12.08.2025 08:44
Arte-Dokumentation "Terror in der Botschaft"
epd Vor 50 Jahren überfiel das "Kommando Holger Meins", eine Gruppierung der RAF, die deutsche Botschaft von Stockholm: Der 24. April 1975 in Schweden war ein kühler Frühjahrstag, er wurde außergewöhnlich düster und blutig. Menschen wurden ermordet. Das "Kommando" wurde verhaftet. Mit "Terror in der Botschaft. Die RAF-Geiselnahme von Stockholm" hat Arte nun die traumatischen Geschehnisse dokumentiert.
Niemand hatte damals mit einer derartigen Aktion gerechnet: So konnte in Schweden der Staatschef Olof Palme, der auf Reisen war, lange nicht gefunden werden. Auch bis in Bonn der Krisenstab zusammengefunden hatte, dauerte es. Die deutsche Botschaft in Stockholm wurde durch eine Truppe von Amateuren mehr schlecht als recht verteidigt, keiner kam auf die Idee, das Gelände abzusperren.
Botschafter Dietrich Stoecker, der sich in seinem Archivraum unter dem Tisch versteckt hatte, stellte sich schließlich den Terroristen mit den Worten: "Ich glaube, Sie haben mich vergessen." Dass in der Botschaft zwei Menschen starben und nicht noch mehr, lag daran, dass die Terroristen ihre Bombe wahrscheinlich aus Versehen und nicht sachgerecht zündeten. Ein Chaos aus Pannen und Malheurs also, ein echtes Tohuwabohu.
Wie kriegt man so einen Plot als TV-Dokumentation erzählt? Nun, Filmemacherin Johanna Becker und ihr Stab haben es geschafft, vor allem mithilfe der Stockholmer Polizei, die bei diesem Dienst nicht überfordert war, ausgezeichnet mitgearbeitet hat und originale Tonaufzeichnungen zur Verfügung stellte.
Becker hat ihre Dokumentation aus drei Perspektiven erzählt: Da sind einmal die Politiker und Ordnungshüter, die Entscheidungen treffen und diese ausführen müssen. Zum zweiten erleben wir in geschickt inszenierten Reenactments die Terroristen, wie sie sich in die Botschaft einschleichen, zwölf Mitarbeiter als Geiseln nehmen und sie bedrohen. Eine von ihnen, eine Sekretärin, zwingen sie, an der Schreibmaschine die Liste ihrer Forderungen aufzusetzen.
Die dritte Perspektive ist die der Hinterbliebenen, Überlebenden, Presseleute und Chronisten, die von heute aus auf das Geschehen schauen und erzählen, wie es ihnen einst erging oder wie es zu so einem Überfall überhaupt kommen konnte. Die drei Perspektiven werden auf kunstvolle Weise miteinander verknüpft, so dass der 24. April 1975 in der deutschen Botschaft zu Stockholm noch einmal durchlebt werden kann, als historisches Ereignis und als Erfahrung.
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar, der die Geschichte der 68er und der Roten Armee Fraktion wie kein Zweiter kennt und aufgeschrieben hat, erklärt die Hintergründe der Entstehung der RAF: der Vietnamkrieg, die Entschlossenheit eines Teils der kritischen Jugend, mit der Waffe in der Hand gegen den Imperialismus der großen Mächte aufzustehen. Das "Kommando" von Stockholm gab sich den Namen des im Gefängnis nach einem Hungerstreik verstorbenen Gesinnungsgenossen Holger Meins. Es verlangte nun die Freilassung seiner übrigen inhaftierten Mitkämpfer: der Spitzenleute Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Gudrun Ensslin sowie 23 weiterer Gefangener. Im Falle der Weigerung der deutschen Regierung, dieser Forderung nachzukommen, würden sämtliche Geiseln erschossen und zusätzlich das Gebäude gesprengt werden.
Da der deutsche Staat kurz zuvor im Entführungsfall Peter Lorenz nachgegeben hatte und für die Terroristen alles gut ausgegangen war, konnten die Geiselnehmer hoffen, auch diesmal Erfolg zu haben. Aber so kam es nicht. Der Staat, fand Kanzler Helmut Schmidt, müsse jetzt Stärke zeigen.
Nichts bei dieser Terror-Tat verlief nach Plan, weder aufseiten des "Kommandos" noch auf der Seite der Stockholmer Polizei und der deutschen Krisenstäbe. Eigentlich hatte man hier wie dort gar keinen Plan. Und so ergriff der Botschafter-Sohn Folkmar Stoecker seine Chance für einen eigenen telefonischen Zugang zur Zentrale des "Kommandos", um ein mögliches Entgegenkommen des deutschen Staates vorzutäuschen und so Zeit zu gewinnen.
Folkmar Stoecker erzählt die Geschichte heute, die Tonaufnahmen sind die echten von damals. Der Terrorist Lutz Taufer hebt den Hörer ab und äußert sein Misstrauen in einer gelungenen Nachstellung. Auch Dieter Fox, Sonderkommando-Experte, lässt sich zur Sache ein. Einig ist man sich auf Seiten der Polizei, dass die Schweden keinesfalls in der Botschaft selbst ihren Krisenstab hätten einrichten dürfen. Taufer verlangt denn auch, dass die Polizei sofort abzuziehen habe, andernfalls werde eine Geisel getötet.
Als das Ultimatum abläuft, erschießen die RAF-Leute den Militär-Attaché Andreas von Mirbach. Sein Sohn Clais spricht über den Verlust, auch Oliver Hillegaart, Sohn eines zweiten Opfers, des Handelsattachés Heinz Hillegaart. Die übrigen Geiseln, unter ihnen der Botschafter, überleben. Auch von ihnen geben manche in dieser Doku ihre Erinnerungen preis.
Das Team um Becker hat eine gründliche und wohl auch langwierige Recherche hinter sich, denn 50 Jahre später ist manche Spur verwischt und mancher Zeuge verschollen. Für die Terroristen haben die Filmemacher ältere Aussagen von Karl-Heinz Dellwo eingeflochten, in denen der sich von der Gewalt distanziert.
Polizeikräfte waren in größerer Zahl zur Aussage bereit, es sind sogar zu viele. Man kann kaum glauben, dass so viele Staatsschützer so viele Fehler machen können. Die Auswahl der Opfer-Angehörigen und der traumatisierten Davongekommenen war wieder trefflich. Die größte Leistung aber ist die unaufgeregte, nüchterne, fast penible Erzählweise, die jegliche Überdramatisierung konsequent vermied, was bei diesem Stoff nicht leicht gewesen sein kann.
Der Film ist eine gelungene Hommage an die Opfer, zugleich eine Ausfaltung des Dilemmas, in dem Staatschefs stecken, die sich nicht erpressen lassen wollen. Und eine Demonstration der Sinnlosigkeit und der Selbstreferenzialität des RAF-Terrorismus, der am Ende keine anderen Ziele in seinem "antiimperialistischen Kampf" mehr kannte, als die Freipressung der eigenen hinter Gitter gebrachten Leute.
infobox: "Terror in der Botschaft. Die RAF-Geiselnahme von Stockholm", zweiteilige Dokumentation, Regie: Johanna Becker, Johannes Preuß, Buch: Martin Abrahamsson, Kamera: Jürgen Lindskog, Jean Schablin, Selma Westerling, Produktion: Nordic Eye Production, Looksfilm (Arte/ZDF, 5.8.25, 20.15-22.00 Uhr, Arte-Mediathek bis 2.11.25)
Zuerst veröffentlicht 12.08.2025 10:44 Letzte Änderung: 12.08.2025 16:21
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, KZDF, Dokumentation, Becker, Preuß, Sichtermann, BER, NEU
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