheit.

Tanzen zu "Wuthering Heights"

Von seiner Wohnung schaut er "aus privilegierter Lage, aus der Höhe in die Tiefe, vom Trockenen in den Regen, vom Warmen in die Kälte, von der Behaglichkeit meines Zuhauses auf alles, was sich da draußen abspielt zwischen Freizeitspaß und Überlebenskampf". Im Bewusstsein der eigenen erhabenen Position ist ihm klar, dass es "keine einfachen Antworten" gibt. Er blickt nach Zürich, wo es durch ein klares Konzept gelungen ist, Beschaffungskriminalität einzudämmen.

Der Verlockung, den Kampf um den Görli als Symbol für ein größeres Ganzes zu sehen, widersteht Rollhäuser bewusst nicht. Selbst wenn er am Ende doch für eine eindeutige Lösung wirbt: Sein Feature ist vor allem ein Plädoyer für "Aushandlungsprozesse", die diese Bezeichnung verdienen - und die um Fragen kreisen, die auch ganze Staaten und Staatengemeinschaften derzeit besonders umtreiben: "Was tolerieren wir? Welche Grenzen setzen wir? Wie setzen wir sie durch? Und wer zählt überhaupt zu diesem Wir?"

So beängstigend das tägliche Geschrei vorm Fenster ist, der Gestank, der Stress: Trotzdem gibt es noch immer diese Momente, für die viele den Görli lieben - und Berlin überhaupt: ein unschuldiger Flashmob an einem sonnigen Tag, Männer, Frauen, Alte, Junge, tanzen in roten Kleidern zu Kate Bushs Song "Wuthering Heights". Weil sie es hier noch können.

infobox: "Kreuzberger Gefechte - Ein Zaun um den Görlitzer Park?", Radiofeature, Buch und Regie: Lorenz Rollhäuser (Deutschlandfunk Kultur, 24.4.2025, 18.05-19.00 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 01.06.2025 14:35 Letzte Änderung: 01.06.2025 20:43

Cosima Lutz

Schlagworte: Medien, Kritik, Kritik.(Radio), KDeutschlandfunk, Rollhäuser, Lutz, NEU

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