Mit dem Vorschlaghammer - epd medien

10.07.2025 08:10

Fenster und Türen sind plötzlich zugemauert: In dem Thriller "Brick" entwirft Autor und Regisseur Philipp Koch ein klaustrophobisches Szenario. Zunächst versuchen Tim und Olivia allein, dann zusammen mit Nachbarn ins Freie zu gelangen. Der Vorschlaghammer kommt reichlich zum Einsatz.

Gemeinsam versuchen die Bewohner des Hauses die Mauer zu durchbrechen

epd Auf den ersten Blick erinnert der Plot dieses Netflix-Thrillers an Marlen Haushofers Roman "Die Wand" (1963) beziehungsweise an den Kinofilm, den Julian Pölsler 2012 daraus entwickelt hat. Darin fährt eine Frau (Martina Gedeck) mit Freunden in deren Ferienhaus in den oberösterreichischen Bergen - und findet sich, nachdem die Freunde von einem Spaziergang ins Dorf nicht zurückgekehrt sind, in der Natur von einer undurchdringlichen gläsernen Wand umgeben. In "Brick", dessen titelgebender Ziegelstein pars pro toto ebenfalls für eine Wall steht, kann das kriselnde Hamburger Paar Tim (Matthias Schweighöfer) und Olivia (Ruby O. Fee) plötzlich seine weitläufige Stadtwohnung nicht mehr verlassen: Buchstäblich über Nacht wurden alle Öffnungen zugemauert, Haustür wie Fenster. Folgt auch hier auf den klaustrophobischen Schock ein fesselndes Albtraumszenario, nur in urbanem Ambiente?

Autor und Regisseur Philip Koch braucht wenige Minuten, um klarzumachen, dass er eine andere, konventionellere Tonlage gewählt hat. Während "Die Wand" sich zur existenzialistischen Meditation über das Zurückgeworfensein auf sich selbst entwickelt, handelt es sich hier um einen klassischen Ausbruchsthriller. Tim und Olivia beginnen Zwischenwände zum Einsturz zu bringen, erst mit dem Schlagbohrer, dann mit einem Vorschlaghammer. Dabei lernen sie ihre Nachbarn neu kennen und tun sich mit ihnen, deren Wohnungen ebenfalls komplett verschlossen sind, nach erheblichen Anfangsschwierigkeiten zum Team zusammen.

Zugang zum U-Bahn-System

Als Erstes treffen sie auf das Urlauber-Pärchen Marvin (Frederick Lau) und Ana (Salber Lee Williams), das nebenan ein Airbnb-Apartment gebucht und von allen möglichen Drogen zu viel eingeworfen hat. Ein Stockwerk darunter hausen der mit einer Pistole bewaffnete Opa Oswalt (Axel Werner) und seine Enkelin Lea (Sira-Anna Faal). Gemeinsam will sich das Sextett bis ganz nach unten durchschlagen, wo einige Luftschutzkeller Zugang zum U-Bahn-System haben sollen.

Nachdem sie bei einem kurzen Abstecher in eine weitere Wohnung ihren Vermieter tot und ohne Hände aufgefunden haben, stoßen sie noch eine Etage tiefer auf Yuri (Murathan Muslu), einen hünenhaften Verschwörungstheoretiker mit sanfter Stimme. Der erscheint sofort verdächtig, nicht nur, weil er etwas von Schutz vor Kontamination und deep state raunt, sondern auch, weil sein guter Freund Anton, ein genialischer Programmierer, angeblich gerade an Herzversagen gestorben ist.

Schablonenhafte Figuren

Der 100-Minüter "Brick" krankt nicht nur an seiner ermüdenden Vorschlaghammer-Dramaturgie, sondern auch an den schablonenhaften Figuren. Keine von ihnen vermag zu berühren, auch nicht das Protagonisten-Pärchen. Zwar wird der zu Beginn eingeführte und in Flashbacks von Tim immer wieder angerissene Konflikt zwischen den beiden noch einmal ausführlich aufgegriffen. In einer Art Geständnisrunde, in der sich alle fragen, ob es einen bestimmten Grund geben könnte, aus dem sie in diese Lage geraten sind, offenbart Olivia, dass sie eine Fehlgeburt hatte und Tim nie mit ihr über den Verlust des gemeinsamen Kindes gesprochen hat. "Du hast ’ne beschissene Wand um dich rum gebaut", schreit sie ihren Partner an. Aber da sind die zwei de facto schon längst wieder als Power-Couple vereint, und die Abkapselungs-Metapher verpufft.

In seiner Director’s Note schreibt Philip Koch von der tiefsitzenden menschlichen Urangst, in einem hermetischen System gefangen zu sein, und von den Lockdowns der Corona-Pandemie. Er will die "Brick Wall" sehr wohl als Metapher für Isolation und Depression verstanden wissen und sieht die Fluchtversuche der Eingeschlossenen als "Ausbruch aus den Mauern der Mühlen unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft". Vorgeschwebt habe ihm ein "mitreißender, unterhaltsamer Survival-Thriller (der auch Spaß machen darf)".

Visuelle Pointe

Tatsächlich aber entfaltet sein Rätselwerk, das zwischendurch noch Überwachungskameras in Rauchmeldern und die versteckte Monitorkammer eines perversen Spanners ins Deutungsspiel bringt, weder eine wirklich bedrohliche Aura noch funktioniert es als Popcorn-Entertainment. Matthias Schweighöfer gibt wie so oft den durchtrainierten Smarten, der sich als Videospiel-Programmierer praktischerweise auch auf Computer-Codes versteht, Frederick Lau steuert einmal mehr den verpeilten Simpel mit schalen Sprüchen bei. "Wir hätten einfach nach München fahren sollen und gechillt in so 'nem fucking Biergarten abhängen", seufzt er einmal in Richtung Ana.

Der Schauplatz Hamburg spielt für den in Prag gedrehten Inhouse-Horror keine größere Rolle. Lediglich eine Rauchwolke, die wegen eines Großbrands über Hafencity und Elbphilharmonie schwebt, wird gelegentlich ins Bild gesetzt - und liefert die Erklärung für eine starke Schlusseinstellung. Diese visuelle Pointe aber reißt es dann auch nicht mehr raus.

infobox: "Brick", Horrorthriller, Regie und Buch: Philip Koch, Kamera: Alexander Fischerkoesen, Produktion: Nocturna Productions, Wiedemann & Berg (Netflix, seit 10.7.25)



Zuerst veröffentlicht 10.07.2025 10:10

Peter Luley

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Streaming, KNetflix, Thriller, Koch, Luley

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