15.08.2025 08:10
Gut recherchierte ARD-Dokumentation "Im Visier der Grauen Wölfe"
epd Mit 12.900 Anhängern gilt die türkische Gruppierung "Graue Wölfe" als zweitgrößte rechtsextreme Gruppierung in Deutschland. Sie ist, wie die Dokumentation "Im Visier der Grauen Wölfe" zeigt, verantwortlich für mindestens sieben in Deutschland verübte Morde. Ihre Ideologie, sagt der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli in dem Film, weise "viele Gemeinsamkeiten" mit dem Nationalsozialismus auf. Zu einem Verbot der in Teilen sektenartige Züge tragenden Gruppierung hat sich der deutsche Staat, anders als Frankreich, bisher aber nicht durchringen können.
Yagmur Ekim Çay, Jan-Philipp Scholz und Annkathrin Weis, arbeiteten bei ihrer Recherche unter anderem mit "mehreren digitalen Scheinidentitäten", um einen Einblick in die Vorgehensweise der Grauen Wölfe in den sozialen Medien zu gewinnen. Ihre in der Reihe "ARD Story" ausgestrahlte Dokumentation macht deutlich, dass die türkischen Rechtsextremisten in der Öffentlichkeit eine Doppelstrategie verfolgen. Sie wollen zwar keine deutschen Medien bei ihren Veranstaltungen sehen, komplimentierten zum Beispiel das Filmteam bei einer Versammlung in Frankfurt aus der Halle, in den sozialen Medien kündigen sie aber recht offen an, was sie vorhaben: Etwa, dass sie "bis zum letzten Blutstropfen" für ein türkisches Großreich kämpfen werden.
Die Grauen Wölfe profitierten dabei von einer "Sprachbarriere", sagte die Autorin Yagmur Ekim Çay bei der öffentlichen Vorstellung der Dokumentation. Mit anderen Worten: Rechtsextreme Kräfte machen sich zunutze, dass Türkisch - die Sprache der zweitgrößten Bevölkerungsgruppe in Deutschland - in der Mehrheitsgesellschaft immer noch weitgehend unbekannt ist.
Eine zentrale Rolle bei den Recherchen spielt eine Person, die im Film "eine Journalistin" genannt wird. Sie hat wochenlang Versammlungen von Ortsvereinen der Grauen Wölfe oder von der Organisation beworbene Konzerte besucht. Man habe anfangs sogar erwogen, bei diesem Film gar keine Autorennamen zu nennen, sagte die verantwortliche Redakteurin Julia Klüssendorf beim Pressetermin.
Die Journalistin, die nicht namentlich genannt wird, lieferte auch das Bildmaterial für einen besonders wichtigen Teil des Films. Sie filmte versteckt in einer Einrichtung der Grauen Wölfe in Duisburg, in der mehrmals pro Woche 90 Kinder und Jugendliche zusammenkommen, um dort laut einer Ortsvereinsvertreterin "vor allem nationale Symbole und Werte von uns" zu lernen. Den Duisburger Behörden, bei denen die Filmemacher nachfragten, war diese "rechtsextreme Schule", wie Politikwissenschaftler Küpeli sie nennt, bislang nicht bekannt.
Der Film wäre wohl gut ohne die Bilder am Laptop recherchierender Autorinnen ausgekommen. Vor allem die Szene, in der die Autorin Annkathrin Weis zu sehen ist, wie sie sich in Berlin auf einem Mittelstreifen vor einer Imbissbude auf eine Holzbank setzt und den Laptop aufklappt, hätte man sich sparen können. Doch die Schwächen sind geringfügig. Die Dokumentation beeindruckt durch ihre dichte Recherche - auch zu Themen wie Geldwäsche, Drogenhandel und der Unterwanderung von Amateurfußballvereinen.
Auf diesem Recherchefundament baut "Im Visier der Grauen Wölfe" einen klaren Standpunkt auf, wie er im dokumentarischen Formatfernsehen sonst selten zu finden ist: Ein Verbot der Gruppierung, deren Partei MHP in der Türkei der Regierung angehört, ist überfällig. Die Macher kritisieren auch Kommunalpolitiker, die oft "auf die Selbstverharmlosungsstrategien der Grauen Wölfe hereinfallen" und sich "für ihre Propagandazwecke instrumentalisieren lassen".
Zu den Feindbildern der Grauen Wölfe gehört der Grünen-Politiker Cem Özdemir, der bedroht wird und daher einen Selbstverteidigungskurs absolviert hat. Am Ende des Films äußert er sich dazu, warum die Grauen Wölfe noch nicht verboten sind. Die Autoren fassen seine Position so zusammen: Die Bundesregierung lasse die Rechtsextremisten in Deutschland gewähren, weil sie die Türkei in vielen strategischen Fragen brauche. Im O-Ton erwähnt Özdemir, die Türkei werde zum Beispiel "in der Flüchtlingsfrage" gebraucht. Daher "schaut man halt ein bisschen weg". Das ist zutreffend - und irritierend zugleich: Gehörte Cem Özdemir nicht gerade erst selbst drei Jahre zu einer Bundesregierung, die wegschaute?
infobox: "ARD Story: Im Visier der Grauen Wölfe - Wie türkische Rechtsextremisten die deutsche Gesellschaft unterwandern", Regie und Buch: Yağmur Ekim Çay, Jan-Philipp Scholz, Annkathrin Weis, Johannes Meier, Kamera: Simon Balingo, Vincent Eckert, Produktion: Streetsfilm (ARD/HR/WDR, 5.8.25, 22.50-23.35 Uhr und in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 15.08.2025 10:10 Letzte Änderung: 15.08.2025 14:56
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KHR, KWDR, Ekim Çay, Scholz, Weis, Meier, NEU
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