Ein besonderer Stern - epd medien

02.08.2025 09:05

In dem Hörspiel "Sternenhimmel der Menschheit" betrachten der Schriftsteller Raoul Schrott und die Astronomin Sibylle Anderl den nächtlichen Himmel als Bilderbuch, in das die Kulturen der Welt Mythen und Erzählungen hineinphantasieren.

Hörspiel "Sternenhimmel der Menschheit" mit Raoul Schrott

Nächtlicher Sternenhimmel mit den Plejaden

epd Raoul Schrott ist gerne unterwegs ins Große. So erregte er als junger Literaturwissenschaftler und Dichter Aufsehen mit der breit angelegten Anthologie "Die Erfindung der Poesie" (1997). Sie versammelt griechische, lateinische, arabische, hebräische, okzitanische und walisische frühe Lyrik, die er teils schmissig neu übersetzte und "Gedichte aus den ersten viertausend Jahren" nannte. Auch heute noch, mit 61, öffnet Schrott an staunenswerten Orten epochenübergreifend weltweite Horizonte. Diesmal holt er den Kosmos ins Radio. Für dieses Wagstück hat er Mut zu Lücken und eine eigene üppige Quelle: seine monumentale Edition "Atlas der Sternenhimmel und Schöpfungsmythen der Menschheit" (2024), aus der er mit der Astronomin Dr. Sibylle Anderl eine kleine Auslese ausschnitthaft akustisch vorstellt. Manche Episoden werden mit den Stimmen von Vincent zur Linden, Henriette Nagel, Steven Scharf und Cathrin Störmer lebhaft szenisch inszeniert.

"Der Mensch ist ein Sinnsucher", sagt Anderl und erzählt mit Raul Schrott, wie Menschen Sinn und Resonanz suchen auch im bestirnten Himmel über ihnen. Von Anfang an haben sie über das so beständige wie wechselhafte Bilderbuch der Nacht gestaunt, es als Philosophen und Wanderer beobachtet und gedeutet. In vielen Kulturen entdeckten sie darin Hinweise auf ihre Lebenswege. Wenn sie in die Fremde aufbrachen und wenn sie sich niederließen, haben sie es als Kalender ihrer Zeitplanung für Saat und Ernte genutzt, als Navigationshilfe auf dem Meer zu Rate gezogen, es zudem als Geschichtenschauplatz ausgeschmückt, der ihrer Existenz nahekam.

Elementares Staunen

Für seinen grundlegenden "Atlas" hat Schrott in weltweiten Kulturen einerseits übereinstimmende Sternbilder gefunden, andererseits auch verschiedene Assoziationen, die sich jeweils darum ranken. Beispielsweise ist hier nun zu hören, wie die Mayas im Sternbild Großer Wagen einen volltönenden lautstarken Papagei erleben. Locker gelingt es der Sendung zweierlei zu vermitteln: das elementare Staunen über die nächtliche Sichtbarkeit entfernter Sterne, die den Menschen, wie Schrott mehrfach sagt, sich klein fühlen lassen, zudem die Neugier auf den Stellenwert des Weltraums, zu dessen Erforschung ab Urknall und späterer Mondentstehung die Astronomin Sibylle Anderl ein paar wesentliche Hinweise gibt.

Allerlei Geschwister- und Generationsgerangel prägen hier Mythen und Legenden himmlischer Dynastien. Als überwältigende emotionale Umwälzungen spiegeln sie die Existenz der Erzählenden, besonders beeindruckend im ausführlich präsentierten Liebesfall eines Jungen, der den Kartoffelacker seiner Eltern nachts gegen Raub schützt und dabei nicht nur Erdäpfel, sondern sein Herz an die himmlische Diebin verliert. Nur mit List bringt er sie ins Haus seiner Eltern und schließlich nach einiger Zeit doch auf ihren Wunsch in ihre Herkunftshöhe zurück, wo er sie jedoch durch ihre uneinholbare Flucht verliert. Versuche, eine Art Himmelsleiter zu etablieren, funktionieren hier nur kurzfristig, nicht nachhaltig.

Sollten wir angesichts der drohenden Klimakatastrophe auswandern auf einen anderen Planeten? Das fragen Schrott und Anderl sich am Ende des Hörstücks, wenn sie von den Urzeiten auf die Gegenwart kommen. Dies wäre der falsche Traum, meint Sibylle Anderl. Für uns gäbe es keine "Ersatzheimat". Wir sollten eher sehen, "wie ideal und wie perfekt die Erde", wie feindlich der Weltraum mit krebserregender kosmischer Strahlung seien. Lieber sollten wir also alles daransetzen, unsere Erde zu retten. Schrott kann nur zustimmen: "Das, worauf wir da sitzen, ist etwas sehr, sehr Besonderes."

infobox: "Sternenhimmel der Menschheit", Hörspiel mit Raoul Schrott und Sibylle Anderl, Regie: Katja Langenbach, Buch: Raoul Schrott, Komposition: Ulrike Haage (Bayern2, 27.7.25, 15.05-16.35 Uhr und in der ARD-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 02.08.2025 11:05

Eva-Maria Lenz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KBR, Schrott, Anderl, Langenbach, Lenz

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