Kein Opfer der Verhältnisse - epd medien

22.07.2025 08:10

In "Mels Block" bevölkern überzeugende Charaktere das Rostocker Plattenbau-Viertel Groß Klein. Der Film im Rahmen der Reihe "Shooting Stars 2025 - Junges Kino im Zweiten" aus der Redaktion "Das kleine Fernsehspiel" besticht mit genauem Blick und Mut zu Grautönen, urteilt Ulrike Steglich.

Die Tragikomödie "Mels Block" im ZDF

Mel (Caro Cult) ist zurück in ihrem Revier in Rostock Groß Klein. Personenschützer Toni (Dennis Scheuermann) begleitet sie

epd Der goldene Lamborghini, der plötzlich zwischen den Plattenbauten des Rostocker Viertels Groß Klein bremst, könnte ebenso gut ein gerade gelandetes Ufo sein. Der Luxuskarosse entsteigt eine schöne wie schönheitsoptimierte Frau nebst Bodyguard, der ihr die rosa Tasche hinterherträgt. Die Frau schaut auf den Plattenbau vor ihr und sagt: "Na, mein hässliches Stück Scheiße!"

Die Frau ist 35, nennt sich Mel und ist berühmt und reich - mit Gaming plus einem von ihr vermarkteten Energy Drink hat sie es zur "Selfmade-Millionärin" gebracht. In ihrem früheren Leben hieß sie mal Melanie und ist in dem besagten Stück Scheiße groß geworden, mitten in Rostock Groß-Klein. Eine moderne Ilsebill, die es geschafft hat, den Pisspott zu verlassen. Nun ist sie zurückgekommen und hat das Stück Scheiße gekauft - der Plattenbau ist jetzt tatsächlich "Mels Block".

Eine Art Abrechnung

"Manchmal werden Orte zu Stellvertretern" - das ist ein Schlüsselsatz dieses Films. Für die erwachsene Mel (Caro Cult) ist der Block der Ort, an dem die 15-jährige Melanie (Maja Enger) gemobbt und gedemütigt wurde und nicht wusste, wohin mit ihrer Wut und Verzweiflung. Ihre Rückkehr ist also auch eine Abrechnung, ihr Reichtum bildet ein hohes Plateau, vom dem aus sie die größtmögliche Distanz zwischen sich und diesen Ort, mithin ihre Vergangenheit, bringen und von dort aus herunterschauen will. Dass das nicht so recht funktionieren wird, ahnt man schon in den ersten Szenen - denn so cool und unnahbar Mel sich auch geben will, so sehr blitzt auch eine ganz und gar natürliche Mel auf, die zugewandt und einfach nett ist zu den kleinen Mädchen, die ihr Idol belagern.

Der Film erzählt ihre Geschichte in zwei Zeitebenen, die ineinandergreifen, immer wieder wechselt er von der Gegenwart in die Rückblende und wieder retour. "Damals", Anfang der 2000er Jahre, lebt Melanie allein mit ihrer Mutter, das Internet wird allmählich zum Massenmedium, längst nicht jeder hat einen Computer, auch Melanie nicht, nur Martin aus ihrer Viererclique, bei dem sie nachmittags Spiele zocken.

Handfestes Mobbing

Jenni (Theda Kay Kosak), Melanies beste Freundin, gehört dazu, außerdem Pfütze (Caspar Gierden), in den Melanie verknallt ist und eben Martin (André Voigt). Die vier habe ihre kleinen geheimen Rituale, unter anderem mit einem Mülleimer, den sie jeden Morgen als Schutzpatron ihrer Freundschaft beschwören - was wohl kein gutes Omen ist. Denn die Freundschaft hält nur so lange, bis Jenni die zarte Annäherung zwischen Melanie und Pfütze sabotiert, gegen die Freundin wegen deren Neurodermitis stichelt und Pfütze dabei auf ihre Seite zieht.

Was Jenni und Pfütze dabei als derben "Spaß" ansehen, ist für die tief verletzte Melanie handfestes Mobbing - und sie schlägt zurück: Die Freundschaft zerbricht, Zuflucht und Trost gibt Mel in dieser Situation nicht die überforderte Mutter (die in diesem Film eigenartig schemenhaft und eindimensional bleibt), sondern eine ältere Nachbarin: Renate (Barbara Schnitzler) ist ebenfalls einsam, aber gar nicht so misanthropisch, wie sie auf den ersten Blick scheint, und sie bietet Melanie an, ihren Computer zu nutzen.

Weil es um die Jahrtausendwende noch keine Digital Natives gibt (zumindest nicht in Rostock), hat sie Melanie auch noch einiges Wissen voraus, erzählt ihr beispielsweise von Gaming Communitys - und eröffnet ihr damit so etwas wie eine Perspektive. Die Szenen der spröden Annäherung der beiden einsamen Menschen gehören in ihrer stillen Intensität zu den besten des Films - ebenso wie der Moment der ungeschminkten Ehrlichkeit zwischen der erwachsenen Mel und ihrem Bodyguard Toni (Dennis Scheuermann) auf dem Hochhausdach, in dem beide durch ihre Erfahrungen plötzlich auf Augenhöhe sind, wenn auch nur für diesen Moment.

Unangenehme Konsequenzen

Mark Sternkikers Langfilmdebüt, das auf mehreren Festivals gezeigt, unter anderem beim Max-Ophüls-Festival ausgezeichnet wurde und im Mai in die Kinos kam, beeindruckt auch durch die konsequente Verweigerung von Klischees oder simplen Erklärungsmustern. Der Stadtteil Groß Klein (den Sternkiker selbst durch seine zweijährige medienpädagogische Arbeit an einer Schule kennt) ist kein "Sozial-Ghetto", sondern geprägt durch den Alltag von Menschen, denen keine goldenen Löffelchen gereicht wurden. Und Mel ist kein Opfer der Verhältnisse, sondern eine Handelnde, die sich mit ihren Entscheidungen auch selbst schuldig macht und schließlich mit den unangenehmen Konsequenzen konfrontiert wird.

Großartig ist der Cast: Die junge Rostockerin Maja Enger wurde aus 500 Jugendlichen ausgewählt; dass sie zuvor nur Schultheatererfahrungen hatte, merkt man ihr keine Sekunde an, so sicher und nuanciert agiert sie vor der Kinokamera. Auch Theda Kay Kosak, Caspar Gierden und André Voigt überzeugen als pubertierende Freundesclique, mit all den alterstypischen Unsicherheiten und emotionalen Wirren. Grandios auch Caro Cult als erwachsene Mel in ihrer ganzen Zerrissenheit, die mit ihrem Teenager-Alter-Ego zu verschmelzen scheint. Was diesen Film auszeichnet, ist der genaue Blick und der Mut zu den Grautönen.

infobox: "Mels Block", Tragikomödie, Regie: Mark Sternkiker, Buch: Seraina Nyikos, Kamera: Stephan Buske, Frank Zimmermann, Produktion: Tidewater Pictures (ZDF-Mediathek, seit 22.7.25, ZDF, 18.8.25, 0.20-1.50 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 22.07.2025 10:10 Letzte Änderung: 23.07.2025 21:09

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Sternkiker, Nyikos, Steglich, ema, NEU

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