Feucht-fröhlicher Seriencocktail - epd medien

26.07.2025 09:15

Eine Engländerin mit Alkoholproblemen, eine furiose Wohngemeinschaft und viele schöne Bilder aus Südafrika sind die Basiszutaten für die achtteilige ARD-Serie "The Moring After". Aber welche Relevanz hat das für das deutsche Publikum?

Die ARD-Serie "The Morning After"

Die Engländerin Nina (Amara Okereke) kommt für eine Reha nach Kapstadt und landet in einer ungewöhnlichen Strandhaus-WG

epd Der Bedarf an Füllstoff für die ARD Mediathek ist riesig. Auch deswegen gründeten NDR, SWR und WDR im Frühjahr 2022 die Initiative Fabfiction, die nach internationalen Koproduktionspartnern sucht. Es ist der öffentlich-rechtliche Versuch, im Wettbewerb mit Netflix und anderen Streaming-Portalen mithalten zu können - mit Inhalten, die, wie es damals in einer gemeinsamen Erklärung hieß, "für ein deutsches Publikum relevant sind und den Sehgewohnheiten der 'Streamergeneration' entsprechen". Ob das auch auf "The Morning After" zutrifft, das erste Gemeinschaftswerk, das nicht in Europa, sondern in Südafrika entstanden ist?

Kapstadt in der zweiten Hauptrolle

Bei der ARD geht man jedenfalls davon aus, dass die am südlichen Ende der Erdhalbkugel in Party-Rausch, Räucherstäbchenschwaden und Alkohol getränkten Probleme von fünf WG-Bewohnerinnen auch für hiesige Streaming-User Relevanz haben. Für einen Teil - weiblich, ledig, jung - mag das vielleicht sogar zutreffen. Girl-Power, die auf Konventionen scheißt, die liebt, wen und wo sie will, und die Kerle sind bloß Knallchargen? Coole Sache, egal auf welchem Kontinent. Wer das auf Anhieb nicht ganz so cool findet, weil das auch eine Generationenfrage ist, kann sich zumindest an südafrikanischer Landeskunde und Bildern zum Wegträumen erfreuen. Denn die zweite Hauptrolle neben Amara Okereke als Nachwuchssängerin Nina spielt Kapstadt.

Wirklich fabelhaft, wie das einladende Strand- und Stadtpanorama immer wieder ins Bild gesetzt wird. Der Verdacht kommt auf, dass etwa die Paragliding-Szene in Folge vier nur erfunden wurde, um die Schönheit Kapstadts auch mal von oben zeigen zu können. Der Stunt hat Dramatik und Komik, ja. Aber welche betrogene Ehefrau kommt ernsthaft auf die Idee, den untreuen Gatten per Gleitschirmflug in flagranti in einem Haus am Meer zu stellen?

Böses Erwachen am Strand

Genau dort, am Strand, beginnt die Story von Nina. Von ihrer Familie im englischen Hull wurde die Mittzwanzigerin für eine "Auszeit" nach Kapstadt geschickt. Sie soll in eine Klinik, um ihr Alkoholproblem in den Griff zu bekommen. Doch Nina setzt lieber ihr wildes Leben in der Fremde fort. Das bleibt nicht ohne Folgen. Das Meer rauscht, die Sonne geht auf, es ist der "Morgen danach", nach dem One-Night-Stand im Sand. Splitterfasernackt wacht Nina auf, ohne Papiere, ohne Geld, ohne Handy. Ihre Rettung sind eine Plastiktüte, die sie sich um die Hüften bindet, und Mandisa und Cleo, die die Szenerie von einem Strandcafé aus verfolgen.

Die eine ist ein schwarzes Model mit Hang zum Narzissmus, die andere Anwältin aus einfachen Verhältnissen, aber wegen ihrer weißen Hautfarbe privilegiert, was die gemeinsame Beziehung weiter verkompliziert und das lesbische Paar in eine Krise führen wird. Aber an diesem Morgen ist noch alles gut und das Mitleid mit dem mittellosen Partygirl groß. Die beiden nehmen Nina mit zu ihrem direkt am Meer gelegenen "Haus des Spaßes", das sie mit der exzentrischen Künstlerin Michaela und deren Bruder und Unternehmer-Wannabe Justin teilen.

Rhythmus und Witz der britischen Art

Die Figurenzeichnung dieser Strandhaus-Clique, zu der auch Tarquin, der Drag-Barkeeper des "Smashing Bubbles" gehört, ist so dick wie der Pinselstrich, den Michaela auf ihre wuchtigen Bilder von Vaginas aufträgt, dabei wie ein Wolf heulend. Aber egal. Alle haben ein großes Herz. Gemeinsam helfen sie Nina nicht nur, sich an dem Typen, der sie in diese Situation gebracht hat, zu rächen. Sie laden sie auch ein, in ihrer WG zu bleiben, und besorgen ihr Jobs, als Meerjungfrau bei einer Poolparty zum Beispiel oder als Sängerin auf einer Bar Mizwa. Das ist eine Gelegenheit, bei der Amara Okereke ihre fantastische Gesangstimme einsetzen kann. Bislang brillierte die englisch-nigerianische Schauspielerin vor allem in Musicals im Londoner Westend. In "The Morning After" ist sie erstmals Star einer TV-Serie und zeigt ihre Talente, von denen man sicher noch viel hören wird.

Ihre Nina ist auch begabt, wird aber immer wieder von der Sucht ausgebremst und in missliche Lagen gebracht. Wie, wird in jeder Episode in Rückblenden erzählt. Eine imaginäre Fernbedienung spult zurück an den Beginn des Schlamassels. Ein weiteres stilistisches Mittel, das "The Morning After" Rhythmus und Witz der britischen Art verleiht: Nina durchbricht immer wieder mit einem direkten Blick in die Kamera die vierte Wand und lässt die Zuschauer an ihren Gedanken teilhaben.

Ein paar Spritzer Ernsthaftigkeit

Wo in diesem Party-Rausch die versprochene Relevanz bleibt? Man muss lange suchen, etwa bis zur vierten Serienfolge, bis dem feucht-fröhlichen Seriencocktail auch ein paar Spritzer Ernsthaftigkeit beigemischt werden. Behandelte Themen sind Rassismus gegen People of Colour oder die Unmöglichkeit, Queerness außerhalb der liberalen Großstadt Kapstadt zu leben. Auch den Unterschied zwischen "coloured" und "biracial" bekommt man in einer "südafrikanischen Geschichtsstunde" erklärt.

In welchem Maß die drei ARD-Partner in Stuttgart, Hamburg und Köln inhaltlichen Input gegeben haben, ist nicht ersichtlich. German money spiegelt sich jedenfalls weder im Buch und der Regie noch im Cast. Dabei versteht sich die FabFiction-Initiative nicht nur als Geldgeber, sondern explizit auch als "Mit-Gestalter". Den meisten Streaming-Nutzern dürfte das schnuppe sein. Gefällt ihnen, was sie sehen, schlürfen, äh bingen sie die süffigen achtmal 30 Minuten "The Morning After" in einem Zug weg. Und wundern sich vielleicht ein bisschen, warum da so prominent das ARD-Logo draufpappt.

infobox: "The Morning After", Dramedy, Regie: Cindy Lee, Karen Jeynes, Buch: Thierry Cassuto, Karen Jeynes u.a., Produktion: Both Worlds Production, Paradoxal (ARD-Mediathek/NDR/SWR/WDR, seit 18.7.25)



Zuerst veröffentlicht 26.07.2025 11:15

Senta Krasser

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Streaming), Serien, KARD, Krasser

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