14.06.2025 09:00
ARD-Dokumentation "Im Inneren der Cybermafia"
epd Patrick hätte es eigentlich besser wissen müssen, denn er ist IT-Fachmann. Doch privat ließ er sich in einem Internet-Chat von einer attraktiven Asiatin zu intimen Handlungen verführen. Prompt wurde er mit dem per Webcam mitgeschnittenen Video erpresst. Aus Angst überwies er 3.000 Euro.
Die Dokumentation "Im Inneren der Cybermafia - Love. Like. Lost" aus der Reihe "Die Story im Ersten" rückt das Thema Online-Betrug in einen größeren Kontext. Zu Wort kommen in der Dokumentation von Svea Eckert, Angelika Henkel und Christiane Justus nicht nur Opfer wie der arglose Patrick aus Hannover oder ein gut aufgestellter Rentner aus München, der sich von einer charmanten asiatischen "Geschäftspartnerin" im Internet dazu verführen ließ, 250.000 Euro in eine vermeintlich todsichere Anlagemöglichkeit zu investieren. Die Autorinnen machten darüber hinaus auch zwei Täter ausfindig, die jene Art von Internet-Gaunereien betrieben, denen die beiden Opfer auf den Leim gingen.
Zu Wort kommen der Chinese Yihao Lu und der Kenianer James. Sie berichten davon, wie sie von einem sogenannten Scam Camp aus täglich mit Dutzenden Menschen in aller Welt chatteten, um sie zu betrügen. Mithilfe von versteckten Handykameras haben sie den geradezu industriell organisierten Betrug dokumentiert: "Du hast eine Abteilung, die das Tagesgeschäft macht. Es gibt ein Entwicklungsteam, das nach neuen Möglichkeiten Ausschau hält."
Eines der "Scam Camps" ist in Myanmar an der Grenze zu Thailand angesiedelt, wo seit einem Militärputsch im Jahr 2021 in weiten Teilen des Landes Bürgerkrieg herrscht. In diesem quasi rechtsfreien Raum beschäftigt eine buchstäbliche Cybermafia ein Heer von Zwangsarbeitern, die hinter Stacheldraht wie Leibeigene eingesperrt und mit Elektroschocks gefoltert werden. Yihao Lu kam gegen Zahlung von 39.000 Dollar nach sieben Monaten frei. James gelang die Flucht. Die beiden Täter, so die bittere Pointe, sind also auch Opfer.
Völlig neu ist diese Thematik nicht. Eine BBC-Dokumentation sowie ein Film des Auslandssenders Deutsche Welle berichteten bereits 2024 darüber, wie Jobsuchende aus Asien und Afrika mit gefakten Arbeitsangeboten nach Myanmar gelockt, dort eingesperrt und gezwungen werden, Kryptobetrug oder andere Scams auszuführen. Der Film von Eckert, Henkel und Justus geht etwas genauer ein auf das sogenannte Pig-Butchering, also das "Schweinemästen". Es handelt sich um eine ausgeklügelte Form des Online-Betrugs, bei dem man die Opfer wie Schweine "mästet" - also gezielt emotional manipuliert -, bevor sie "geschlachtet" werden.
Wie jener gut situierte Rentner aus München investieren libidinös angefixte Opfer manchmal viel Geld in geschickt vorgespiegelte Anlagemöglichkeiten. Im Gespräch mit einem Internet-Forensiker wird deutlich, wie häufig so etwas allein in Deutschland geschieht. Bei einigen der Betrogenen sei es schon zu Suiziden gekommen.
Du kannst ChatGPT fragen, wie man als Frau bei einem Mann Interesse erregt.
Die Dokumentation aus der Reihe "Die Story" hebt noch einen überraschenden Aspekt hervor: Die Online-Betrüger, die mit gefälschten weiblichen Accounts andere Männer über Wochen oder mehrere Monate in eine emotionale Beziehung mit freundschaftlichem, erotischem Charakter verstricken, sind meist selbst Männer. Hier kommt also auf eine abgründige Weise auch der "Gender"-Aspekt ins Spiel. Auf die Frage, wie er es als digital maskierter Mann schafft, sich gegenüber einem anderen Mann als attraktive, solvente Frau auszugeben, verweist James vor der Kamera auf die tatkräftige Mithilfe der Künstlichen Intelligenz. "Du weißt ja nicht, wie man als Frau chattet", erklärt James, "aber du kannst ChatGPT fragen, wie man als Frau bei einem Mann Interesse erregt".
Formal hat der packende Film allerdings auch Schwächen. So greift die 45-minütige Doku, wenn auch nur dosiert, auf nachinszenierte Szenen sowie Visualisierungen mittels Cartoons zurück. Die manchmal nervige Musikuntermalung forciert den Eindruck, es gehe hier um Infotainment. Dennoch ist die Dokumentation aufschlussreich und informativ.
infobox: "Im Inneren der Cybermafia - Love. Like. Lost", Dokumentation, Regie und Buch: Svea Eckert, Angelika Henkel, Christiane Justus, Kamera: Lutz Westphal, Ingo Martin (ARD/NDR, 10.6.25, 23.00-23.45 Uhr und in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 14.06.2025 11:00
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KNDR, Eckert, Henkel, Justus, Riepe
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