12.06.2025 08:24
Arte-Dokumentation "Tattoos - Rätsel der Südsee"
epd Tattoos sind bei jungen Menschen zunehmend populär. Besondere Bedeutung haben seit Jahrzehnten sogenannte Tribals, die statt Namenszügen, Ankern oder Seejungfrauen fast abstrakte dekorative Zeichnungen und Muster zeigen. Deren historische Vorbilder sind die in der traditionellen Kultur verwurzelten "Patutiki" aus der Inselwelt Ozeaniens zwischen Neuseeland und Osterinsel. Die auf entfernte Reiseziele spezialisierten deutschen Filmschaffenden Philipp Grieß und Eliane Koller gehen in diesem Arte-Vierteiler auf die Suche nach dieser Geschichte an einem konkreten Ort des Südpazifik: Das auf halber Strecke zwischen Hawaii und Osterinsel liegende Marquesa-Archipel, dessen ein Dutzend in der Südsee verteilte Eilande laut Off-Kommentar "als entlegenste bewohnte Inseln der Welt" gelten. Als Teil Französisch-Polynesiens sind sie aber auch vielfältig mit Europa verbunden.
Vertreter dieser besonderen Beziehung ist auch Heretu Tetahiotupa, der nach Aufenthalten in Tahiti und Europa seit neun Jahren wieder auf den Marquesas lebt. Dort ist der Sohn einer französischen Mutter und eines einheimischen Vaters seit 2020 Kulturbeauftragter der Inseln und Verantwortlicher für das größte Traditions-Festival der Region. Seit Jahren praktiziert Tetahiotupa auch selbst die "magische Kunstform", von der er sagt, ihre zugleich ästhetischen und symbolischen Praktiken brächten den Mensch erst zu seinem vollen Potential.
Eine Reise durch Zeit und Raum.
Mit einer halbnahen Einstellung vor schwarzem Hintergrund auf den unbekleideten jungen Mann mit perfekt definiertem und großflächig tätowiertem Oberkörper beginnt jedes der vier Kapitel, die die Titel "Ursprung", "Geheimnis", "Traditionen" und "Macht" tragen. Die Off-Stimme wiederholt das verbale Mantra: "Magische Zeichen. Ihr Ursprung: In Mythen verborgen. Ihre Geschichte: Tragisch. Ihre Rettung: Eine Reise durch Zeit und Raum." Damit ist wohl die Tatsache gemeint, dass nach der durch europäische Eroberung erfolgten Dezimierung der indigenen Bevölkerung durch Krankheiten und Zerstörung ihrer Kultur um die Gottheit Tiki ausgerechnet Europäer mit für die Wiederbelebung dieser Kunst sorgten: Deutsche und französische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler trugen mit ihren Forschungen auch zur Renaissance des Patutiki in den 1980ern bei.
Der im Film von seinem Enkel vertretene Karl von den Steinen sammelte bei einem achtmonatigen Aufenthalt letzte Spuren der verschwundenen Kultur und veröffentlichte diese in dem Buch "Die Marquesaner und ihre Kunst". Der Ethnologe Michael J. Koch versuchte später, von den Steinens in Lautschrift dokumentierte Aufzeichnungen zu entschlüsseln. Und Marie-Noëlle und Pierre Ottino-Garanger aus Paris widmeten ihr ganzes Forscherleben Polynesien und veröffentlichten ein Standardwerk, das heute zu Mondpreisen gehandelt wird.
Tetahiotupa nennt von den Steinen "einen wahren Held" und reist nach Berlin, um im Humboldt-Forum einen Arm zu besichtigen, dessen Tattoos auf Abbildungen nie zu sehen sind. Und er stattet den verehrten Garangers einen Besuch ab, von dem bis auf die Begrüßung im Film leider wenig zu sehen ist.
Den Part der Antagonistin spielt im Film die Körper-Künstlerin Manuela Kelley, die in ihrer oberpfälzischen Werkstatt Patutiki-Tattoos streng nach Originalvorlagen sticht. Doch wenn sie vor dem Eingriff mit Fragebogen die persönliche Disposition ihrer Kunden abfragt ("Glaubst du an Schutzengel?"), ist ihr individualistisch lebensgeschichtlicher Ansatz trotz aller Ehrfurcht vor dem Vorbild doch eher konträr zur kollektivistischen Tradition der polynesischen Kultur. Dem im Film nur indirekt angesprochenen Vorwurf kultureller Aneignung kam Kelley, die sich auch Manu Tuhuka Patutiki nennt, praktisch mit der Adoption durch marquesanische Familien zuvor - besiegelt durch Tattoos.
Deren magische Kraft beschwört Tetahiotupa im letzten Kapitel des Films noch einmal programmatisch - um dann das nahende Ende der Paradigmen von Rationalität und Vernunft zu verkünden, an deren Stelle eine neue Tiki-Spiritualität und kosmische Gemeinschaft treten soll.
Der charismatische und eloquente Vertreter seiner Kultur hat selbst schon Dokumentarfilme zur polynesischen Kultur gemacht. In dieser Dokumentation ist er in seiner Mehrfachrolle als Host, Aktivist und Prophet aber eindeutig zu dominant. Und ein ergänzender Hinweis zur oft fragwürdigen Rolle traditioneller Werte wäre angebracht gewesen. Enttäuscht hat auch, dass in der aufdeckend angelegten Erzählung Topologie und konkrete Inhalte der Patutiki-Symbolik bis zum Ende Leerstellen bleiben.
infobox: "Tattoos - Rätsel der Südsee", vierteilige Dokumentation, Regie und Buch: Philipp Grieß, Eliane Koller, Kamera: Philipp Grieß, Benjamin Picard, Thierry Thulier, Manu'a Vecker-Sue, Produktion: UFA Documentary (Arte-Mediathek/RBB, seit 8.6.25, Arte, 8.6.25, 9.30-9.55 Uhr, 15.6.25, 9.30-10.00 Uhr, 22.6.25, 9.40-10.05 Uhr, 29.6.25, 9.25-9.50 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 12.06.2025 10:24 Letzte Änderung: 12.06.2025 10:25
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, KRBB, Dokumentation, Grieß, Koller, Hallensleben, NEU
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