13.06.2025 12:00
Arte-Dokumentation "Terror und Champagner"
epd Die Quellen zum Sprechen bringen, das macht gutes dokumentarisches Fernsehen aus. Die Liste der benutzten Archive ist in der Regel beeindruckend. Es gilt, eine gute Auswahl aus der Materialfülle zu treffen, auch mit Alltagsszenen und beiläufig gedrehtem, auf den ersten Blick nebensächlichem Material. Es geht darum, Nähe herzustellen, mit Tagebuch-Exzerpten, seit einiger Zeit auch mit Graphic-Novel-Elementen und inzwischen wird auch Künstliche Intelligenz eingesetzt - damit wird allerdings die Vorstellung der authentischen Quelle ad absurdum geführt.
Die Dokumentation "Terror und Champagner - Hitlers Stellvertreter in Paris" zeigt eine für Arte nicht ungewöhnliche, für das Geschichtsfernsehen insgesamt aber bemerkenswerte Haltung: Sie ist erkennbar für deutsches und französisches Publikum gemacht. Im Fokus steht die Verflechtung von Hitler-Deutschland und Vichy-Regime, die Kollaboration. Dabei geht "Terror und Champagner" dem eher knalligen Titel zum Trotz nüchtern vor, vertraut auf die Fülle der anschaulichen Archivfunde, fügt zwar bekannte Privatbilder aus Hitlers Kreis ein, etwa vom Obersalzberg, die aber in diesem Kontext neue Geschichten erzählen.
Gut ist auch die Entscheidung, die Geschichte der Kollaboration nach der Besetzung von Paris und Nordfrankreich durch das nationalsozialistische Deutschland (1940-1944) am Beispiel der Zusammenarbeit und engen Männerfreundschaft der beiden zuständigen Botschafter, des Deutschen Otto Abetz und des Franzosen Fernand de Brinon, zu erzählen. Beide waren zwar Diplomaten, aber auch "die treibenden Kräfte der Kollaboration auf staatlicher Ebene", führten in Paris ein "glanzvolles Leben während der Kriegsjahre" mit Empfängen, Bällen und Champagner, ein Leben "zwischen fanatischer Ideologie und Opportunismus". Beide halfen "Frankreich auszuplündern und die Jagd auf Juden und Widerstandskämpfer zu organisieren".
Während Abetz, mit einer Französin verheiratet, im enteigneten Palais an der Seine das "Savoir Vivre" genoss, glaubte de Brinon, so wird es hier deutlich, verblendet nicht nur an eine "Partnerschaft auf Augenhöhe", sondern bis zum Schluss, zwangsevakuiert ins Hohenzollernschloss in Sigmaringen, dass Deutschland allein Bollwerk zum "Erhalt der Zivilisation" sei. Hier erlaubt sich der Film einen wirkungsvollen Kommentar auf der Bildebene, indem unmittelbar auf dieses Zitat ein auf einer Trage liegender befreiter KZ-Häftling gezeigt wird, dessen Augen direkt in die Kamera gerichtet sind. De Brinon war mit einer Jüdin, Lisette, verheiratet, für die er eine Ausnahmegenehmigung erlangte. Sie musste den "Judenstern" nicht an ihre Kleidung heften.
Parallel montiert der Film die Tagebuchaufzeichnungen von Josée Laval, Tochter des Kollaborationspolitikers Pierre Laval. Die enge Vertraute der Botschafter vergnügt sich beim Pferderennen, kauft einen Hut bei Balenciaga, geht mit der mit einem deutschen Offizier liierten Schauspielerin Arletty zu Dior, genießt Theater und Konzerte, zum Beispiel die Auftritte von Helmut von Karajan und Franz Léhar. Glanzvoll und amüsant scheint dieses Leben, zahlreiche Filmaufnahmen zeugen davon.
Schriftsteller wie der ausgesprochene Antisemit Louis-Ferdinand Céline bewegen sich in diesen Kreisen. Auch die Tagebücher von Ernst Jünger (der an Céline kein gutes Haar lässt) werden zitiert, ebenso die Aufzeichnungen Jean Cocteaus. Nur kurze Erwähnung finden Coco Chanel und Edith Piaf.
Eine solche Geschichte erzählt sich eigentlich fast wie von selbst, aber man muss nun einmal darauf kommen. Die Wirkung der Bildebene (hier Amüsement, dort Leid) ist besonders ausdrucksstark, während der Kommentar sich zurückhält und auf das Sachliche konzentriert.
Interessant sind die Aufnahmen aus Vichy, von der Kollaborationsregierung um Marschall Philippe Pétain, ebenso wie die Bilder von Lavals Besuch bei Hitler. Interessant sind aber vor allem die Bilder des Alltags in Paris und des besetzten Frankreich. Rationierung von Lebens- und Heizmitteln trifft die Bevölkerung, Judenverfolgungen und Deportationen finden mitten in Paris statt. Durch solche Kontraste - hier die feiernde Bourgeoisie, dort die Unterdrückten und Verfolgten - werden die Zusammenhänge von Ausplünderung und Bereicherung besonders deutlich.
Frankreich muss die Kosten der Besatzung, anfangs 20 Millionen Reichsmark täglich, später noch mehr, nach Deutschland abführen. Der Film zeigt die Ausbeute der Plünderungen jüdischer Wohnungen mit systematischer Gründlichkeit gestapelt: Wertgegenstände, kostbare Bilderrahmen, selbst Spielzeug, säuberlich geordnet. Auch der Kunsträuber Hermann Göring bedient sich.
Der Film endet mit den Urteilen, die französische Gerichte später über die französischen Beteiligten fällen. Angesichts der sorgfältig aufgearbeiteten, aufklärenden und nachvollziehbar dargestellten Zusammenhänge der Kollaboration scheint es fast ein Wunder, dass die "Französisch-Deutsche Freundschaft" in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit entstehen konnte. Ihren Wert gilt es zu schätzen, das zeigt der sehenswerte Film "Terror und Champagner" nachdrücklich.
infobox: "Terror und Champagner - Hitlers Stellvertreter in Paris", Dokumentation, Regie: Pierre-Olivier François, Buch: Jean-Marc Dreyfus, Pierre-Olivier François, Kamera: Mitja Hageluken, Grégoire Ausine, Produktion: Blueprint Film, A.P.C. (Arte/SWR, 10.6.25, 21.45-22.40 Uhr, Arte-Mediathek bis 7.9.25)
Zuerst veröffentlicht 13.06.2025 14:00
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, Dokumentation, Francois, Dreyfus, Hupertz, Nationalsozialismus
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