Bilder vom absurden Kriegsalltag - epd medien

24.07.2025 08:15

Ihre Fotos aus Kriegsgebieten sind erzählerische Dokumente. Ihren Einsatz bezahlte Anja Niedringhaus selbst mit dem Leben. Die unter anderem von SWR und Arte verantwortete Dokumentation "Den Menschen im Fokus" erinnert an ihr Leben und Werk, ohne in Kitsch und Sentimentalität abzudriften.

Eine Arte-Dokumentation erinnert an Fotografin Anja Niedringhaus

Anja Niedrighaus (M.) in Kandahar

epd Diese Dokumentation über die 2014 in Afghanistan erschossene Fotografin Anja Niedringhaus geht direkt in medias res, sowohl auf der Bildebene wie auf der Tonspur: Zu sehen ist die von ihr selbst gefilmte Fahrt in einem Militärfahrzeug, vermutlich im Irak, vermutlich eine Aufklärungsfahrt, noch fehlt die Einordnung, später findet sie statt. Niedringhaus sitzt auf engem Raum zwischen schwer bewaffneten jungen Soldaten. "Embedded", so nennt man diese Form der Kriegs- und Krisenberichterstattung. Anspannung in den Gesichtern, Niedringhaus richtet die Kamera auf sich selbst, sieht konzentriert, aber als einzige entspannt aus.

Eine He-Man-Figur als Maskottchen

Alle befragten Zeitzeugen werden sich später an ihr Lachen erinnern, auch an ihre reflektierte und humorbegabte Persönlichkeit, ihr Engagement und vor allem an ihre Professionalität. An ihre Bilder von Menschen, die dem Krieg ausgesetzt sind. Bilder ohne Adrenalin, fern jedes Technik- und Waffenfetischismus. Bilder vom oft absurd erscheinenden Alltag im Krieg, beispielsweise von jungen, fast bubihaften amerikanischen Soldaten im Irak, mit dem Maskottchen ihrer Einheit im Schlepptau: einer muskelbepackten He-Man-Plastikfigur in Soldatenmontur, die aus einem Rucksack schaut. Man möchte lachen ob der Kontrastwirkung, bevor man sich besser besinnt.

Ikonografische Bilder, die immer mehr vom Krieg erzählen und davon, was er den Menschen antut, als auf ihnen abgebildet ist. Niedringhaus' Bilder sind erzählerische Dokumente von Gewalt und Zerstörung, selbst wenn sie nicht unmittelbar zu sehen ist. Sie berichten aus den Ländern, die in den News auftauchen. Oft sind Frauen die Motive, Kinder, gibt es Seitenblicke. Als Chronistin und Zeugin hat die Fotografin ein bildliches Erbe geschaffen, das seinesgleichen sucht. Wir können uns fragen: Welche Bilder, welches fotografische Storytelling hätte Niedringhaus wohl im Krieg in der Ukraine gefunden? Welchen Ausdruck von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit? Ist Anja Niedringhaus eine Moralistin (ohne den oft negativ gemeinten Beigeschmack mutmaßlicher Überheblichkeit)? Oder verstellt das Wort bloß das Werk?

"Ein erschossener Fotograf bringt keinem was"

Der Film "Den Menschen im Fokus - Die Kriegsfotografin Anja Niedringhaus" beginnt im Militärfahrzeug, mit Nahaufnahmen, die Fotografin ist Beobachterin, aber auch Teil des Geschehens. Auf der Tonspur hört man ihre Stimme am Telefon. Sie gibt - distanziert, reflektiert - Auskunft über ihren Beruf, über ihre persönliche Berufsauffassung und das Risiko: "Ein erschossener Fotograf bringt keinem was", sagt sie (die Montage zeigt sie dazu lachend). Krieg, rohe Gewalt, Bomben, die hochgehen, "ich finde das unnormal, und das ist gut so und genau so fotografiere ich es. Wenn ich das verlieren würde, dann dürfte ich es auch nicht mehr machen."

Der Film zeigt einige ihrer berühmtesten Fotografien. Anfang der 90er, im Bosnienkrieg, sei sie noch naiv gewesen, habe sich nicht ausmalen können, "was eine Bombe überhaupt anrichten kann". Früher habe sie viel Glück gehabt, jetzt setze sie mehr ihren Verstand ein. In einem späteren Interview wird sie sagen, dass mit 50 wohl Schluss sein müsse. In einem noch späteren wird sie, konfrontiert mit diesem Schlussstrichsatz, darüber schallend lachen.

Viele Selbstaussagen und Eigeneinschätzungen

Dann ein harter Schnitt, zum ersten der hier auftretenden zahlreichen beruflichen Wegbegleiter, Familienmitglieder, Kollegen und der einen Kollegin, Kathy Gannon, die den Anschlag, bei dem Niedringhaus starb, schwer verletzt überlebte. Santiago Lyon, ehemaliger Fotochef von Associated Press, spricht über die Nachricht, die am 4. April 2014 nachts in New York ankam: Tödliches Attentat auf zwei Journalistinnen der AP in der afghanischen Provinz Chost. Ein paar "True Crime"-New-York-Stimmungsästhetik-Bilder kann sich die klassisch gebaute Doku nicht verkneifen. Eine leere nächtliche New Yorker Kreuzung, blinkende Lichter. Das schmälert die Meriten dieses Films nicht.

Auszug aus dem Katalog der vielen positiven Punkte: "Den Menschen im Fokus" zeigt alle Facetten des Werks und seiner Fotografin, etwa die Bilder von den Olympischen Spielen 2012, denn Niedringhaus war auch eine exzellente Sportfotografin. Sehr gut ist auch die Archivarbeit, deren Ergebnisse Anja Niedringhaus in vielen Selbstaussagen und Eigeneinschätzungen lebendig werden lassen. Sehr gut ist die Auswahl der Zeitzeugen, die zum großen Teil anschaulich und auf den Punkt berichten. Sehr gut ist die Auswahl der berichteten Einsätze, der Bewegtbilder aus Bosnien, Irak und Afghanistan.

Tödliches Attentat

Gut ist auch die Entscheidung, die Ausführungen eines Kollegen über die angeblich immer unterschiedliche fotografische Herangehensweise von Männern und Frauen als Kriegsabbildende zwar argumentativ zu verfolgen, aber nicht bis ins Klischee (Frauen sei eben die Opferperspektive nahe, Männern die des Kämpfenden) zu festigen. Der Film macht deutlich: Niedringhaus war zwar eine der wenigen Frauen, die als Fotojournalistin an der Front arbeiteten, aber sie war in erster Linie ein Profi mit besonderem Blick. Hervorragend ist die Entscheidung, das eigentliche Attentat am Rand der Wahlen in Afghanistan vor allem von der Person rekonstruieren und kommentieren zu lassen, die dabei gewesen ist - Kathy Gannon.

All das verhindert, dass dieser Film, vorzüglich gefilmt von Johannes Imdahl, auf die Pietäts-Kitsch-Schiene gerät, die das im Juli 2023 gesendete Dokudrama "Die Bilderkriegerin - Anja Niedringhaus" so übergefühlig gemacht hat. Obwohl es weitgehend vom selben Team stammt. Während "Die Bilderkriegerin" (Regie: Roman Kuhn, Dokumentarregie: Sonya Winterberg, Buch: Roman Kuhn und Yury Winterberg) sich in den Spielszenen mit Antje Traue als Niedringhaus lange mit Emanzipationsfragen und dem Verzicht auf Liebesglück aufhält und die Zeugen viel Gesülz von sich geben ("sie fotografierte mit dem Herzen"), führt der Verzicht auf das "Menschelnde" in diesem Film hier fokussierter, deutlicher zum Verständnis des Bildes der Menschlichkeit von Anja Niedringhaus. Insgesamt wirkt dieser Film echter, erschütternder, zumutender - und wahrer.

infobox: "Den Menschen im Fokus - Die Kriegsfotografin Anja Niedringhaus", Dokumentarfilm, Regie und Buch: Sonya Winterberg, Yury Winterberg, Kamera: Johannes Imdahl, Jürgen Rehberg, Jens Mattner, Produktion: Bildersturm Filmproduktion (Arte/SWR/HR/DW, 7.7.25, 23.25-0.20 Uhr, Arte-Mediathek bis 14.10.25)



Zuerst veröffentlicht 24.07.2025 10:15 Letzte Änderung: 25.07.2025 15:07

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik (Fernsehen), KArte, Niedringhaus, Winterberg, Dokumentation, Hupertz, NEU

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