Das Leben erfahren - epd medien

20.08.2025 07:55

Eigentlich sind die Aussichten für die gelernte Zimmerin Maria in dem Fernsehfilm "Auf der Walz" rosig: Ihr Freund hat für sie ein Haus gekauft, der Vater möchte, dass sie sein Sägewerk übernimmt. Aber Maria zieht es erst einmal in die Ferne.

ARD-Fernsehfilm "Auf der Walz" mit Ronja Rath

Maria Abeler (Ronja Rath) geht mit anderen Zimmerergesellen auf die Walz

epd Dieser Film nimmt den Spruch, das Leben sei eine Baustelle, wörtlich, und siehe da, mehr braucht es nicht, um über die großen Themen Arbeit, Lebensplanung, Frauenemanzipation, Generationenspannung und Tradition versus Moderne einen klaren, guten Fernsehfilm zu machen. Über Work-Life-Balance kann man endlos diskutieren, man kann bedauern, dass zu viele Leute diese Balance zulasten der Work verschieben oder dass sie durch mangelndes Gleichgewicht ihr Life beschädigen.

Man kann sich aber auch fragen, ob all die Planungsrationalität, um die es da geht, einer so sensiblen Baustelle, wie das Leben eine ist, angemessen sei. Ob man nicht besser daran täte, planerisch ein wenig abzurüsten und einfach mal "auf die Walz" zu gehen. Genau das tut der Film "Auf der Walz - Drei Jahre und ein Tag" von Michael Kenda (Buch) und Sibylle Tafel (Regie).

Bitte, lasst mir Zeit.

Maria ist Zimmerin und hat Betriebswirtschaft studiert, sie ist die Richtige, um Vaters Sägewerk zu übernehmen. Ihr Freund Steffen träumt schon von Familie und hat für sich und Maria ein Haus gekauft. Also: Rein in dein Leben, Maria! Aber die zögert. Ihr Gesicht, ihre Mimik sprechen während der Exposition des Films, als ihr all diese rosigen Aussichten vor Augen geführt werden, eine deutliche Sprache. Ja, das ist alles perfekt, ich habe es wirklich gut getroffen, aber ... Ich liebe dich, Steffen, aber ich weiß noch nicht, ob ich dieses Haus will. Ich liebe dich, Papa, aber ich weiß nicht, ob ich Sägewerkchefin werden will. Bitte, lasst mir Zeit.

Da kommt einer vorbei, der heißt Cem und ist Zimmerer und auf der Walz. Ohne Geld streift durch die Lande und darf sich überall um Arbeit bewerben, wird auch kurzzeitig angestellt. Maria ist fasziniert. Auf der Walz? Drei Jahre? Wie geht das? Wo war er schon überall? Für Maria sind Cem und seine Walz-Existenz eine Offenbarung. Das will sie auch. Sie fragt ihn, ob er ihr Altgeselle sein will, der sie auf die Walz führt und ihr zeigt, wie das geht. Sie sagt Freund und Vater Bescheid. Steffen schluckt und versteht sie, stimmt zu, der Vater grummelt und sagt Nein. Sie geht dennoch.

Vernunft vor Zunft

Im Grunde hat der Film hier das Wesentliche erzählt: die Loslösung der jungen Frau, ihr Bekenntnis zum Fernweh, ihre Absage an einen Lebensweg mit vorgezeichneten Stationen, ihre Freude an der Freiheit und der Herausforderung. Aber er geht natürlich noch weiter.

Cem und Maria erleben allerlei Abenteuer, geraten bei der Quartiersuche an eine bärbeißige Witwe und an ein polyamoröses Ehepaar und kommen einander langsam ein bisschen näher. Maria sagt zum ruppigen Altgesellen: "Du bist ja doch viel netter als du immer tust." Der aber verträgt ihre Nähe nicht wirklich, während Steffen sich danach sehnt und der Vater eine Bürokraft anstellen muss, weil die Arbeit ohne Maria ihm über den Kopf wächst. Derweil findet die abtrünnige Tochter in der schwarzen Zimmermannskluft allmählich in die Szene der Tippelbrüder hinein, stößt mit ihnen an, lernt ihre Lieder und Sinnsprüche, so etwa: "Vernunft vor Zunft". Wenn etwas gar nicht geht, muss man auch mal improvisieren, Regeln hin oder her.

Die Walz als Flucht

Die junge Schauspielerin Ronja Rath, bekannt aus der "Soko Leipzig", ist eine bezaubernde Maria, die sich in dem Dreieck Vater, Freund und Altgeselle traumwandlerisch bewegt. Sie zeigt, dass das Leben nicht immer den Erwartungen gerecht werden muss, sondern dass es des Sich-Treiben-Lassens auf der Walz bedarf, um das Leben zu schmecken und zu erfahren. Genauso hervorragend besetzt ist die Rolle des Cem mit Sohel Altan Gol, der manches Finstere tun und sagen muss, um zu verbergen, wie nett er eigentlich ist. Dass die Walz auch eine Flucht sein kann und keinesfalls ein Muss für alle, das zu zeigen, ist seine Aufgabe.

Oliver Stokowski als Vater darf seinen kauzigen Charme spielen lassen. Dieser Chef gehört zu den Alten, die nicht verstehen, dass man Pläne über den Haufen werfen kann und dass die Welt sich immer ändern muss. Und Silas Breiding ist ein sensibler Steffen, der verstanden hat, dass man Reisende nicht aufhalten soll, der aber auch weiß, wann er mit seiner Geduld am Ende ist.

Einspruch gegen den Zeitgeist

Auf einer Sommerbaustelle - altes Ritual: die walzenden Zimmerer bauen gemeinsam umsonst ein Haus - begegnen sich Maria und Cem ein letztes Mal. Auf dem Dachstuhl verlegen sie die Barren und wissen beide: Jetzt kann sie das alles auch alleine. Marias Emanzipation gelingt durch das Eintauchen in eine mittelalterliche Tradition: Das ist eine überraschende Einsicht und eine schöne Pointe.

Der Look des Films, der in Österreich gedreht wurde und zum Teil auch dort spielt, tut ein Übriges, um ihn zu mögen. Die Ruhe und Entschiedenheit, die er ausstrahlt und die auf die sichere Hand der Regisseurin Sibylle Tafel zurückgeht, nehmen für ihn ein. Dass die Romantik von der "Straße als Heimat", unterlegt von Liedtextzeilen wie "So ziehn wir als Wandergesellen hinaus" nie in den Kitsch kippt, sondern eher ein Interesse an alten Bräuchen weckt, ist wiederum das Verdienst des Drehbuchautors Michael Kenda.

"Auf der Walz" ist ein unaufdringlicher, freundlicher und humorvoller Einspruch gegen den Zeitgeist, soweit er sich darin gefällt, Leistung und Leben als Nötigung zur Perfektion und profitablen Kosten-Nutzen-Rechnung zu verkaufen.

infobox: "Auf der Walz - Drei Jahre und ein Tag", Fernsehfilm, Regie: Sibylle Tafel, Buch: Michael Kenda, Kamera: Florian Schilling, Produktion: Constantin Television (ARD/Degeto, 15.8.25, 20.15-21.45 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 20.08.2025 09:55

Barbara Sichtermann

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Fernsehfilm, Tafel, Kenda, Barbara Sichtermann

zur Startseite von epd medien