Trauer und Aufbruch - epd medien

13.07.2025 09:50

In der "Real-Life"-Serie "Menschen im Ahrtal" erinnert das ZDF an die Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021. Zwar haben die Autorinnen authentische, starke Charaktere gefunden, aber die eklatanten Versäumnisse seitens der Landesverwaltung bleiben unerwähnt.

ZDF-Dokumentation "Menschen im Ahrtal"

Ingenieurin Nicole Marzi und Bürgermeister David Fuhrmann in "Menschen im Ahrtal - vier Jahre nach der Flut"

epd Vier Jahre nach der Flutkatastrophe im Ahrtal mit 135 Toten erinnert das ZDF mit einer fünfteiligen "Real-Life-Serie" an das schreckliche Ereignis. Die Autorinnen Marion Geiger und Julia Schröter aus dem ZDF-Landesstudio Rheinland-Pfalz haben in "Menschen im Ahrtal - vier Jahre nach der Flut" die Ereignisse nicht analytisch aufgearbeitet, sondern spiegeln sie im Empfinden der Betroffenen, der Flutopfer. Unerwähnt bleiben die eklatanten Versäumnisse seitens der Landesverwaltung - dem ehemaligen Landrat Jürgen Pföhler werden zum Beispiel in einem Ermittlungsbericht schwere Verstöße gegen das Beamtenrecht vorgeworfen.

Die fünfteilige Mini-Serie zeigt eine subjektive Sicht, wie die eher affirmativen Episodentitel offenbaren: "Anpacken, nicht aufgeben!", "Abschied von der Ahr", "Ein Dank an alle Helfer", "Trauer um verunglückte Tochter" und "Chance auf Neustart". Es geht jedoch nicht um abgeschlossene Geschichten, sondern um Erzählstränge mit wiederkehrenden Protagonisten. Zentral sind die Motive Trauer und Aufbruch.

Raus aus der Opferrolle

Die Autorinnen haben authentische, starke Charaktere gefunden, wie David Fuhrmann, den ehrenamtlichen Bürgermeister von Dernau. Ihn sieht man zunächst beim "Dreckwegtag", einer Müllaufräumaktion, in der vier Jahre nach der Flut vor allem überstehende Hecken und Unrat beseitigt werden, aber auch noch eine CD aus der Flutnacht. Fuhrmann will "aus der Opferrolle raus", möchte sein Dorf zukunftsfähig machen. Sein Sohn wird bald geboren, auch für ihn sollen der neue Spielplatz, die Kita, die Ortsumgehung entstehen. Seine Partnerin lobt ihn sehr, aber das Dauerengagement belaste auch ihre Beziehung.

Bäckermeisterin Cornelia Schlösser hatte noch kurz vor dem Unglück für 120.000 Euro einen neuen Backofen gekauft. Dann, über Nacht, war das komplette Haus unbewohnbar. Vor eineinhalb Jahren entstand mit dem Geld von der Versicherung ein neuer Rohbau, doch erst im vergangenen Mai, fast vier Jahre später, hat eine Investitionsbank des Landes ihr die Fluthilfe ausgezahlt, mit der ihr Betrieb demnächst neu starten kann. Die Bürokratie ist belastender als die stärksten Flutwellen.

Heimweh nach dem Ahrtal

Handy-Videos der Flutopfer zeigen erschütternde Bilder: Ein Auto, das mit leuchtenden roten Bremslichtern in den Wassermassen vorbeitreibt, dazu hörte man den Kommentar: "Lieber Gott im Himmel!" Und man sieht in die vor Schreck aufgerissenen Augen von Rebecca Arnoldy-Heimansfeld. Als die Wassermassen anstiegen, suchte sie oben in ihrem Haus Zuflucht und wurde am folgenden Tag von einem Hubschrauber gerettet. "Wir leben!", ruft sie erleichtert.

Sie hat die Katastrophe künstlerisch verarbeitet, an der Hauswand des Abrisshauses mit viel Graffiti und Handabdrücken zahlreicher Helfer. Zu der Dankbarkeit überlebt zu haben kommt noch etwas, das auch andere Protagonisten des Films empfinden. Früher habe sie immer nur Fernweh gehabt, sagte Arnoldy-Heimannsfeld, nach der Flut empfand sie das erste Mal Heimweh.

Immense Hilfsbereitschaft

Hinzu kommen Trauer und Verlust. Katharina, die 19-jährige Tochter von Udo Kraatz ertrank, weil sie als Feuerwehrfrau einer eingeschlossenen Camperin helfen wollte. Die Eltern sind immer noch vom Schmerz über den Verlust gezeichnet; Udo Kraatz versagt mehrfach die Stimme, wenn ihn die Trauer überwältigt. An die Ahr kann er nicht mehr gehen, zu traumatisch die Erinnerung. Dazu kommt noch eine Beamtenposse: Die Gemeinde hat Erinnerungsstelen für die Flutopfer aufgestellt, aber Kraatz wollte eine in seinem Heimatort. Dank viel Eigeninitiative und vieler Spenden kann er diese schließlich einweihen. Mehrfach brechen die Eltern vor Schmerz vor der Kamera in Tränen aus. Damit überschreiten die Autorinnen auch die Belastungsgrenze der Zuschauer.

Sie zeigen aber auch die immense Hilfsbereitschaft. Katja Kohler-Golly ist Lehrerin. Sie erinnert sich noch, wie sie in der Flutnacht das Haus verließ, um die Autos in Sicherheit zu bringen. Derweil flossen die Wassermassen schon auf das Haus mit den beiden Kindern zu - ein "ohrenbetäubender Lärm", der alles im Haus durcheinanderwirbelte. Am nächsten Tag kam dann die Überraschung: "Kein Wasser, kein Strom, aber plötzlich waren alle da." Kollegen, die anpackten. So wie jetzt, wo der neue Garten ihres Hauses angelegt wird. Sie pflanzt eine Zypresse für die Zukunft. Ihr Gymnasium ist immer noch eine Containerburg - und bei Starkregen haben die Schüler ein mulmiges Gefühl.

Wenn so etwas nochmal passiert, ist das Ahrtal leer.

Nur manchmal bricht die Last sich Bahn. "Wenn so etwas nochmal passiert, ist das Ahrtal leer, von uns macht das keiner mehr mit", sagt Corinna Gilles, eine Winzertochter, die versucht, gemeinsam mit ihrem Bruder das Weingut der Familie neu aufzubauen. Viele Häuser wurden saniert - obwohl eine neue Flut nicht ausgeschlossen ist.

Über die politischen Konsequenzen der Katastrophe erfährt man wenig. Helmut Lussi, Ortsbürgermeister von Schuld, klagt darüber, dass es noch immer keine klaren Strukturen gebe, dass die Menschen den Mut beim Wiederaufbau verlören. In der letzten Folge wird der Neubau einer Brücke vorgestellt: größer, stabiler, keine einengenden Rundbögen. Gab es Überlegungen, die gefährdeten Uferbereiche zu entsiegeln? Gibt es neue Auflagen für Bauen und Hochwasserschutz? Was ist mit der politischen Verantwortung? Was mit Prävention? Davon erzählt die Dokumentation nichts.

infobox: "Menschen im Ahrtal - vier Jahre nach der Flut", fünfteilige Dokumentation, Regie und Buch: Marion Geiger, Julia Schröter, Kamera: Michele Parente, Jan Prillwitz, Leif Stange, Henrik Weimar (ZDF-Mediathek seit 27.6.25, ZDF, 16.7.25, 1.00-2.25 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 13.07.2025 11:50

Dieter Dehler

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Reportage, Geiger, Schröter, Dehler

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