17.06.2025 08:12
"Deep Doku" über "Tripperburgen": "Jung, weiblich, weggesperrt"
epd Mit 15 versuchte Martina Blankenfeld sich das Leben zu nehmen. Oder, wie die heute 61-Jährige es einmal nannte: "Ich wollte, dass die Leute sich mit mir auseinandersetzen." Sie kommt zunächst in ein Krankenhaus. Doch weil ein eifriger Abschnittsbevollmächtiger der Volkspolizei in seinen Akten vermerkt hat, dass die Jugendliche die Schule schwänzt und sich mit Männern trifft, wird sie ins Klinikum Buch im Osten Berlins verlegt. Geholfen wird ihr auch dort nicht, im Gegenteil: Sie soll gebrochen werden.
"Tripperburgen" hießen diese in vielen Städten der DDR eingerichteten Institutionen. Was dort mit Tausenden junger Mädchen und Frauen geschah, ist der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Zu schambehaftet und traumatisierend waren die Erfahrungen, viele Betroffene schweigen bis heute. Nicht so Martina Blankenfeld: Mit Beharrlichkeit und schon seit vielen Jahren publizistisch begleitet von der Journalistin Sabine Seifert, forschte sie in Archiven, erkämpfte sich eine Opferrente, brachte Museen und Forschende auf die Spur. Seiferts RBB-Feature "Jung, weiblich, weggesperrt - Das lange Schweigen über die DDR-Tripperburgen" führt anschaulich und ohne künstliche Emotionalisierung ins Thema ein und zeigt den aktuellen Stand der Aufarbeitung.
Seifert zitiert den Medizinhistoriker Florian Steger, der zusammen mit Maximilian Schochow Pionierarbeit zum Thema geleistet hat. Ihm zufolge waren "weniger als 30 Prozent der Mädchen und Frauen überhaupt an Gonorrhoe, umgangssprachlich auch Tripper genannt, erkrankt". Den Zwangseinweisungen habe ein anderes Motiv zugrunde gelegen: "Es ging um Disziplinierung und Bestrafung von abweichendem Verhalten. Man wollte den sozialistischen Erziehungsauftrag umsetzen und angeblich gefährdete junge Menschen ins Kollektiv und in den Arbeitsprozess integrieren."
Steger bezeichnet die damalige Praxis als staatlich angeordnete sexualisierte Gewalt. In den geschlossenen venerologischen Abteilungen gab es keinen Hofgang, dafür gynäkologische Untersuchungen, deren Erkenntniswert gleich Null war: Obwohl nicht einmal ein Viertel der hier Zwangseingewiesenen infiziert war, mussten sie täglich Abstriche über sich ergehen lassen. Die Röhrchen wurden dafür schmerzhaft in den Körper gerammt. Hinzu kam das, was man heute psychische Gewalt nennt: Fragen nach sexuellen Vorlieben, Selbstbefriedigung, Partnern. Frauen, die dagegen zu rebellieren wagten, kassierten Schläge oder tagelanges Einsperren in eine dunkle Einzelzelle, ohne Nahrung und Wasser.
Die Kliniken waren ursprünglich zur Seuchenprophylaxe und -eindämmung eingerichtet worden - was als Idee in den ärmlichen, beengten und hygienisch problematischen Nachkriegsjahren noch sinnvoll war -, doch seit den 1960er Jahren ging es dem Regime um etwas anderes: um die Disziplinierung und gewaltsame Umerziehung, um Eingliederung ins sozialistische Kollektiv. Dass es ausgerechnet Frauen so hart traf - fast nur Frauen waren in den "Tripperburgen" eingesperrt -, mag zunächst verwundern. War nicht die DDR, was Gleichberechtigung und sexuelle Selbstbestimmung von Frauen anging, fortschrittlich? Inzwischen weiß man, dass an den Schalthebeln in der Medizin und in der Politik vor allem konservative bis prüde Männer saßen. Das Übel ging vom Weibe aus.
Das Feature zeigt auch Widersprüche zwischen juristischer Theorie und Praxis auf. So hatten Menschen wie Martina Blankenfeld auf dem Papier durchaus Rechte. Sie hätte gegen ihre Einweisung Beschwerde einlegen können. Nur hatte niemand der damals 15-Jährigen ein entsprechendes Schreiben vorgelegt. Auch theoretische Regelungen, dass bestimmte Indikationen vorliegen mussten, um in eine "Tripperburg" gesperrt zu werden, wurden in der Praxis ignoriert.
Blankenfeld setzt sich dafür ein, dass auf dem Gelände des Klinikums Buch ein Gedenkstein an das Schicksal der Mädchen und Frauen erinnert, dort, wo jetzt Eigentumswohnungen besserverdienenden Familien eine Heimat geben.
Wer "Tripperburg" googelt, findet Artikel zu dem Thema. 2024 gab es einen mehrteiligen Podcast und eine TV-Dokumentation des MDR, Anfang Juni wurde in Dresden eine neue Studie vorgestellt. Und die Forschungen sollen weitergehen. Es bewegt sich etwas. Auch mit Blick auf mögliche neue Pandemien und damit verbundene sozialpsychologische Dynamiken ist das von Bedeutung. Denn das Thema "Tripperburgen" macht zumindest verständlicher, dass es in diesem Land Tausende Menschen gibt, für die medizinische Vorschriften des Staates, und seien sie noch so vernünftig, den Horror von damals heraufbeschwören. Ein Erbe, das eine Gesellschaft als Ganze annehmen und bearbeiten sollte.
infobox: "Deep Doku: Jung, weiblich, weggesperrt - Das lange Schweigen über die DDR-Tripperburgen", Radiofeature, Regie: Roman Ruthardt, Buch: Sabine Seifert (RBB Radio 3, 11.6.25, 19.03-19.40 Uhr und in der ARD-Audiothek)
Zuerst veröffentlicht 17.06.2025 10:12
Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KRBB, Radiofeature, Deep Doku, DDR, Seifert, Lutz
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