23.07.2025 09:05
Der ZDF-Film "Was du von mir sehen kannst"
epd Jung sein ist, subjektiv gesehen und ganz entgegen der Verklärung der Jugend durch reifere Menschen, nicht immer leicht. Diese Erkenntnis beschleicht einen, wenn man Debüt-Filme guckt. In ihnen erzählen junge Filmemacherinnen und Filmemacher gerne etwas von ihren oft selbst gesammelten, alterstypischen Einsichten über das Leben. Das wirkt auf Ältere oft etwas... - nun ja: Wussten wir schon.
Dass es mit dem Experiment einer offenen Beziehung der Mittzwanziger Gwen (Sina Genschel) und Adam (Julius Nitschkoff) wahrscheinlich nicht gut ausgehen würde, konnte man sich mit etwas mehr Lebenserfahrung vorher denken. Dennoch muss jede Generation ihre Erfahrungen selbst machen - und es mag auch Menschen geben, für die dieses Modell passt. Für Gwen, die da hineingeschlittert ist, hat es jedenfalls nicht gepasst.
Auf ihrer Australienreise nach dem Studienabschluss in Physik hat Gwen Adam kennengelernt. Zurück in Europa verfolgen die beiden große gemeinsame Pläne. Sie macht ihren Doktor in Paris, er nimmt in Frankreich ein Fotografie-Studium auf. Während die beiden übergangsweise bei seiner Familie wohnen, kommen sie in Kontakt mit dem "offenen Beziehungsmodell" von Adams Bruder und aus jugendlicher Experimentierlust (?) auf die Idee, das auch mal zu probieren. Das heißt, er schlägt es vor. Sie sagt ja. Aus Angst, ihn sonst zu verlieren? Man weiß es nicht.
Das Ausmaß ihrer Verletztheit, als sich Adam sehr schnell mit einer Zirkus-Artistin aus dem Alternativmilieu einlässt, hatte sich Gwen vorher nicht ausgemalt. Und Adam hatte sich vermutlich nicht vorstellen können, was für intensive Gefühle er für Hélène (Miralbelle Kalfon) entwickeln würde. Als Gwen von Adam schließlich die Trennung von Hélène verlangt, tut er zwar, was sie verlangt, ist aber zutiefst unglücklich. Ihr geht es mit dem sexuellen Verhältnis, das sie, nur um mit ihm gleichzuziehen, mit einem Jüngeren angefangen hat, anders. Der andere ist ihr egal. Das Ende vom Lied: Gwen und Adam haben ihre Liebe erfolgreich ruiniert.
So weit, so vorhersehbar. Die zweite Hälfte des Films ist die interessantere, denn sie gibt nachträglich Hinweise, warum Gwen sich auf die für sie dumme Idee überhaupt eingelassen hat. Nicht etwa aus Experimentierlust und Neugier oder gar wegen des philosophischen Flachsinns, den die Freundin des Bruders verzapft (und der im Film leider ernst genommen wird): irgendwas mit einer Dose, die je nachdem, wie man sie hält, unterschiedliche Schatten wirft. Genauso sei es auch mit Menschen, man lerne neue Aspekte an sich kennen, wenn man mit unterschiedlichen Menschen zu tun habe.
Ja, wer hätte das gedacht?! Dass das auch Aspekte sein können, die man gar nicht kennenlernen wollte, sagt die Schwaflerin in ihrem Dosen-Gleichnis leider nicht. Weder diese Szene ist gelungen, noch der Anklang des Titels an Mariana Lekys Erfolgsroman "Was man von hier aus sehen kann".
Letztlich hatte sich Gwen wohl nur aus mangelndem Selbstwertgefühl und aus Unsicherheit auf das Ganze eingelassen. Von ihrer Mutter wird sie abgelehnt, um ihre kleine Schwester aus einer anderen Beziehung kümmert sich die labile Mutter anscheinend weitaus besser. Ihre große Tochter will sie noch nicht mal nach ihrer Rückkehr von der Australienreise in die Arme schließen - und gewährt ihr selbst in der Not kein Obdach.
Als Adam Gwen am Ende signalisiert, dass er das geplante gemeinsame Leben mit ihr nach wie vor gerne führen möchte, sagt sie nein, das halte sie für keine gute Idee. Sie möchte - trotz aller Zuneigung - keine Beziehung mehr mit ihm. Und tatsächlich wäre jemand mit ihren Beziehungserfahrungen wohl besser dran mit jemandem, auf den sie sich verlassen kann.
Sollte das die Moral von der Geschichte gewesen sein, so ist es eine, die von bemerkenswerter Einsichtsfähigkeit, Reife und Selbstfürsorge zeugt. Der Film erzählt überwiegend auf der Ereignisebene. Man sieht, was die Figuren tun und hört, was sie sagen. Sie erklären sich aber nicht. Seinen Reim muss man sich selber machen.
Nicht gelungen sind Regisseurin und Autorin Isabelle Caps-Kuhn neben den "philosophischen" Sequenzen die hölzernen Partyszenen des Films oder Gwens Auftritte als Dozentin vor vielen Studierenden. Die Beobachtung und Darstellung der stets einsam wirkenden, klugen Hauptfigur Gwen liegen der Regisseurin und ihrer Hauptdarstellerin Sina Genschel weit mehr.
infobox: "Was du von mir sehen kannst", Fernsehfilm, Regie und Buch: Isabelle Caps-Kuhn, Kamera: Konstantin Pape, Produktion: Narrative Way GmbH, Filmakademie Baden-Württemberg (ZDF-Mediathek/Arte, seit 22.7.25, ZDF, 11.8.25, 0.10-1.35 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 23.07.2025 11:05
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Fernsehfilm, Caps-Kuhn, Kaiser
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