08.08.2025 07:15
"Zeit zu gehen?" fragt der Journalist Tadmory in einer ARD-Reportage
epd Kaum war die Assad-Diktatur im September 2024 gestürzt, sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz: "Diejenigen, die aus Syrien nach Deutschland gekommen sind, können jetzt, nachdem der Bürgerkrieg weitestgehend beendet worden ist, in ihr Heimatland zurückkehren und am Wiederaufbau teilnehmen." Das hörte sich so bedrängend an wie das AfD-Schlagwort von der "Remigration" bedrohlich: Positionen, die sich durch die Gewalttaten junger Syrer auf deutschen Straßen und Plätzen immer wieder befeuern ließen. Die Aufrufe, die Drohungen, die Stimmung haben die syrische, rund eine Million Menschen starke Community in Deutschland erreicht und den Syrer Sulaiman Tadmory, der in Hamburg als Journalist arbeitet, zu einem 30-minütigen Film veranlasst.
Sulaiman Tadmory ist Presenter des Beitrags, an dem drei weiteren Autorinnen und Autoren mitgewirkt haben. 2015 nach Deutschland geflohen, arbeitet Tadmory heute als Reporter bei "Panorama" und "STRG F". Mittlerweile deutscher Staatsbürger wie viele ehemalige syrische Geflüchtete, reist er nicht nur in seine alte Heimatstadt Homs, sondern trifft sich mit jungen und alten Syrerinnen und Syrern in Deutschland, die unterschiedliche Antworten auf die Frage "Zeit zu gehen?" haben.
Ich kenne dieses Land besser als mein eigenes Land.
Eine Umfrage zeigt, dass 66 Prozent der Syrerinnen und Syrer in Deutschland bleiben wollen. 28 Prozent sind unsicher, sechs Prozent wollen nur zeitweise bleiben. Schade, dass die Werte nicht daraufhin abgeklopft werden, ob sie statisch sind oder sich in die eine oder andere Richtung bewegt haben und bewegen.
Tadmory sucht und findet unterschiedliche Gesprächspartnerinnen und -partner. Die junge Leen lebt mit ihrer Mutter, einer alawitischen Anwältin, in Berlin. Sie steht für die Überzeugung, dass Deutschland trotz aller Spannungen und Herausforderungen für sie der beste, weil sichere Ort ist. Sie kenne Deutschland besser als ihr eigenes Land, sagt sie.
Maher, der Zahnmediziner in Münster, will ebenfalls bleiben, hat aber mit seiner deutschen Verlobten einen "Plan B" entwickelt, einen Notfallplan für den Moment, wenn die AfD an die Macht kommen sollte. Nicht nur in diesem Gespräch zeigen sich Unsicherheit und Ängste, die sicherlich nicht nur die syrische, sondern die gesamte migrantische Gemeinschaft umtreiben.
Sulaiman Tadmory führt seine Gespräche dort, wo die Interviewten leben und arbeiten und dort, wo sie gerne Zeit verbringen. Das unterstreicht den Reportage-Charakter des Films. "Zeit zu gehen?" will nicht über individuelle Schicksale berichten, sondern will herausfinden, was die Syrerinnen und Syrer mit "Heimat" verbinden und wie sie sich fühlen in einem Deutschland, in dem erkennbar mehr Abschiebungen und eine härtere Gangart in der Asylpolitik opportun sind.
Mohammed Al-Mohammed hat sich entschlossen: Mit einem Flugticket und 1.000 Euro Starthilfe, beides bezahlt vom Rückkehrprogramm des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, geht der Metallbaumeister aus Dortmund nach Syrien zurück. Er will zu seiner Familie und mit seinen Kenntnissen helfen, das Land wiederaufzubauen. Die Videosequenzen, die er Tadmory schickt, zeigen Mohammed, wie er mit dem Motorrad durchs Land braust und die Wände einer Werkstatt in Aleppo streicht. So viel Optimismus muss sein, auch wenn die Kämpfe zwischen Minderheiten immer wieder aufflammen und die israelische Luftwaffe Bomben abwirft.
Der Beitrag will die Situation der in Deutschland lebenden Syrer nicht idealisieren oder dramatisieren. Es geht um eine Bestandsaufnahme, ohne Anspruch darauf, repräsentativ zu sein. Eine Statistik wird gezeigt, nach der von der einen Million Syrer, die in Deutschland leben, 50 Prozent Bürgergeld beziehen. Von diesen arbeiten 280.000 nicht, 71.000 sind Aufstocker und 165.000 Kinder. Jene, die arbeiten könnten, es aber nicht tun, hätten keine Lust oder keine Sprachkenntnisse, heißt es.
Auch Tadmorys Mutter hat nicht Deutsch gelernt. Der Tod ihres Mannes habe sie in tiefe Trauer gestürzt, sagt sie. Ihr habe die Kraft gefehlt. Für den Journalisten ist klar: Sollte seine Mutter, die nur über eine befristete Aufenthaltsgenehmigung verfügt, gehen müssen, geht er, der in Deutschland seine Heimat gefunden hat und sich eigentlich nicht ein weiteres Mal vertreiben lassen will, mit. "Ich lass dich nicht alleine", verspricht er seiner Mutter. Auch hier Zerrissenheit und ungewisse Zukunft.
Der Film aus der "Panorama"-Redaktion hat das Magazin am gewohnten Sendeplatz am Donnerstag um 21.45 Uhr im Ersten ersetzt. Das ist so richtig wie notwendig, damit dieses wichtige Thema seinen Raum bekommt.
infobox: "Panorama: Zeit zu gehen? Deutschland, Syrien und ich", Reportage, Regie und Buch: Sulaiman Tadmory, Katharina Schiele, Jonas Schreijäg, Robert Bongen, Kamera: Henning Wirtz, David Diwiak, Lisa Maria Hagen, Elke Köhler u. a. Produktion (ARD-Mediathek/NDR, seit 7.8.25, ARD/NDR, 7.8.25, 21.45-22.15 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 08.08.2025 09:15
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), K
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