Versagen in Dauerschleife - epd medien

27.06.2025 09:01

Javier Milei hat mit radikalen Parolen und einer Kettensäge als Symbol den argentinischen Präsidentenpalast erobert. Was ist von seinen Versprechen geblieben? ARD-Korrespondent Matthias Ebert zieht eine kritische Bilanz.

Arte-Dokumentation "Argentinien im Teufelskreis"

José Michael Reyes lebt im Armenviertel "Villa 31" in Buenos Aires

epd Mit bizarren Wahlkampf-Auftritten hat es Javier Milei zum Präsidenten von Argentinien gebracht. Mittlerweile ist seine Kettensäge zum Symbol für eine Politik des radikalen Abbaus staatlicher Institutionen und Leistungen geworden, wie ihn auch Elon Musk für US-Präsident Donald Trump vollzogen hat. Wie steht es inzwischen um Argentinien? Anderthalb Jahre nach Mileis Amtsantritt analysiert Matthias Ebert, der Südamerika-Korrespondent der ARD, die Lage.

Es ist zu einfach, das abstoßende Großmaul Milei als abstoßendes Großmaul abzutun. Der Mann ist studierter Wirtschaftswissenschaftler, seine ultralibertäre Ansichten fielen angesichts von grassierender Korruption und hoher Inflation auf fruchtbaren Boden. Mit markigen Sätzen schürte er wie alle rechtspopulistischen bis rechtsextremen Politiker den Hass.

Ebert kommt nicht umhin, erschreckende Beispiele auszuwählen wie dieses: "Unser Feind, der Staat, ist wie ein Pädophiler im Kindergarten." Dennoch erscheint es etwas oberflächlich, Mileis steile Karriere auf einen Satz zu reduzieren. Bekannt geworden sei dieser durch Talkshow-Auftritte. Wie das politische System Argentiniens funktioniert, wann und wieso sich Milei entschied, in die Politik zu wechseln, und auch die Frage, wie er seine Kampagne organisierte und finanzierte - mit all dem hält sich Ebert nicht weiter auf.

Beständiges Hin und Her

Gründlicher beschäftigt sich der Autor mit der Geschichte und insbesondere dem stetigen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik. Die Präsidentschaft Mileis wirkt deshalb am Ende nicht mehr so sehr wie ein einzigartiger, disruptiver Einschnitt, sondern eher wie ein weiterer Ausschlag im beständigen Hin und Her. Seine Politik ähnele jener der Militärjunta (1976-1983), die nach dem Ausbau des Wohlfahrtsstaats in der Ära Perón die hohe Inflation mit Staatsabbau, Privatisierung und liberalisiertem Handel bekämpfte, analysiert Ebert. Das Ergebnis seien hohe Auslandsschulden und eine Deindustrialisierung des Landes gewesen. "Es sollte Milei eine Warnung sein", kommentiert der Korrespondent.

Aber auch die demokratischen Kräfte fanden bisher offenbar keine Lösung für die Probleme des einst wohlhabenden Landes. Mit der Demokratie sei die Inflation zurückgekehrt, "schlimmer als zuvor". Bilder aus dem Jahr 1989 zeigen die Plünderung von Geschäften in Zeiten der Hyperinflation. In den 1990er Jahren habe es Präsident Carlos Menem wieder mit Sparpolitik und Privatisierung versucht. Die Folge seien eine hohe Arbeitslosigkeit, drastische Verschuldung und eine Pleitewelle gewesen. 2001 war auch der argentinische Staat pleite. Die Banken schlossen, wieder zogen Menschen plündernd durch die Straßen. "Uns fehlt eine langfristige Politik, weil wir uns auf kein Wirtschaftsmodell einigen können", sagt die Ökonomin Marina dal Poggetto.

Scharf rechnet Ebert mit der Korruption im Land ab. Sie durchziehe alle politischen Milieus, sagt er. Konkret nennt er die mächtigen Gewerkschaften und insbesondere die linken Galionsfiguren Néstor und Cristina Fernández de Kirchner, die nacheinander das Land zwischen 2003 und 2015 regierten. Ihnen wurde unter anderem vorgeworfen, sich an öffentlichen Aufträgen bereichert zu haben, indem diese einem Strohmann zugeschanzt wurden. Gerade hat das Oberste Gericht eine Haftstrafe gegen Cristina Kirchner bestätigt (ihr Mann ist 2010 gestorben). Es wäre allerdings fair gewesen zu recherchieren, wie es unter Milei um die Korruption bestellt ist. So fehlt etwa der Hinweis, dass der Präsident, kaum im Amt, seine Schwester Karina zur Chefin des Präsidialamtes machte.

Viele Versprechen gehalten

Milei hat, wenn man so will, viele Versprechen gehalten. Er hat die Zahl der Ministerien auf die Hälfte reduziert, hat massenhaft Staatsbedienstete gefeuert, öffentliche Bauvorhaben gestoppt, Subventionen gestrichen, die Renten eingefroren und auch sonst massiv gespart, etwa in der Bildung und bei der Gesundheitsversorgung. Das Ergebnis: Ausnahmsweise mal keine weitere Verschuldung, sondern ein Haushaltsüberschuss. Die Inflation ging stark zurück, was die Menschen entlastet. Gleichzeitig stieg die Zahl derer, die unter der Armutsgrenze leben, auf über 50 Prozent. Forschung etwa zu dürreresistenten Soja-Pflanzen wird nicht mehr finanziert, investiert wird dagegen in die Förderung von Öl und Gas. Im Land kommt es immer wieder zu Protesten, es sei "tief gespalten", sagt Ebert.

Ein Ausbrechen aus dem "Teufelskreis", wie es im Titel heißt, ist nicht in Sicht. Der Autor will den Optimismus dennoch nicht vollständig fahren lassen. Nachdem er durch Interviews mit verschiedenen Protagonisten, Anhängern wie Gegnern Mileis, die Spaltung im Land überzeugend dokumentiert und auch immer wieder Bilder von Protesten eingebaut hat, erscheint sein Resümee geradezu aberwitzig unentschieden: "Ob Mileis Projekt von der Freiheit gelingt, hängt auch davon ab, ob er das Land einen kann statt zu spalten." Vom Bemühen Mileis um Einigung oder gar Versöhnung waren in Eberts Analyse jedoch nicht einmal Spurenelemente zu entdecken.

infobox: "Argentinien im Teufelskreis", Dokumentation, Regie und Buch: Matthias Ebert, Kamera: Juan Pablo Mondini, Knut Muhrik, Produktion: SWR (SWR/Arte, 24.6.25, 23.05-0.00 Uhr und bis 23.6.26 in der Arte-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 27.06.2025 11:01 Letzte Änderung: 27.06.2025 12:51

Thomas Gehringer

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KSWR, KArte, Dokumentation, Ebert, Gehringer, BER, NEU

zur Startseite von epd medien