Trockene Schilderung des Wahnsinns - epd medien

15.07.2025 07:50

Das Hörspiel "Srebrenica. Ich zählte mein Leben nur noch in Sekunden" von Deutschlandfunk Kultur erzählt aus drei Perspektiven über das Massaker von Srebrenica. Gerade die zurückgenommene Beschreibung der Gräueltaten an bosnischen Männern lässt die Zuhörenden nicht mehr los, urteilt Eva-Maria Lenz.

Eine muslimische Frau trauert neben am Grab ihrer Verwandten bei der Gedenkstätte Srebrenica im Juli 2024

epd Ausgerechnet in Srebrenica, einer damals im Zuge des Jugoslawienkriegs von UN-Truppen beaufsichtigten Schutzzone, fand 1995 das Aufsehen erregende Massaker statt, bei dem dorthin verschleppte bosnische Männer den systematischen Gewaltattacken der bosnisch-serbischen Militärs erlagen.

Umgeben von Drohungen und Terror, aus Angst ums eigene Leben, sahen Blauhelmsoldaten zu, wie mehr als achttausend muslimische Bosniaken ermordet wurden. Das dokumentarische Hörspiel "Srebrenica. Ich zähle mein Leben nur noch in Sekunden" vergegenwärtigt eindrücklich die damaligen Gräuel. Das Hörspiel ist auch Hörspiel des Monats Juli. Das Stück über das Massaker im ehemaligen Jugoslawien sei berührend und aufwühlend, erklärte die Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste am 8. Juli.

Drei Perspektiven

Wie kann ein Hörspiel solch extreme Angstkonstellationen und Massenerschießungen nahebringen? Armin Smailovics und Branko Simics Stück, das deren Hamburger Theaterversion variiert, erzählt bewegt aus drei teils getrennten, teils ineinandergreifenden Perspektiven: aus der der Opfer, der Täter und der passiven Blauhelmsoldaten. Als unwiderstehliche Zentralfigur profiliert sich mit größtem Textanteil im Hörspiel der Bosnier Ahmo Hasic, den Jens Harzer überzeugend spricht: Er macht die trockene Schilderung wahnsinniger Kriegsvorgänge zum gebannten Schreckensszenario in Raten, das die Zuhörenden nicht mehr loslässt.

Die Parts von Rob Zomer, dem Blauhelmsoldaten, der Sport und Abenteuer als UN-Fallschirmjäger anstrebte und in Srebrenica in die für ihn schreckliche moralische Versuchung zu kollektiver Untätigkeit geriet, und von Drazen Erdemovic, der unter Repressionen, um eine Wohnung für seine Familie zu bekommen, in Belgrad Heeresmitglied wurde und dann als Schütze auf Kommando über siebzig Bosnier erschoss, spricht die aus Jugoslawien stammende Schauspielerin Vernesa Berbo: zwei Menschen unter konträrem Befehlsterror.

Hingegen kommt Hasic im strikt durchgeplanten totalitären Verlauf der Attacken gegen die verfolgten Bosnier davon. Er wird tatsächlich nach längeren Verzögerungen in Srebrenica mitten in der Kolonne der zu Erschießenden nicht getroffen. Auf die zynische Frage der Schützen, ob etwa jemand noch lebe, reagiert er, anders als zwei gehorsam Antwortende, die sofort abgeknallt werden, nicht. Er fällt lieber um wie eine Leiche, schweigt und denkt nach, wann er vor dem drohenden Abtransport der Leichenmassen unbemerkt fliehen könnte. Er will unbedingt überleben.

Tod der Söhne ist Tiefschlag

Hasic erzählt gerne, wie er sagt, schon damit seine Gesprächspartner dann Trauer und Schmerzen mit ihm teilen, mit ihm über Extremsituationen nachdenken. Diese Wirkung hat auch das Hörspiel.

Zum Glück gelingt es Hasic, sich nachts vom Totenfeld zu entfernen, abseitige Auswege zu finden, sich gelegentlich zu verbergen, und schließlich einen gleichgesinnten, anderswo Entkommenen zu treffen, mit dem er gemeinsam, endlich wieder auf der Landstraße, weiterzieht. Nach Tagen treffen die beiden auf einen leeren Bus mit zwei Polizisten, die sie mitnehmen. Als die Polizisten in einem Restaurant einkehren, bringt der Besitzer den fast Verhungerten Getränke und Zigaretten in den Bus, schließlich sogar auf deren Wunsch eine richtige Mahlzeit. Hasic trifft hier, was er nach den serbischen Beschimpfungen braucht: den "guten Menschen".

In einem Lager für Bosnier kann er danach mithilfe des Roten Kreuzes Briefe schreiben, Freunden sein Überleben melden und nach seinen Söhnen suchen. Dass seine Söhne tot sind, ist ein Tiefschlag, der ihn jedoch nicht niederzwingt, sondern zu neuen Aktivitäten der Aufklärung motiviert. Er arbeitet mit dem internationalen Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag zusammen. Seine Aussagen führen zur Verurteilung der ihm bekannten, am Völkermord beteiligten Täter. Was er einem seiner Söhne nicht erklären konnte, setzt er nun selbst um: Nicht Rache, sondern Gerechtigkeit kann Frieden bringen. Das ist immerhin ein Hoffnungsschimmer, den die Autoren des Hörspiels den Schreckensszenarien entgegensetzen.

infobox: "Srebrenica. Ich zählte mein Leben nur noch in Sekunden", Hörspiel, Buch und Regie: Armin Smailovic, Branko Simic, Musik: Damir Avdic (Deutschlandfunk Kultur, 9.7.25, 22.05-23.00 Uhr und im Internet)



Zuerst veröffentlicht 15.07.2025 09:50 Letzte Änderung: 15.07.2025 17:44

Eva-Maria Lenz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KDLF, Hörspiel, Smailovic, Simic, Lenz, NEU

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