Vielleicht ist es auch ganz anders - epd medien

23.06.2025 10:33

In der neuen ARD-Serie "Warum ich?" erzählt David Schalko in sechs absurden Episoden von gruseligen Ego-Monstern. Eine brillante Serie, findet Heike Hupertz, ein Skandal sei jedoch, dass sie nicht im Ersten gezeigt wird.

Neue Serie von David Schalko: "Warum ich?"

Monika (Andrea Sawatzki) hat Jeff Kanter zu einem Privatkonzert eingeladen, aber Monika benimmt sich seltsam

epd Ein Kameraschwenk über eine Wiese, den Waldrand entlang, schon entsteht das Gefühl der Bedrohung. Dabei schießen hier erst einmal nur Menschen Vögel vom Himmel, so etwas gibt es ja. Schütze Hartmut (Oscar Kehlmann), ein Jugendlicher, wirkt jedoch auf seltsame Weise determiniert. Ungemütlich sind auch Szenenbild (Su Erdt), Kamera (Martin Gschlacht) und Musik (Kyrre Kvam).

Auf den ersten Blick ist die Folge "Mondfenster", die fünfte Episode von David Schalkos fieser Anthologie-Serie "Warum ich?" vielleicht die skurrilste der sechs absurden Geschichten. Für unlogisch wird man sie am Ende aber kaum halten können. Denn sie enthält nicht nur Science-Fiction-Bausteine, sondern Reichsbürger- und Prepper-Wahnsinn, eitle Großmannssucht und egoistisch übergriffige Fürsorglichkeit. Alles wiedererkennbar und vertraut. Denn so grotesk sich die Menschen in "Mondfenster" auch verhalten mögen, so nachvollziehbar ist es. Das ist das eigentlich Schreckliche an dieser Serie.

Konzentration auf die Schauspieler

Nach der ARD-Serie "Kafka", so wird erzählt, wollte Drehbuchautor und Regisseur David Schalko eine entspannte Kleinigkeit drehen. Ohne großen Aufwand und mit voller Konzentration auf die Schauspieler. In der Tat geben die sechs Einzelstücke von "Warum ich?" einer ganzen Riege von Künstlern Raum, Spielfreude auszuleben.

Die Räume wirken, als stammten sie von Kafka oder zumindest aus Schalkos "Kafka"-Serie - wie das Esszimmer der Wohnung in "Lebenskerze". Die Szene wirkt wie die Verkehrung der furchterregend ausgespielten Vater-Sohn-Thematik in der "Kafka"-Folge "Familie" mit Nicholas Ofczarek als Vater. In "Lebenskerze" ist es der 60. Geburtstag des eingeschüchterten Hans (Robert Palfrader), der seine grausamen Kinder auf den Plan ruft. Kaum sitzen alle um den Tisch, eskaliert die Situation. Weder Hans' ungerührte Frau Gertraud (Sylvie Rohrer) noch Sohn Georg (Sammy Scheuritzel) und Tochter Gundi (Zoe Valks) sind damit einverstanden, dass der Vater schon bald Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchte. Weil sie ihn lieben? Nein, weil sie immer nur an sich denken.

Die Kinder fragen: "Warum ich?", aber am Ende bleibt ein Restgefühl, dass es vielleicht auch ganz anders sein könnte. Dass Hans' Leidensmiene die anderen über die Jahre in den Wahnsinn getrieben hat.

Wir haben dich zu einem freien Geist erzogen.

Vielleicht ist es auch anders: Solche Verunsicherung leistet sich das Fernsehen nicht häufig. Hier aber werden Dialoge wie sinnstiftende Pflöcke in die Architektur der Folgen eingezogen, doch das Fundament scheint wie aus Treibsand gemacht. In "Mondfenster" ist zunächst alles auf Irritation gerichtet. Hartmuts Eltern (Detlev Buck und Sarah Bauerett) haben ihren abgelegenen Bauernhof mit Alufolie ausgekleidet, die Mutter kocht im Schutzanzug, der Vater sitzt vor mysteriösen physikalischen Versuchsanordnungen und behauptet, dass am Waldrand die Gravitation ende, der Mond hohl und ein Raumschiff sei und die Eroberung durch Außerirdische unmittelbar bevorstehe.

"Wir haben dich zu einem freien Geist erzogen", erinnert der Vater den Sohn Hartmut, der Mutmaßungen anzustellen beginnt über das Draußen. Wo alles vergiftet sei, ihr Geld nichts zähle, und die Gravitation in wenigen Wochen ganz erloschen sei, sagen Vater und Mutter. Es sei alles nur zum Besten des Sohnes, sagt der Vater, er sei eine anerkannte "naturwissenschaftliche Kapazität". Als "freier Geist" wisse der Sohn hoffentlich, wem er zu trauen habe. Dann kommen zwei Außerirdische (Lukas Vogelsang und Stefko Hanushevsky) und bieten dem Vater nach pseudowissenschaftlichen Diskussionen die Weltherrschaft an. Man könnte lachen, wenn es einem nicht im Hals steckenbleiben würde.

Gruselkabinett der Selbstbezogenen

Vom abgehalfterten Country-Sänger Jeff Kanter (Charly Hübner) in der Folge "Cowboys", der zum Wohnzimmerkonzert bei der zunehmend betrunkenen, zunehmend aufdringlichen und unheimlichen Monika (Andrea Sawatzki) anrückt, über die zynische Personalchefin Saskia (Nora Waldstätten) in "Regensburg", die im Zugabteil zwischen einer Ordensschwester (Bärbel Schwarz) und einem Psychologen (Bjarne Mädel) vergebens ihr Gewissen sucht, nachdem sich ein von ihr Gekündigter aus dem Zug geworfen hat: Das Gruselkabinett der Selbstbezogenen wird hier in unterschiedlich brechenden Ego-Spiegelwinkeln reflektiert.

Die letzte Folge, "Casa Carmen", spielt im Restaurant von Oberkellner Oscar Ortéga Sanchez. Hier streiten sich die Leute an den Tischen und hinter den Kulissen, ein Zehnjähriger demütigt seine Mutter (Lisa Hagmeister), eine Gattin (Nadeshda Brennicke) betrinkt sich, während ihr Mann die Familie zerlegt. Das Schicksal schlägt da zu, wo man es am wenigsten erwartet.

Ein Skandal ist jedoch, dass diese brillante Serie nicht im "Ersten", sondern bloß bei One und in der ARD-Mediathek zu sehen ist.

infobox: "Warum ich?", sechsteilige Serie, Regie und Buch: David Schalko, Kamera: Martin Gschlacht, Produktion: Superfilm (ARD-Mediathek/Degeto, ab 20.6.25, One, 26.6.25, 21.45-0.05 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 23.06.2025 12:33

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Streaming, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Serie, Schalko, Hupertz

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