18.07.2025 06:37
Ein epd-Interview mit Ex-Ampel-Sprecherin Christiane Hoffmann
Sie waren mehr als drei Jahre stellvertretende Regierungssprecherin für die Ampel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz. Wie blicken Sie heute mit ein wenig Abstand auf die Zeit zurück?
Christiane Hoffmann: Zwiespältig. Als ich mich dazu entschieden habe, die Stelle anzutreten, habe ich an das Projekt Ampel geglaubt. Ich habe nach 16 Jahren Angela Merkel einen Aufbruch gesehen und hatte die Hoffnung, dass jetzt wirklich Themen angepackt werden können. Das ist zum Teil auch gelungen. Aber einer Regierung anzugehören, die vor Ende der Legislatur auseinanderbricht, ist eine frustrierende Erfahrung.
Die Ampel-Regierung ist mit einem großen Transparenzversprechen angetreten und trotzdem saßen wir Journalistinnen und Journalisten oft vor einer Mauer des Schweigens, während dahinter gestritten wurde.
Am Anfang ist es uns gut gelungen, offen zu kommunizieren. Gerade im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg. Aber je mehr die Regierungsparteien miteinander in Konflikt gerieten, desto weniger konnten wir als Sprecherinnen und Sprecher der gesamten Regierung sagen. Ich habe mich manchmal gefragt, ob man diese Konflikte nicht hätte offensiver erklären können. Es gibt ja Argumente für oder gegen die Schuldenbremse. Vielleicht hätte man auch einfach mal beide Positionen in der Bundespressekonferenz darlegen können. Die Debatte über unterschiedliche Positionen gehört zur Demokratie. Leider wird das dann in der Berichterstattung als Streit geframet und negativ kommentiert.
Wir sollten der Kitt sein.
War es für Sie sehr herausfordernd, alle Sprecherinnen und Sprecher auf eine Linie zu bringen, wenn klar war, dass sich im Hintergrund die Koalitionäre streiten?
Mir war es von Anfang an wichtig, dass wir Sprecherinnen und Sprecher nicht zur Spaltung beitragen. Wir sollten der Kitt sein. Aber natürlich darf man diese Rolle nicht überschätzen. Wenn die erste Reihe der Politik auseinanderläuft, kann man als Sprecherin oder Sprecher keine Wunder bewirken. Trotzdem habe ich es als unsere Aufgabe gesehen, dass wir Konflikte nicht auf offener Bühne austragen oder öffentlich befeuern.
Haben Sie sich vorher viel abgesprochen?
Wenn es zu einem Thema keine politische Einigkeit gab, blieb uns meist nichts anderes übrig als die sogenannte Haltesprache. Das heißt, dass man auf laufende Gespräche verweist und die Journalistinnen und Journalisten um Geduld bittet.
Können Sie als ehemalige Journalistin nachvollziehen, wie frustrierend es ist, wenn Sprecherinnen und Sprecher mit dieser Haltesprache und Phrasen wie "Kommentiere ich nicht", "Habe ich keine Kenntnis von" oder "Dazu äußern wir uns grundsätzlich nicht" antworten?
Als Journalistin fand ich diese Sätze furchtbar. Aber ich würde sie nicht als Phrasen bezeichnen, denn es gibt einfach Situationen, in denen es nicht anders geht und sich eine Regierungssprecherin nicht konkret äußern kann, etwa, wenn es um Sicherheitsfragen geht oder die politische Ebene einfach noch nicht soweit ist. Als Sprecherin empfand ich es aber auch als frustrierend. Der Satz, den ich am meisten gehasst habe, war: "Dazu kann ich Ihnen leider nichts sagen." Mein Ziel als Sprecherin war schließlich, so viel wie möglich zu erklären.
Der Wechsel war die schwerste Entscheidung meines Lebens.
Sie haben vor ihrem Jobwechsel fast 30 Jahre als Journalistin gearbeitet. War das von Vorteil für Ihre Arbeit als Sprecherin?
Natürlich. Ich wusste, was Journalistinnen und Journalisten interessiert, auf was sie achten, und ich hatte bereits viele Kontakte in Politik und Journalismus. Trotzdem war der Wechsel die schwerste Entscheidung meines Lebens, denn ich war sehr gerne Journalistin. Es gab auch Momente, da habe ich meine frühere Arbeit vermisst, hätte gerne Kommentare geschrieben oder wäre in die Ukraine oder nach Iran gefahren. Aber bereut habe ich die Entscheidung nie. Ich habe das aus Überzeugung gemacht.
Wie haben Sie sich auf die Pressekonferenzen vorbereitet?
Ich habe vorher in der Regel mit dem Kanzler telefoniert und die großen Themen des Tages einmal durchgesprochen. Auch mit den Sprecherinnen und Sprechern der anderen Ressorts haben wir immer kurz konferiert. Zusätzlich erhalten wir Sprechzettel, die das Bundespresseamt in Abstimmung mit dem Kanzler erstellt. Sie geben eine gute Orientierung, aber ich habe mich nicht sklavisch daran gehalten.
Es ist zu gefährlich, diese Räume anderen zu überlassen.
In Ihrer letzten Regierungspressekonferenz haben Sie sehr nachdenkliche Töne angeschlagen. Sie sagten, dass Sie Zweifel daran hegen, ob die politische Kommunikation die Menschen im Land wirklich immer gut erreicht hat. Was meinen Sie damit?
Politik und Journalismus beschäftigen derzeit dieselbe große Frage: Wie erreichen wir die Menschen in dieser neuen, stark von sozialen Medien geprägten Öffentlichkeit? Der Qualitätsjournalismus und die öffentlich-rechtlichen Medien verlieren an Aufmerksamkeit und an Bindekraft. Dadurch hat auch die Politik nicht mehr so sichere Kommunikationskanäle wie früher. Mein Credo war sehr früh und ist auch immer noch, dass Politik auf allen Social-Media-Kanälen präsent sein muss. Es ist schlicht zu gefährlich, diese Räume anderen zu überlassen.
Sie sagten auch, dass sowohl die Politik als auch der Journalismus vielleicht nicht immer gut mit den Zwängen umgehen, unter denen sie stehen.
Natürlich ist es Aufgabe des Journalismus, eine kritische Distanz zu haben. Aber die wichtigste Frage aller demokratischen Kräfte der Mitte in diesen Zeiten sollte sein: Was nützt der Demokratie? Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich die demokratischen Kräfte in ihren Auseinandersetzungen zu stark aufeinander konzentrieren und vielleicht dabei ein Ergebnis erzielen, das sie eigentlich nicht erzielen wollen.
Zum Beispiel?
Was ist denn der Maßstab, den wir an Politik ansetzen? Ich sehe immer wieder einen Journalismus, der letztlich überzogene, unrealistische Erwartungen an die Politik stellt. Die Fehlertoleranz ist extrem gering, bis hin zu einer Art von Charakter-Hinrichtungen, die aufgrund von kleinen Fehlern stattfinden. Zum Beispiel eines CDU-Kanzlerkandidaten, der 2021 im Flutgebiet gelacht hat. Unrealistische Erwartungen führen dazu, dass Politik sehr grundsätzlich diskreditiert wird.
Das ist für die Demokratie nicht zuträglich.
Was meinen Sie denn mit unrealistischen Erwartungen?
Zum Beispiel, dass Deutschland den Nahostkonflikt lösen müsste, oder dass ein Politiker, der zwölf Stunden am Tag in der Öffentlichkeit steht, nie einen verrutschten oder falschen Satz sagen darf. Dazu gehört für mich auch die oben erwähnte Darstellung von öffentlichen Auseinandersetzungen als Streit. Und wenn dann ein Kompromiss erzielt wird, werden Verlierer ausgemacht und Zugeständnisse als Niederlagen geframet. Das bedeutet, dass man als Politiker gar nicht genügen kann und in jedem Fall negative Berichterstattung produziert - ob man sich einigt oder nicht. Das ist für die Demokratie nicht zuträglich. Wir haben im Moment einen hohen Verschleiß an demokratischen Politikerinnen und Politikern, die spätestens in ihren Vierzigern die Politik aus Frust oder aus Erschöpfung verlassen. Sie haben gar keine Zeit, im Amt zu reifen. Das können wir uns eigentlich nicht leisten.
Würden Sie also sagen, der Journalismus blickt zu kritisch auf die Politik?
Nein, aber es braucht Augenmaß. Man muss doch unterscheiden: Was ist ein Fehler, der passieren kann, und was ist ein grundsätzliches Problem? Wenn einzelne Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden, geht es nicht mehr darum zu verstehen, was die Person eigentlich sagen will, sondern darum, ob sie sich misslich ausdrückt oder Fehler macht. Das hat natürlich auch mit der Aufmerksamkeitsökonomie und den sozialen Medien zu tun. Wenn es nur noch darum geht, einzelne Schnipsel zu produzieren, die irgendwie klicken, weil sich dort jemand blamiert, dann hat das nichts mehr mit politischem Journalismus zu tun.
Dieses hermetische Sprechen hat große Nachteile.
Und was muss sich auf der anderen Seite ändern? Braucht die neue Bundesregierung eine andere Kommunikationsstrategie?
Zurückhaltung ist immer leichter und sicherer. Je offener oder authentischer kommuniziert wird, desto mehr Fehler passieren. Je vorsichtiger, desto weniger Fehler, aber desto mehr wächst eine Frustration in der Öffentlichkeit. Dieses hermetische Sprechen hat große Nachteile, es ist nicht gut für die Demokratie. Demokratie lebt von Kommunikation. Die Regierungspressekonferenzen sind eine riesige Chance, das Regierungshandeln zu erklären. Das gelang und gelingt oft gut. Wir hatten in unserem Team tolle Sprecherinnen und Sprecher aus den Ministerien, die mit viel Sachverstand Dinge gut erklären können. Aber in manchen Ministerien ist auch das Sicherheitsdenken vorherrschend. Aus deren Sicht ist eine Pressekonferenz dann gut gelaufen, wenn niemand darüber berichtet. Das ist die völlig falsche Herangehensweise.
Einigen Pressesprecherinnen und -sprechern kann man ansehen, dass sie sich vor der blauen Wand in der Bundespressekonferenz nicht besonders wohlfühlen.
Das sollte man als Regierung besser vermeiden. Es ist wichtig, dass alle Ministerien verstehen, dass man Persönlichkeiten braucht, die Lust auf den Job haben. Und man sollte ihnen auch vermitteln, dass die Arbeit etwas Tolles ist und sich nicht anfühlen soll wie eine Abiturprüfung oder ein Vokabeltest.
Ich finde es falsch, dass dort keine Frau mehr sitzt.
Wie finden Sie es eigentlich, dass jetzt wieder nur Männer in der Sprecherriege sitzen?
Ich schätze Stefan Kornelius sehr und habe natürlich persönlich nichts gegen die drei, aber ich finde es falsch, dass dort keine Frau mehr sitzt. Vor meinem Büro im Bundespresseamt hing die ganze Wand voller Schwarzweißfotos ehemaliger Regierungssprecher - ausnahmslos Männer. Und jetzt hat man sogar das Bemühen um ein ausgeglicheneres Verhältnis offensichtlich eingestellt. Wir waren noch lange nicht am Ziel, und jetzt machen wir schon wieder Rückschritte.
Welche Tipps haben Sie noch für Ihre Nachfolger?
Die Regierungskommunikation müsste strategischer ausgerichtet werden und sich stärker überlegen, wen sie erreichen will und wie. Ich denke, das ist in Zeiten großer Polarisierung, in denen viele Menschen im Land das Gefühl haben, übersehen zu werden, essentiell. Das bleibt oft auf der Strecke, weil die politische Arbeit so stark von der Aktualität getrieben ist. Auch das Thema Desinformation sollte einen größeren Stellenwert bekommen. Wie soll die Regierung damit in Zukunft umgehen?
Es geht nicht um Verbote, sondern um viel größere Transparenz.
Was schlagen Sie da vor?
Die Plattformen revolutionieren die öffentliche Kommunikation und die politische Meinungsbildung. Wenn wir nicht rasch lernen, damit umzugehen, wird das zu einer Gefahr für die Demokratie. Die Plattformen müssen mehr Verantwortung für die dort verbreiteten Inhalte übernehmen. Es geht nicht um Verbote, sondern um viel größere Transparenz - auch im Hinblick auf die Algorithmen. Gleichzeitig muss die Gesellschaft beteiligt werden, beispielsweise in Form von Plattformräten. Und wir brauchen eine echte politische Diskussion über dieses Thema. Sie wird noch nicht ausreichend geführt, auch aus Angst. Es gibt sehr erfolgreiche Propaganda die behauptet, dass jeder, der sich über das Thema Gedanken macht, die Meinungsfreiheit einschränken will.
Das Thema scheint Ihnen am Herzen zu liegen. Werden Sie dazu nochmal etwas schreiben?
Das könnte ich mir vorstellen.
Gibt es denn schon konkrete Pläne für die Zukunft?
Ich schreibe zunächst mal ein Buch. Aber - weil Sie das sicher fragen werden - es ist kein "Inside-Ampel”-Buch. Es wird um ein ganz anderes Thema gehen, aber das möchte ich noch nicht verraten. Ich hätte nicht gedacht, dass das Schreiben mir so fehlen würde. Und mich mit meiner eigenen Stimme zu Wort zu melden - das habe ich auch sehr vermisst.
kps
Zuerst veröffentlicht 18.07.2025 08:37 Letzte Änderung: 18.07.2025 09:00
Schlagworte: Medien, Journalismus, Bundesregierung, INT, WOR, Hoffmann, Ampel, kps, NEU
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