Daheim sterben die Männer - epd medien

17.08.2025 09:14

Merkwürdiges geht vor in dem Dorf Kyllroth in der Eifel. Viele Männer, die aus dem Krieg zurückkehren, sterben dort einen plötzlichen Tod. Das WDR-Hörspiel "Kyllroth" erzählt eine Emanzipationsgeschichte aus dem frühen 20. Jahrhundert.

Hörspiel "Kyllroth. Tödliche Heimkehr 1917"

"Im Maar haust das Böse", sagt man in Kyllroth

epd "Im Maar haust das Böse." Das erzählen sich die Bewohner des einsam gelegenen Eifelortes Kyllroth. Ein Weib aus uralten Zeiten soll all jene, die sich in ihrem Leben versündigt haben, in die Tiefe des kalten Sees ziehen. Immer wenn jemand in dem achtteiligen Mystery-Crime-Hörspiel "Kyllroth" glaubt, der Maarhexe begegnet zu sein, hört man ein von einem langgezogenen Schrei begleitetes, unheimliches Gurgeln. Als wäre die Hexe gerade triefnass dem Maar entstiegen. Aberglaube? Oder gibt es sie wirklich?

Sommer 1917. Viele Männer, die gerade erst aus dem Krieg heimgekehrt sind, finden in Kyllroth einen plötzlichen Tod. Die unerklärlichen Fälle halten den Ort in Atem. Zum Beispiel Pfarrer Kurz, der vor dem Hintergrund von Hunger und Krieg Mühe hat, seine Schäfchen beisammenzuhalten und zunehmend dem Alkohol verfällt. Oder die strenggläubige Sanni, die gemeinsam mit ihren Kindern die Geschehnisse argwöhnisch verfolgt. Dann sind da noch Paula, die die Schmiede ihres abwesenden Mannes übernommen hat; Cilli, die mittlerweile die Mühle führt; Käthe, die die Amtsstube leitet und in dieser Funktion auch die Totenscheine ausstellt. Schließlich Jule, die neue Herrin des Gasthauses und ihre Geliebte, die Hebamme und Heilerin Maria mit einer verdächtigen Vorliebe für Arsen.

Neu gewonnene Freiheit

Die Freundinnen genießen das Leben ohne ihre Männer. Hocken wie einst diese gemeinsam im Wirtshaus und trinken, spielen Karten und begutachten bei Akkordeonmusik ihre Strichliste. Darauf zählen sie, wie viele Kriegsgefangene jede schon verführt hat. Sie fühlen sich frei, selbstbestimmt und stark und vermissen ihre Gatten, für die sie lediglich zum Kochen und Kinderkriegen gut waren, keine Sekunde. Paula hat sich sogar verliebt, erwartet von dem Franzosen Philipe ein Kind. Kein Wunder also, dass die neu gewonnene Freiheit bedroht ist, sobald einer der Männer zurückkehrt. Emil, der Mann von Paula, herrscht diese gleich mal an: "Jetzt wird alles so wie früher!" Wenn er sich da nicht täuscht.

Die Autorinnen Sabine Ballbach, Lena Gouverneur und Sonja Cöster erzählen in "Kyllroth" eine mit Mystery-Elementen angereicherte Emanzipationsgeschichte im XXL-Format. Das Hörspiel wartet mit einer prominent besetzten Sprecherriege auf: Von Karen Dahmen als hasserfüllter Jule über einen von Ulrich Matthes zwischen aufrichtiger Sorge und lallender Bigotterie gespielten Pfarrer bis zu Tamara Romera-Ginés, die als Paula um ihr kleines Glück kämpft und dabei versucht, nicht vom Weg abzukommen. Insgesamt gibt es mehr als 50 Sprecher und Sprecherinnen.

Symphonischer Klangteppich

Die Soundkulisse setzt auf Realismus, die Atmosphäre eines Dorfes mit gackernden Hühnern, bimmelnden Glocken und miauenden Katzen. Für den Gruselfaktor sorgen Uhu und Krähe. Dazu rollt Komponist Rainer Quade den großen, vom WDR-Funkhausorchester gespielten symphonischen Klangteppich aus, der noch einmal die Ereignisse musikalisch verdeutlicht. Bei Gefahr wallt die Musik auf, bei Szenen am Maar wird das Unheimliche betont und in den wenigen leisen Momenten erklingen romantische Töne. Sonst geht es auch gerne augenzwinkernd derb, zotig und deftig zu, es wird geliebt, geflucht und sehr viel gekotzt. Der Unterhaltungsfaktor von "Kyllroth" ist hoch.

In den ersten Folgen gilt es, sich zurechtzufinden und die Figuren kennenzulernen. Die Hörspiel-Serie, inspiriert von den historischen Geschehnissen rund um die Mörderinnen von Nagyrév, die in der ungarischen Gemeinde von 1914 bis 1929 mehrere Dutzend Menschen vergiftet haben, arbeitet mit schnellen Szenen- und Schauplatzwechseln. Unablässig wird die Geschichte dabei von Regisseurin Claudia Johanna Leist vorangetrieben. Bis sie spätestens ab dem vierten Teil eine tödliche Eigendynamik entwickelt und sich regelrecht überschlägt. "In Kyllroth sterben die Leute weg und keiner weiß warum", heißt es an einer Stelle. Die Presse berichtet von den vielen Toten, und aus Köln kommen die Kommissare angereist.

Über weite Strecken sind die Figuren mit grobem Strich gezeichnet: Hier die misogynen Männer, dort die vom Patriarchat unterdrückten Frauen. Dazwischen die in Lumpen gehüllte Maarhexe. Erst im Verlauf der Handlung werden die Frauen - die Männer sind bis auf Pfarrer Kurz nur Nebenfiguren - vielschichtiger und gewinnen im Ringen mit sich und ihrem Gewissen an Tiefe. So wie Paula. Gleichzeitig verwandelt sich eine wie Cilli von einer liebestollen jungen Frau zur skrupellosen Herrin über Leben und Tod. Wie die dramatischen Geschehnisse aus verschworenen Freundinnen sich immer misstrauischer beäugende Gegnerinnen machen, verfolgt man mit Spannung. Dass die Serie diese über alle acht Fortsetzungen halten kann, ist ihre große Stärke.

infobox: "Kyllroth. Tödliche Heimkehr 1917", achtteilige Hörspiel-Serie, Regie: Claudia Johanna Leist, Buch: Sabine Ballbach, Lena Gouverneur, Sonja Cöster, Musik: Rainer Quade und das WDR-Funkhausorchester (ARD-Audiothek/WDR seit 7.8.25, 1Live, ab 18.8.25 jeweils montags, 23.00-23.30 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 17.08.2025 11:14

Florian Welle

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KWDR, Hörspiel, Kyllroth, Leist, Ballbach, Gouvernör, Cöster, Welle

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