14.08.2025 08:53
Für "Y-Kollektiv" macht Lisa Altmeier den "Jobtest Erzieherin"
epd "Ich bin Lisa." Nach diesem Satz ahnt man, was nun kommt: Die nächste halbe Stunde wird eine dieser eher schlichten Reportagen zu sehen sein, in denen die Reporterin als Protagonistin auftritt und die so "jung" und "authentisch" wirken sollen. Ihre Mutter sei Erzieherin, erfahren wir von Ich-Erzählerin Lisa in "Jobtest: Erzieherin". Aha. Und sie selbst möge Kinder so gern, dass sie selbst welche hat. Ja, und?
Einmal fällt die junge Frau, die mit Nachnamen Altmeier heißt, aus der Reporterinnen-Rolle und spricht nur noch als Mutter. Als eine Erzieherin ihr erzählt, welche Missstände es in ihrem Beruf gebe, entgegnet Lisa Altmeier, es sei - "nix gegen dich" - "nicht so besonders schön", sich mit ihr zu unterhalten. Wie bitte? Über diese Bemerkung ist nicht nur die arme Frau perplex. Ja, als Mutter sei es halt nicht schön, so etwas zu hören. Bemerkenswert, dass eine Szene, die die Reporterin derart ich-bezogen dastehen lässt, nicht herausgeschnitten wurde. Aber das Ich ist hier Programm und Lisa wirkt an dieser Stelle auch wirklich authentisch.
Sonst präsentiert sich Lisa aber als sehr sozial und nett, besonders gegenüber Kindern. Die Reportage wurde für die Reihe "Y-Kollektiv" nur für die Mediathek produziert und ist auch bei Youtube zu finden. Die Reportage-Reihe "Y-Kollektiv" entstand ursprünglich bei Funk, dem 2016 gestarteten Jugendangebot von ARD und ZDF, ist aber inzwischen aus dem Funk-Alter herausgewachsen und richtet sich nun auch an eine Zielgruppe, die etwas älter ist als 30.
Altmeier hat für Mütter und Väter wie sie zwei Kindergärten in München im "echten Alltag" besucht und im sogenannten Selbstversuch mitgearbeitet, was die Frage aufwirft, was der "falsche Alltag" wohl gewesen wäre - und warum Texte im Fernsehen so selten gründlich redigiert werden. Die Reporterin war auch bei einer Demo gegen zu wenig Kita-Betreuung in Freising dabei, zu der leider nur wenige kamen - und sie besuchte eine Freisinger Bürgermeisterin, die zugibt, dass 120 Krippen-Plätze fehlen. Man wundert sich, warum sich der SWR die Zustände Bayern vorgenommen hat und nicht in Baden-Württemberg. Egal. Probleme mit Kitas gibt es schließlich bundesweit und die Mediathek kann man überall abrufen.
Der Film zeigt, dass der Erzieherinnen-Job (nach wie vor ergreifen diesen Beruf überwiegend Frauen) enorm anstrengend sein muss. Nicht nur für unsere Kita-Praktikantin Lisa. Dieses Gewusel! Diese Lautstärke! Traurig stimmt die offenbar große emotionale Bedürftigkeit mancher Kinder, die sich schon nach kurzem Kontakt an die wildfremde Reporterin kuscheln. Dass diese Kinder eigentlich mehr bräuchten, mehr Personal, mehr individuelle Zuwendung, ist offensichtlich.
En passant werden die Fakten genannt: Vor allem die schlechte Bezahlung und der Stress wegen zu niedriger Personalschlüssel werden als Gründe dafür angeführt, warum deutschlandweit den Angaben zufolge mehr als 100.000 Erzieherinnen fehlen und warum so viele junge Frauen aus dem Job noch unter 30 wieder ausscheiden. Erzieher (m/w/d) werden überdurchschnittlich oft krank. Meist haben sie Atemwegserkrankungen - wenig verwunderlich, wenn man mit kleinen Kindern, um nicht zu sagen kleinen "Rotznasen", arbeitet.
Doch auch psychische Erkrankungen wie Burnout spielen eine große Rolle. Einen weiteren öffentlich selten diskutierten Grund für die vielen Berufsabbrecherinnen nennt eine Erzieherin aus Neuperlach. Eigenschaften wie Flexibilität, die man für die wuselige Arbeit mit der Betreuung von Kindergruppen braucht, hat nicht jede. Tatsächlich: Dieser Job liegt nicht allen, die Kinder so gerne mögen wie Reporterin Lisa Altmeier. Auch wenn sie die Ausbildung geschafft haben.
Das Fazit von Altmeiers halber Fernseh-Schnupperstunde in der Kita: Das Thema müsse "raus aus der Elternbubble" in die Mitte der Gesellschaft. Stimmt, Kinder gehen uns alle an. Aber womöglich muss die Bubble einschließlich Kita-Personal auch selbst mal auf die Straße statt sich, wie in Freising, schon von ein paar Regentropfen vom Protestieren abhalten zu lassen. Ist die Not vielleicht doch nicht so groß?
Das stimmt vermutlich nicht, vielmehr ist es wohl so, dass die Eltern in Deutschland ihre Probleme im "echten Alltag" überwiegend individuell lösen: Mit Hilfe der Oma, mit Tagesmüttern oder Kinderfrauen, Hausfrauenehe und Teilzeitarbeit - je nach Geschmack und Budget. Und es gibt auch ein strukturelles Lobby- und Protestproblem: Individuell geht es immer nur um ein paar Jahre, bis die eigenen Kinder in der Schule sind. Danach hat man neue Sorgen - und neue Gründe zu protestieren. Krippe und Kita sind schnell wieder Geschichte.
infobox: "Y-Kollektiv: Jobtest Erzieherin", Dokumentation, Regie und Buch: Lisa Altmeier, Kamera: Georg Simbruner, Produktion: Sendefähig GmbH (ARD-Mediathek/SWR, seit 11.8.25)
Zuerst veröffentlicht 14.08.2025 10:53
Schlagworte: Medien, Streaming, Kritik, Kritik.(Streaming), Reportage Y-Kollektiv, ARD, Mediathek, Altmeier, Kaiser
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