Etwas entrückt - epd medien

11.08.2025 08:10

Eigentlich wollte Wim Wenders Künstler werden, doch während des Studiums in Paris entdeckte er die große Kino-Leinwand. Marcel Wehn ehrt den Regisseur und Filmemacher zu seinem 80. Geburtstag mit einem Porträt bei Arte.

Porträt zum 80. Geburtstag: "Wim Wenders - Der ewig Suchende"

Wim Wenders in der Staatsbibliothek Berlin, in der er Szenen für "Himmel über Berlin" drehte

epd Wim Wenders gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Neuen Deutschen Films. Und er zählt zu den wenigen deutschen Regisseuren mit internationalem Renommee. Anlässlich seines 80. Geburtstags widmet Arte dem "ewig Suchenden" neben einer kleinen Retrospektive auch ein Porträt. Nach "Von einem der auszog - Wim Wenders' frühe Jahre" (2007) ist "Wim Wenders - Der ewig Suchende" bereits die zweite Arbeit von Marcel Wehn über den Regisseur, den er bewundert und zu dem er eine enge Beziehung pflegt.

Den Rahmen der einstündigen Hommage bildet der Europäische Filmpreis für Wenders' Lebenswerk, der ihm 2024 in Luzern feierlich überreicht wurde. Neben diesem glamourösen Ereignis bildet, wie schon in der Dokumentation von 2007, ein längeres Gespräch mit Wenders den roten Faden. Die Vertrautheit mit dem Autorenfilmer zeigt sich im Schluckauf, den Wenders zu Beginn des Gesprächs hat. Die Szene wurde bewusst nicht herausgeschnitten, um die Nahbarkeit des Künstlers zu zeigen, dessen ausführliche Selbstdarstellungen, vorgetragen mit heiserer Stimme, zuweilen etwas Entrücktes haben.

Die eigene Figur

Die Dokumentation beginnt mit einem Blick zurück auf die Zeit in Paris, wo Wenders Mitte der 1960er Jahre Kunst studierte, um Maler zu werden. Nebenbei schaute er "tausend Filme" pro Jahr im Kino, dadurch fokussierte sich sein Interesse allmählich auf Ausdrucksformen der großen Leinwand. Nach seinem Besuch der Filmhochschule in München ging dann alles recht schnell. Allerdings quälten ihn nach den ersten drei Filmen auch "heftige Zweifel", sagt Wenders: Im Rückblick erscheint ihm selbst sein erster abendfüllender Spielfilm "Summer in the City" wie ein Cassavetes. "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" sei "eine Art Hitchcock ohne Suspense". Und sein dritter Film, "Der scharlachrote Buchstabe", sei "auch geklaut". Der sei "David Lean für Arme".

Dieser Selbstkritik, vorgetragen mit entwaffnender Ehrlichkeit, ist nichts hinzuzufügen. Erst mit "Alice in den Städten" sei dann der Knoten geplatzt. Das sei ein Film, den kein anderer machen konnte. Er wurde, so Wenders, "ohne Drehbuch" realisiert, alles sei improvisiert. Dabei entstand das Wenders-Prinzip, das der Autor wie folgt beschreibt: "Der Mann, der durch Amerika reist und eigentlich was drüber schreiben soll, aber außer ein paar Bildern nichts hinkriegt." Das war, sagt Wenders, "meine eigene Figur".

Reisen als Prozess, um zu sich selbst zu finden.

Die Dokumentation deutet an, dass die Form des Roadmovies sich als Inhalt erweist. Es geht "um das Reisen als Prozess, um zu sich selbst zu finden". Doch dieses "Selbst" - und das ist der Knackpunkt - interessiert Wenders eigentlich gar nicht - aus Prinzip. Mehrfach kommt die Dokumentation zurück auf diese durchgängige Verweigerungshaltung gegenüber narrativen Strukturen.

Diese Abstinenz zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Werk bis zum jüngsten Kinofilm "Perfect Days" über einen Toilettenreiniger in Tokyo, der sich nach der Arbeit für Literatur und Musik interessiert. Ein Wenders-Charakter. "Wer war er", fragt sich der Regisseur vor der Kamera, um zu antworten: "Wenn man das ein bisschen weiter auserzählt hätte, dann wäre alles vorbei gewesen. Dann wäre es eine Story gewesen. Und so ist es eine Geschichte geworden." Diese Differenz zwischen Story und Geschichte, zwischen einer Narration und einer impressionistisch anmutenden filmischen Meditation, wird von Wehn zwar immer wieder thematisiert, aber leider nicht wirklich vertieft.

Bemerkenswerte Dokumentationen

Wenders' hochgelobte Meisterwerke - "Paris Texas" (1984) und "Der Himmel über Berlin" (1987), die sich ebenso der "Story" mehr oder weniger verweigern, sind nicht gut gealtert. Kritik an einigen Spielfilmen findet in der einstündigen Dokumentation erfreulicherweise auch ihren Platz. "Die Filme, die er zwischendrin in Amerika gemacht hat", so Rüdiger Vogler, der als wichtigster Darsteller die frühe Phase prägte, "habe ich nicht gemocht". Gemeint sind "In weiter Ferne so nah" (1993), "Am Ende der Gewalt" (1997) und "Million Dollar Hotel" (2000). Filme, die von der Kritik zu Recht zurückhaltend aufgenommen wurden.

Man wartet förmlich darauf, dass die Dokumentation endlich auf jenes Genre zu sprechen kommt, in dem Wenders tatsächlich Bemerkenswertes leistete und leistet. Von der Last der "Story" befreit, gelangen dem Regisseur zahlreiche einzigartige Dokumentarfilme, darunter "Anselm" über den Maler Anselm Kiefer, und "Pina - tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren". "Nick's Film - Lightning Over Water" über den todkranken Nicholas Ray oder "Buena Vista Social Club" über die greisen Musiker von Kuba werden wohl aus Platzgründen nicht erwähnt.

Vertrauensverhältnis

Dafür aber blickt Wehn dem Regisseur während Dreharbeiten zu seinem Dokumentarfilm über Peter Zumthor, der im kommenden Jahr ins Kino kommen soll, über die Schulter. Man ahnt, dass die Intensität von Wenders' Dokumentarfilmen auf der Basis eines Vertrauensverhältnisses entsteht, das der Regisseur mit seinen Protagonisten herstellt. Diese Herangehensweise spiegelt sich auch in Wehns Porträt des Filmemachers, das auf der intimen Vertrautheit mit dem Regisseur basiert, der immer wieder spontan aus dem Nähkästchen plaudert und so sein Verhältnis zum Kino aus seiner privaten Historie heraus erklärt.

Wim Wenders verpflichtet, wird in der Dokumentation allerdings viel gefühlt und wenig reflektiert. Am Ende bleibt "Wim Wenders: Der ewig Suchende" eine Hommage, die wenig Distanz zum Werk des Regisseurs aufweist.

infobox: "Wim Wenders: Der ewig Suchende", Dokumentation, Regie und Buch: Marcel Wehn, Kamera: Kumaran Herold, André Pfennig, Shaun Grimsley u. a. (Arte/ZDF, 18.8.25, 22.35-23.30 Uhr, Arte-Mediathek bis 8.11.25)



Zuerst veröffentlicht 11.08.2025 10:10 Letzte Änderung: 11.08.2025 10:32

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, KZDF, Wenders, Wehn, Riepe, NEU

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