07.08.2025 07:15
Marie-Luise Marjan und ihre Rolle in der "Lindenstraße"
epd Schauspiel und das echte Leben sind nicht identisch. Diese banale Erkenntnis gilt auch für Marie-Luise Marjan, die möglicherweise mal Spiegeleier brät, aber nicht in München lebt, keine Kinder hat und niemals in einem Reisebüro arbeitete. Dennoch entkommt die Schaupielerin, die am 9. August ihren 85. Geburtstag feiert, ihrer Lebensrolle nicht. Als Marjan sich nach einem schweren Sturz im Juni in der Öffentlichkeit zurückmeldete, schrieb "focus.de": "So hat sich Mutter Beimer wieder ins Leben zurückgekämpft". Als hätte Mutter Beimer die Absetzung der "Lindenstraße" durch die ARD im Jahr 2020 ignoriert und führe nun ein Eigenleben in der Wirklichkeit.
Marie-Luise Marjan stört es "überhaupt nicht", wenn man sie als Helga Beimer anspricht oder wenn Medien sie auf ihre Rolle reduzieren. Das sei ein großes Kompliment, sagt sie: "Mit Erfolg habe ich Mutter Beimer 35 Jahre lang verkörpert, das ist eine lange Wegstrecke, ein halbes Leben."
Helga Beimer war in der auf dem WDR-Gelände in Köln-Bocklemünd gedrehten Serie immer da, von Anfang bis Ende, von Folge 1 bis 1.758, vom 8. Dezember 1985 bis zur Einstellung der Serie am 29. März 2020. Sie war dreifache Mutter, zweimal verheiratet und zweimal geschieden, hatte zwei Enkelkinder, war anfangs Hausfrau, später Geschäftsführerin eines Reisebüros, mischte sich gerne ein und konnte gehörig nerven.
In der von Hans W. Geißendörfer erfundenen Serie verkörperte Marie-Luise Marjan die klassisch-kleinbürgerliche Mutterfigur, weder besonders intellektuell noch emanzipiert, aber zäh und nicht ohne Sehnsüchte und Träume. Eine Heldin und Antiheldin zugleich.
Inge Meysel wollte lieber keine "Mutter der Nation" sein, Marie-Luise Marjan sieht das gelassener: "Mutter Beimer war meine 25. Mutterrolle, da nehme ich das Kompliment gerne an." Seit den 1970er Jahren war die Theaterschauspielerin auch regelmäßig in Film- und Fernsehrollen zu sehen. Weniger ins öffentliche Bild von Marie-Luise Marjan passt, dass sie zwischen 1967 und 1979 am Schauspielhaus Bochum engagiert war und mit Regisseuren wie Peter Zadek und Hans Schalla zusammenarbeitete. Ihre Überzeugung: "Jeder Mensch sollte politisch interessiert sein, sonst übernehmen es andere für einen. Man sollte auch nicht immer auf alles und jeden schimpfen, sondern selber mit anpacken."
Wir hätten noch 35 Jahre weitermachen können.
Geboren wurde sie am 9. August 1940 in Essen als Marlies Wienkötter - Marie-Luise Marjan ist ein Künstlername. Von der eigenen Mutter in ein Waisenhaus gegeben, kam sie als Kleinkind zu Pflegeeltern, die sie später adoptierten und liebevoll aufzogen, wie Marjan in Interviews betonte. Vom Vater wusste sie lange Zeit nichts, später fand sie heraus, dass er Luftwaffenoffizier war und im Zweiten Weltkrieg ums Leben kam. Erst im Zuge der Recherchen zu der WDR-Produktion "Das Geheimnis meiner Familie" (2008) erfuhr sie von der Existenz eines Halbbruders.
Als es mit der "Lindenstraße" vorbei war, habe sie zunächst mit Wehmut an die Zeit zurückgedacht, sagt Marie-Luise Marjan, "denn es war eine lange Ära in meinem Leben. Aber alles hat seine Zeit, wobei ich immer sage, wir hätten noch 35 Jahre weitermachen können, denn die aktuellen Themen, die wir verarbeitet haben, reißen nicht ab."
Die Konflikte sind vielleicht nicht zahlreicher, aber gefühlt schärfer geworden. Rassismus, Rechtsextremismus, Ausgrenzung, Armut - all das hat auch die von Hans W. Geißendörfer erfundene und produzierte "Lindenstraße" zwischen 1985 und 2020 in einer wöchentlichen Fiktion über den Alltag in einem Münchener Mehrfamilienhaus thematisiert. Ausgerechnet in dem Moment, als in Deutschland die ersten Menschen an der Corona-Pandemie starben, verzichtete die ARD auf diesen seriellen Pulsmesser der Gesellschaft. Viele halten das für einen Fehler. Wobei es natürlich naiv wäre zu glauben, dass die gesellschaftliche Realität eine andere wäre, würde es die "Lindenstraße" noch geben. Das wäre beinahe so, als würde man Marie-Luise Marjan mit Mutter Beimer verwechseln.
Copyright: Foto: Privat
Darstellung: Autorenbox
Text: Thomas Gehringer ist freier Journalist und Autor von epd medien.
Zuerst veröffentlicht 07.08.2025 09:15 Letzte Änderung: 07.08.2025 09:30
Schlagworte: Medien, Fernsehen, WDR, Personalien, Lindenstraße, Marjan, tgr, Gehringer, NEU
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