20.06.2025 09:04
Hörspiel "Kabel & Container
epd Es beginnt mit dem Ende, mit "Z wie Zeit, Zuhause, Zufall, Zusammenbruch": Jule Böwe moduliert diese Worte in tastend verheißungsvollem, zugleich melancholischem Ton und steckt damit die Koordinaten des Hörspiels "Kabel & Container" ab. Denn was bedeutet Zeit für jemanden, der auf einem Schiff arbeitet und Zeitzonen durchkreuzt, bis er nicht mehr weiß, "wann" er ist? Oder für jemanden, der Tag für Tag an einer Supermarktkasse die immer gleichen Produkte scannt und "sammeln Sie Punkte?" fragt? Wird das Zuhause dann zu einem Punkt unter vielen oder zu einem fernen, jenseitigen Ort? Hat die Liebe in der Endlosschleife des internationalen Daten- und Warenverkehrs eine Chance? Oder bleibt nur die totale Erschöpfung?
Sofie Neu und Fabian Raith, Absolventen der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch, schicken in ihrem dramaturgisch und musikalisch dicht komponierten, dabei viel Raum für Interpretation schaffenden Hörspiel zwei Liebende und Arbeitende auf eine moderne Odyssee.
Marie, benannt nach der Mutter Gottes, arbeitet in einem Supermarkt, ihr Freund mit dem mythologischen Seefahrer-Namen Ilias hat auf einem Containerschiff angeheuert. Über Sprachnachrichten kommunizieren die beiden miteinander. Manchmal gibt es Funklöcher, dazwischen buchstabiert Böwe: "L wie Latenzen". Im Alphabet der Liebe und des Handels ist ein leerer Horizont schon lange nicht mehr vorgesehen: Egal von welchem Längen- oder Breitengrad aus, immer kreuzen Schiffe den Blick, und immer weiter füllt ihre Fracht die Regale und den Meeresgrund, Tausende verlorene Container sinken pro Jahr hinunter ins Dunkel.
"Kabel & Container" handelt auch von Machtstrukturen und Abhängigkeiten zwischen Bremerhaven und China, von asynchronen Geschwindigkeiten und von Komplexitätsreduktion. Erwähnt werden Arbeitsnomaden und Billiglohn, "Inas Nacht" und Huthis; vermessen werden historische Daten wie "zehn Jahre Bauzeit für drei Wochen kürzeren Transport" am Suezkanal, wo während des Lockdowns ein kleiner Bagger auf vielen Smartphone-Displays dieser Welt zu sehen war: Er mühte sich, ein querstehendes Schiff aus dem Sand zu buddeln und damit den Welthandel aus einer Krise zu befreien.
In erster Linie aber betreiben Neu und Raith, was der frühromantische Dichter Novalis einst die "Romantisierung der Welt" nannte: nicht die Beschönigung der Realität, wie sie in Freddy-Quinn-Liedzeilen aufbrandet, sondern ihre konsequente Verfremdung. So wird Gewöhnliches und Vertrautes geheimnisvoll, umgekehrt wirkt Unbekanntes plötzlich unheimlich vertraut. Diese Operation ist Novalis zufolge nötig, um "den ursprünglichen Sinn" wiederzufinden - anstatt sentimental einen Verlust zu beklagen oder sich in eine vermeintlich gute alte Zeit zurückzuräumen. Nur: Was ist das, der ursprüngliche Sinn?
Marie, warmherzig nüchtern gespielt von Lisa Hrdina, übt sich selbst in der hohen Schule des Romantisierens, schon um nicht durchzudrehen vor lauter Monotonie. So stellt sie sich manchmal das Schiff ihres Freundes am Ende des Warenbands ihrer Kasse vor: "Es fährt durch diesen engen, dunklen Kanal Richtung Zuhause." Die Kokosmilch wird in ihrer Vorstellung zur "MS Bamboo", die das Gebirge der Schnapsfläschchen ungerührt an sich vorbeiziehen lässt, neben sich kleine "Beiboote" in Form von Äpfeln aus Süddeutschland oder Kiwis aus Neuseeland, unter sich in unerreichbarer Tiefe die silbern glitzernden Tiefkühlbeutel. Die Durchsagen driften derweil in sanften Wahnsinn ab, angepriesen wird die Käsesorte "Schrilles Schimmelchen".
Im Kontrast zum globalisierungskritisch angespitzten, satirischen Text verblendet Martin Reckers und Paul Hauptmeiers Komposition in traumartiger Ruhe das Dröhnen von Schiffsmotoren und das Kullern von Kies mit dem Piepen des Scanvorgangs. Es ist ein immersives In- und Miteinander von Technik- und Natursounds, das überraschend organisch gelingt und aus dem vermeintlich Hässlichen rätselhaft stimmige Harmonie herauspräpariert, unter der es freilich rumort. Nebenbei erfahren wir, dass ein großer Teil der Wale Hörschäden hat wegen des Lärms in den Ozeanen.
Selbst in solchen zur Anklage taugenden Momenten umgeht das Hörspiel den belehrenden Ton des kritischen Meinungsbeitrags und arbeitet stattdessen weiter am Projekt Romantisierung: an der Schaffung eines mehrschichtigen Wahrnehmungs- und Denkraums für unser aller Eilen von A nach B, für das Grundrauschen des Warenverkehrs, des Konsums und des damit verwobenen Daten-Austauschs. Was bleibt, ist ein von Schönheit durchdrungenes, letztlich vielleicht völlig sinnfreies Pulsieren von Maschinen, Herzen und Algorithmen.
infobox: Kabel & Container", Hörspiel, Regie und Buch: Sofie Neu, Fabian Raith (Deutschlandfunk, 10.6.25, 20.05-21.00 Uhr und in der ARD-Audiothek)
Zuerst veröffentlicht 20.06.2025 11:04 Letzte Änderung: 20.06.2025 16:30
Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), Hörspiel, KDeutschlandfunk, Neu, Raith, Lutz, NEU
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