07.08.2025 09:35
ARD-Dokumentation "Der große Weinskandal"
epd Am 21. Dezember 1984 betritt ein Mann die Landwirtschaftlich-Chemische Bundesversuchsanstalt in Wien und übergibt den Beamten dort eine Flüssigkeit mit den Worten: "Das ist das Mittel, das eure Winzer in ihren Wein tun." Heute würde man diesen Mann wohl einen Whistleblower nennen. Wer er war, ist bis heute unbekannt. Sein kurzer Auftritt führte zur Aufdeckung des sogenannten Glykolweinskandals, der 1985 zunächst Österreich und dann auch Deutschland erschütterte.
In der Dokumentation "Der große Weinskandal" rekonstruiert Dominic Egizzi das, was in seinem Film einer der damaligen deutschen Ermittler als "das größte Lebensmittelverfahren, das wir je hatten", bezeichnet. 150.000 Seiten umfassen die Akten zu den Ermittlungen allein in Deutschland, sie zogen sich über zehn Jahre hin.
In Deutschland und in Österreich gab es in den 80er Jahren eine große Nachfrage nach sogenannten Prädikatsweinen. Süffig sollten sie sein und günstig. Wein wurde in immer größeren Mengen produziert. "Man hat jeden Rübenacker zu Wein gemacht", sagt der österreichische Weinjournalist Klaus Postmann. In Deutschland war und ist Rheinland-Pfalz das größte Weinbaugebiet, doch auch dort konnten die Winzer die große Nachfrage nicht befriedigen. Darum kauften sie in großen Mengen billigen österreichischen Wein hinzu, um ihn mit deutschem Wein zu verschneiden.
Die Substanz Diethylenglykol, die Anfang 1985 in der Bundesversuchsanstalt in Wien identifiziert wurde, wurde zunächst in 34 von 38 Proben eines Winzers im Burgenland nachgewiesen. Sie eignete sich besonders, erklärt Postmann, weil sie von ihren physikalischen und sensorischen Eigenschaften den Prädikatsweingeschmack nachspielte: "süß und geschmeidig". Und wenn der Wein auf Zucker getestet wurde, konnte nichts nachgewiesen werden. Große Mengen Wein aus dem Burgenland wurden beschlagnahmt, zahlreiche Winzer wurden verhaftet, österreichische Weine verschwanden aus den Regalen der Supermärkte Europas. Das Vertrauen der Verbraucher war erschüttert. Witze über Wein als Frostschutzmittel machten die Runde. Glykol wurde in Deutschland zum "Wort des Jahres 1985".
"Das kann nur einem Deutschen einfallen."
Willi Klinger, der von 2007 bis 2019 Geschäftsführer der Österreich Wein Marketing GmbH war, die 1986 nach dem Weinskandal gegründet wurde, sieht im Nachhinein eine große Mitschuld an der Panscherei bei Österreichs großem Nachbarland: "Diese romantische Vorstellung, dass ein Wein so gefällig schmeckt, aber nur einen Pappenstiel kostet, das kann nur einem Deutschen einfallen."
Der damalige deutsche Bundesgesundheitsminister Heiner Geißler warnte Anfang Juli 1985 vor österreichischen Weinen, wenig später musste das Gesundheitsministerium einräumen, dass auch deutsche Weine belastet waren. Der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl sprach im August im österreichischen Fernsehen von einem Skandal. Er als Weintrinker und Weinkenner könne "nur bedauern, dass so etwas vorkommt" und hoffe, dass die Schuldigen bestraft würden.
In Deutschland geriet vor allem das Weinhandelsunternehmen Pieroth, damals das größte Weinhandelsunternehmen des Landes, ins Visier der Ermittler. Die Unternehmensleitung versuchte die Schuld auf einige wenige Mitarbeiter zu schieben, entließ den Geschäftsführer Werner Klopfer und sprach von "versehentlichen Verunreinigungen". Es dauerte sechs Jahre, bis Anklage gegen sechs ehemalige Mitarbeiter des Unternehmens erhoben wurde. Das erste Verfahren endete mit einem Freispruch, die Staatsanwaltschaft legte Revision ein. 1996 wurde das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße von einer Million Mark eingestellt. Damit galten die Angeklagten als nicht vorbestraft.
Klopfer, der zu den Angeklagten gehörte, empört sich noch heute in Egizzis Film über die Bedingungen in der Untersuchungshaft: "Das war eine Beugehaft." Doch er und seine Mitangeklagten hätten "sehr gute Anwälte" gehabt. Heute betreibt er seinen eigenen Weinhandel.
Dominic Egizzi arbeitet in seiner Dokumentation mit vielen Zeitzeugen, vor allem aus Österreich, und viel Archivmaterial, nur wenige Szenen werden nachgestellt. Er deutet an, dass es in der Regierung von Rheinland-Pfalz Versuche gab, eine schützende Hand über das Unternehmen Pieroth und die Weinpanscher zu halten. Ein Staatsanwalt sei nach jahrelangen Ermittlungen versetzt worden. Die Richter der ersten Instanz hätten den Ermittlern vorgeworfen, dass sie unzulässigen Druck auf die Angeklagten ausgeübt hätten. Doch Egizzis Kronzeuge in der Dokumentation, der SPD-Politiker Rudolf Scharping, damals Oppositionsführer im rheinland-pfälzischen Landtag, ergeht sich in eher wolkigen Andeutungen über die Folgen des Weinskandals.
Die österreichische Justiz ging ungleich härter gegen die Weinbauern vor: Hier wurden 59 Prozesse geführt, mehrere Winzer wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Er hätte nie gedacht, dass das Betrug sei, sagt einer der Verurteilten heute, das sei doch nur ein "Verstoß gegen das Weingesetz" gewesen.
In Österreich führten die Enthüllungen zu einem strengeren Weingesetz und schärferen Kontrollen. Es sei ein "reinigender Skandal" gewesen, sagt der Weinjournalist Postmann rückblickend. Und Willi Klinger, der nach dem Weinskandal daran arbeitete, das ramponierte Image des österreichischen Weins wieder herzustellen, räumt widerstrebend ein, der Weinskandal habe "auch als Katalysator für eine Aufwärtsentwicklung" gewirkt.
infobox: "ARD-History: Der große Weinskandal - Panscher und Profit", Dokumentation, Regie und Buch: Dominic Egizzi, Kamera: Robert Neumüller, Steffen Bohnert, u.a., Produktion: PRE TV (ARD/SWR/ORF, 7.7.25, 23.05-23.50 Uhr und in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 07.08.2025 11:35
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KSWR, Egizzi, Roether
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