Live-Momente und Emotionen - epd medien

04.06.2025 07:45

Die WDR-Dokumentation "1Live macht Stars" erzählt von der 30-jährigen Geschichte des Senders und auch von deutscher Musikgeschichte. Leider verstellen die Stars den Blick auf interessante mediengeschichtliche Aspekte, meint Jannek Suhr.

WDR-Dokumentation zu Radiogeschichte: "1Live macht Stars - Die Story"

Auch Matthias Opdenhövel (links, mit Moderatorin Freddie Schürheck) gehörte zu den ersten Moderatoren des jungen Radiosenders

epd "Geil", "einzigartig", "heißester Scheiß": Ausdrücke wie diese ziehen sich wie ein roter Faden durch die dreiteilige Dokuserie zum 30-jährigen Bestehen des Radiosenders 1Live, der in den 90ern als Nachfolger von WDR1 gegründet wurde, um jüngeres Publikum anzuziehen, und später zum festen Bestandteil der deutschen Musik- und Medienlandschaft wurde. Der Stil der Dokumentation scheint typisch für Formate dieser Art. Ähnlich wie in der "Viva-Story" (2024, ebenfalls eine WDR-Produktion) schwelgen hier derzeitige wie ehemalige Beteiligte oder mit dem Sender Verbundene in nostalgischer Erinnerung und feiern die Geschichte des Senders mit Lobeshymnen.

Freddie Schürheck, selbst Moderatorin bei 1Live, führt als Host durch die Dokuserie und spricht mit früheren Moderatoren wie Sabine Heinrich und Thorsten Schorn oder Künstlern wie Campino, Clueso und Nina Chuba. Drumherum werden Archivschnipsel wie Sendungsmitschnitte, Blicke hinter die Kulissen oder Mitschnitte von Konzerten zu einer Collage zusammengebaut. "Wenn man Musik von früher hört, ist man sofort wieder in dieser Zeit", erklärt Jens Eckhoff von der Band Wir sind Helden. Das scheint auch das Konzept dieser Dokumentation zu sein: In raschem Tempo werden Songs angespielt, Sendungen angeteasert, Anekdoten ausgetauscht und Stars gezeigt, die bei 1Live zu Gast waren. All das weckt Erinnerungen an früher.

Entwicklung der deutschen Musikindustrie

Eine klare Chronologie fehlt ebenso wie ein einordnender Kommentar. Gerade zu Beginn wirkt die Doku ähnlich anarchisch, wie die Anfänge des Senders laut Erzählungen waren. Zuschauer, die nicht mit der Geschichte von 1Live vertraut sind, könnten hier etwas überfordert sein. Wichtige Informationen, beispielsweise warum 1Live seinerzeit gegründet wurde, bleiben zunächst spärlich.

Eher nebenbei zeigt die Dokumentation mit ihren zahlreichen Clips und Erinnerungen auf, wie sich die deutsche Musikindustrie von damals bis heute stilistisch entwickelt hat. In der dritten Folge geht es zum Beispiel um die Auswirkungen der Corona-Pandemie, es sind Bilder von Konzerten mit Abstand zu sehen. Sehr emotional wird es, wenn Sabine Heinrich erzählt, wie sie 2010 live die Ereignisse der Loveparade-Katastrophe beschreiben musste und von einer Partymoderatorin zur Katastrophenjournalistin wurde. Hier ändert sich der temporeiche, schrille Ton der Doku kurz. Solche Momente der Ruhe mit längeren, konzentrierten Interviewmomenten hätte man sich öfter gewünscht.

Verwurzelung in der Region

Unterschwellig setzt sich die Dokumentation auch mit den Möglichkeiten und Stärken des Mediums Radio auseinander: Gezeigt werden Live-Momente und Spontanität, verbunden mit Emotionalität, Personality und direkter Austausch mit den Hörern. Auch der soziale Faktor und die Verwurzelung in der Region durch Partys und Konzerte oder Projekte wie das "1Live Schulduell" werden erwähnt.

Und nicht zuletzt ist 1Live immer wieder als Förderer von deutschen Künstlern aufgetreten, zu denen neben Musikern auch Comedians gehörten. "Bei 1Live wurden wir gespielt, noch bevor wir überhaupt einen Plattenvertrag hatten", sagen Musiker oder: "Hier habe ich eine Bühne bekommen, die ich sonst nie gehabt hätte." Diese Funktion von Radiosendern als Förderer von Musik dürfte in Zeiten von Algorithmus-geleiteten Spotify-Playlists noch bedeutender werden.

Kreative Freiheit

Die Redakteure und Moderatorinnen, die zu Wort kommen, betonen die kreative Freiheit, die ihnen bei 1Live zugestanden wurde und dass ihnen Raum zur Entfaltung gegeben wurde. Hier sollten die Verantwortlichen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gut zuhören, denn das sind wichtige Hinweise, wie so ein gemeinwohlorientiertes Unternehmen intern organisiert sein sollte. Jochen Rausch, einer der Gründer und später auch Leiter von 1Live, erzählt, dass Verantwortliche des WDR den Machern von 1Live geraten hätten, in ein Studio abseits des Hauptsenders zu ziehen, um mehr Abstand zu den Strukturen des restlichen WDR zu haben.

Welche Rolle Radio in Zeiten von Social Media und Neustrukturierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einnimmt und wie es derzeit um die Akzeptanz eines Senders wie 1Live steht - diese Fragen klingen im Laufe der drei Folgen an, doch meist steht das Abfeiern des Senders und der mit ihm verbundenen Stars zu sehr im Vordergrund. Den einen oder anderen Denkanstoß gibt es dennoch.

infobox: "1Live macht Stars - Die Story", dreiteilige Dokumentation mit Freddie Schürheck, Regie und Buch: Melanie Didier, Kamera: Norbert Nienstedt, Detlev Hohlmann, Felicitas Klopp, Marian Wind (ARD Mediathek/WDR, seit 21.5.25, WDR, 14.6.25, 20.15-21.45 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 04.06.2025 09:45

Jannek Suhr

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KWDR, Radio, 1Live, Mediengeschichte, Dokumentation, Schürheck, Didier, Suhr

zur Startseite von epd medien