15.07.2025 16:09
Karlsruhe (epd). Die Zeitschrift "Der Spiegel" durfte in einem Bericht über strafrechtliche Ermittlungen zum milliardenschweren Wirecard-Betrugsskandal den Ex-Manager Oliver Bellenhaus sowohl namentlich nennen als auch ein Porträtfoto von ihm unverpixelt veröffentlichen. Da es sich um ein herausragendes Ereignis der Zeitgeschichte handele, habe die Pressefreiheit Vorrang vor dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht von Bellenhaus, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am Dienstag veröffentlichten Urteil. (AZ: VI ZR 337/22)
Da Bellenhaus selbst namentlich an die Öffentlichkeit getreten und als Kronzeuge für die Staatsanwaltschaft aufgetreten sei, gelte das erst recht, befanden die Karlsruher Richter.
Hintergrund des Rechtsstreits ist der sogenannte Wirecard-Betrugsskandal. Die Staatsanwaltschaft München wirft den Managern der mittlerweile insolventen Wirecard AG unter anderem Bilanzfälschung und Marktmanipulation in Milliardenhöhe vor. Bellenhaus leitete die Wirecard-Tochter CardSystems MiddleEast FZ-LLC in Dubai. Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hat allein diese gegenüber Geschäftspartnern 1,1 Milliarden Euro an Vermögenswerten vorgetäuscht.
Der "Spiegel" veröffentlichte am 21. November 2020 einen Artikel mit dem Titel "Der Wireclan", in dem der Betrugsskandal beleuchtet wurde. Dabei wurde auch Bellenhaus namentlich genannt und ein unverpixeltes Porträtfoto aus dem Jahr 2006 mit Anzug und Krawatte veröffentlicht. Bellenhaus sah in der identifizierenden Verdachtsberichterstattung sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt und klagte auf Unterlassung. Er habe zwar ein Teilgeständnis abgelegt, dennoch müsse die Unschuldsvermutung gelten. Eine Identifizierung sei daher nicht zulässig.
Das Oberlandesgericht München hielt die Wortberichterstattung zwar für rechtens, nicht aber die unverpixelte Bildveröffentlichung. Zwischen der Namens- und Bildberichterstattung müsse unterschieden werden. Es bestehe kein öffentliches Interesse an einem Foto von Bellenhaus aus dem Jahr 2006.
Der BGH urteilte nun, dass sowohl Wort- als auch Bildberichterstattung in einem Gesamtkontext gesehen werden müssten. Bei dem Wirecard-Skandal handele es sich um ein herausragendes Ereignis der Zeitgeschichte. Das überragende Interesse der Öffentlichkeit führe zur Zulässigkeit der Berichterstattung. Das unverfängliche Foto habe der Bebilderung des Textes gedient. Die Presse könne im Rahmen der Gesetze selbst entscheiden, "ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird".
Das gelte umso mehr, da Bellenhaus selbst an die Öffentlichkeit getreten sei, vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zum Wirecard-Skandal als Zeuge unter Nennung seines Namens ausgesagt und zuvor das Porträtfoto veröffentlicht habe.
Der "Spiegel" begrüßte die Entscheidung und sprach von einem "wegweisenden Zeichen" für die Pressefreiheit. "Dieses Urteil korrigiert eine Tendenz vieler Instanzgerichte, die in der Vergangenheit die Unschuldsvermutung übermäßig stark gewichtet hatten", erklärte das Magazin. Der BGH habe klargestellt, "dass die Unschuldsvermutung nicht grenzenlos ist und bei erheblichem öffentlichem Interesse zurücktreten muss".
fle/rid
Zuerst veröffentlicht 15.07.2025 18:09 Letzte Änderung: 16.07.2025 09:30
Schlagworte: Bundesgerichte, Medien, Wirecard, Spiegel, fle, NEU
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