03.07.2025 08:53
ARD-Dokumentation "Die Spur der Tanker"
epd Russlands Versuche, mit einer sogenannten Schattenflotte westliche Öl-Sanktionen zu umgehen, sind regelmäßig Thema in der aktuellen Berichterstattung. Wer in welchem Ausmaß von der Schattenflotte profitiert und welche sicherheitspolitischen Folgen ihre Existenz hat - das ist aber möglicherweise auch gut informierten Nachrichtenkonsumenten nicht klar.
Alle wichtigen Facetten dieses Themas nehmen Lennart Banholzer und Simon Hoyme in einer äußerst temporeichen Dokumentation für die Reihe "ARD Story" in den Blick. Zu Beginn des Films erklärt Robin Brooks, der für den Thinktank Brookings Institution in Washington die Entwicklung der Ölmärkte analysiert, dass Russlands Wirtschaft hätte kollabieren können, wenn sich das Land nach dem Angriff auf die Ukraine und den folgenden Sanktionen keine Schattenflotte aufgebaut hätte. Diese Schiffe transportieren russisches Öl unter der Flagge von Barbados oder Sierra Leone, die Eigentumsverhältnisse bleiben oft unklar.
2024 verdiente Russland laut Berechnungen der Kyiv School of Economics durch den Export von Öl 230 Milliarden Dollar (196 Milliarden Euro), und der Weg zu diesen Einnahmen führt auch durch die Ostsee, durch dänisches und deutsches Hoheitsgebiet. Die Schiffsbewegungen, die sich dadurch ergeben, beschreiben Banholzer und Hoyme anhand des folgenden Beispiels: Ein Schiff der Schattenflotte wird von zwei russischen Kriegsschiffen eskortiert. Dann gesellt sich ein deutsches Marineschiff dazu, das das Geschehen beobachtet, später kommen auch die dänische Marine und ein Schiff der Deutschen Küstenwache dazu. Die Autoren erwähnen auch, dass kürzlich bei einer versuchten Kontrolle eines Schattentankers durch die estnische Marine zunächst russische Kampfflugzeuge und dann Nato-Jets aufstiegen.
Die Ostsee sei "der sicherheitspolitische Hotspot in Europa schlechthin", sagt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Banholzer und Simon Hoyme begeben sich für ihren Film gewissermaßen an die Front. Sie sind bei einer Übung auf dem Marineschiff Mosel dabei, liefern "exklusive Aufnahmen" aus der Operationszentrale eines Minenjagdboots, das zum Schutz der oft von Schattenflottenschiffen beschädigten Unterseekabel unterwegs ist, und fliegen in Aufklärungsflugzeugen über der Ostsee mit. Eine leichte Faszination für die Welt des Militärischen können sie dabei nicht verhehlen.
Eine wichtige Frage lautet: Wer kauft das russische Öl? Die Schattentanker liefern es in die Türkei, vor allem aber nach Indien, wo sich in der Großstadt Jamnagar die weltgrößte Raffinerie überhaupt befindet. Das dort verarbeitete Öl gelangt gewissermaßen auf dem Rückweg Richtung Norden unter anderem in die Häfen von Rotterdam und Hamburg. Das Center for Research of Energy and Clean Air (CREA) in Helsinki hat errechnet, dass "westliche Staaten" 2024 in der Türkei und Indien raffinierte "Ölprodukte" für 18 Milliarden Euro gekauft hätten.
Als säßen wir nicht im selben Boot.
Besonders lange wirkt ein Interview mit einem Mitarbeiter eines dänischen Lotsenunternehmens nach. Er wisse, dass das Geld, das damit verdient werde, "was aus russischen Häfen exportiert wird", Russland dazu diene, seinen Krieg in der Ukraine zu finanzieren und Frauen und Kinder zu töten, sagt Bjarne Cäsar Skinnerup. Deshalb mache er seine Arbeit "mit sehr gemischten Gefühlen." Es sei traurig, dass er "genau genommen Teil dieser Kriegsmaschine" sei. Das Unternehmen, für das er arbeitet, stand den Filmemachern für ein Interview nicht zur Verfügung.
Die Autoren gehen darauf ein, dass es auch gegen die Schattenflotte durchaus Maßnahmen gibt. Die Europäische Union sanktionierte im Mai, in der Endphase der Produktion der ARD-Dokumentation, 200 weitere Schiffe. Diese Entscheidungen brauchen allerdings einen langen Vorlauf. Dass nicht mehr getan werde, habe auch mit "Angst" vor einem Anstieg des Ölpreises und "kurzfristig schlechterem Wirtschaftswachstum" zu tun, sagt Robin Brooks. Und der litauische Außenminister Kestutis Budrys kritisiert in dem Film, dass die EU-Staaten beim Thema Sanktionen so agierten, "als säßen wir nicht im selben Boot".
Die beiden Autoren, die beeindruckende Recherchen zusammengetragen haben, sind fast durchgängig im On zu sehen - wohlgemerkt in ihrer Funktion als Reporter. Lennart Banholzers und Simon Hoymes Film ist inhaltlich enorm dicht, aber nicht überfrachtet. Und trotz der Komplexität des Themas verliert man als Zuschauer auf der "Spur der Tanker" nie den Überblick - wozu auch schnörkellose Grafiken beitragen.
infobox: "ARD-Story: Die Spur der Tanker - Wer stoppt Russlands Schattenflotte?", Dokumentation, Regie und Buch: Lennart Banholzer, Simon Hoyme, Kamera: Johannes Anders, Lennart Banholzer, Alexandra Bidrian, Simon Hoyme u.a. (ARD-Mediathek/NDR seit 20.6.25, ARD 23.6.25, 22.20-23.05 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 03.07.2025 10:53 Letzte Änderung: 03.07.2025 15:09
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Dokumentation, rem, BER, NEU
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