22.08.2025 07:45
Zeitreise ins Jahr 2006 mit der ZDF-Serie "Chabos"
epd Eigentlich will Peppi, Mitte 30, nur wissen, warum er nicht zum Klassentreffen eingeladen wurde. Er wäre zwar sowieso nicht hingegangen, aber dass man ihn einfach ignoriert, kratzt an seinem Ego. Also macht er sich auf den Weg in die alte Heimat, um herauszufinden, wer ihn von der Liste gestrichen hat. Die Heimkehr wird zu einer Zeitreise, denn Peppi erinnert sich an jene Wochen im Juni und Juli 2006, die als "Sommermärchen" in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegangen sind. Für ein paar Teenager aus dem Duisburger Stadtteil Meiderich hat sich das Leben in diesem Sommer für immer verändert.
"Chabos", ein Wort aus der Jugendsprache, bedeutet Jungen oder Handlanger. Die Serie von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch (Regie und Buch) ist durch das BBC-Vorbild "Ladhood" inspiriert worden. Die beiden haben daraus aber eine sehr eigene, abwechslungsreiche Coming-of-Age-Erzählung gemacht: mit hohem Erzähltempo, vielen überraschenden Handlungswendungen und herausragenden jugendlichen Mitwirkenden.
Der ständige Bruch mit erzählerischen Konventionen macht einen großen Reiz der Serie aus: Immer wieder kommentiert der erwachsene Peppi (Johannes Kienast) die Ereignisse in die Kamera. Außerdem taucht er in den Rückblenden auf und muss auf diese Weise ohnmächtig mitansehen, wie sein junges Alter Ego und dessen drei Freunde mehr oder weniger unverschuldet in ein ziemliches Schlamassel geraten; und je stärker sie strampeln, desto tiefer zieht es sie hinab.
Selbstverständlich spielen die Nullerjahre eine große Rolle: Die Musik, die Klamotten, die Einrichtung der Jugendzimmer - das prägt die Serie. Doch sie funktioniert bei allen, die sich daran erinnern können, wie sich das Leben mit 16 angefühlt hat.
Ihre innere Spannung verdankt die Erzählung zwei Motiven, die sich durch die Erzählung ziehen. In der Gegenwart sucht Peppi seine Kumpane von einst auf, in der Vergangenheit sorgt jugendlicher Leichtsinn dafür, dass der junge Peppi (Nico Marischka) innerhalb weniger Wochen knapp 3.500 Euro auftreiben muss: Weil Felix (Arsseni Bultmann), den alle Gollum nennen, "Saw II" illegal aus dem Netz runtergeladen hat, flattert Peppis Vater eine Anzeige ins Haus. Der Junge ist überzeugt, dass diese Summe der kriselnden Ehe seiner Eltern (Peter Schneider, Anke Engelke) den Rest geben wird. Die Ideen der Freunde, wie sie möglichst rasch an möglichst viel Geld kommen können, sind eher Verzweiflungstaten und haben am Ende zur Folge, dass einige Lebenswege radikal die Richtung ändern und die Freundschaft auf der Strecke bleibt.
Entlang dieses roten Fadens haben Khaet und Paatzsch alles gruppiert, was für solche Geschichten obligat ist: Popkultur, Peinlichkeiten und pubertäre Scherze. Den größten Spaß machen die Zeitbezüge: Die Jungs überreden Mitschülerin Mascha (Arina Prass), die später tatsächlich als Rapperin Karriere macht, an einer Castingshow ("Germany’s Next Star") teilzunehmen, die unschwer als Kopie von "Deutschland sucht den Superstar" zu erkennen ist.
Große Freude machen kleine Verblüffungen wie jene, als der im Hintergrund lauschende erwachsene Peppi Felix’ Kelleraum verlässt und in dem mit Sex-DVDs bestückten Hinterzimmer einer Videothek landet, oder als er mit entsprechenden Ausschnitten belegt, dass "Chabos" den feministischen "Bechdel-Test" besteht - aber der eigentliche Clou der Szene offenbart sich erst, als die Kamera um 180 Grad schwenkt. Gleich zu Beginn macht sich Peppi darüber lustig, dass sich das ZDF verjüngen will und daher eine Serie über Millennials produziert, denn abgesehen von den Länderspielen, die von Béla Réthy kommentiert werden, hat schon der junge Peppi die Privatsender bevorzugt.
Die Rückblenden sind bunt, hell und freundlich, die Gegenwartsbilder eher kühl, trist und wenig heimelig. Zwischendurch wird es mit subtil integrierten Subthemen wie Spielsucht, Angst vor Abschiebung oder Mobbing auch mal ernst, und der Liebeskummer des in Mascha verliebten Peppi sorgt für etwas Melancholie. Diese Gratwanderung gelingt.
Die vom erwachsenen Peppi zu Beginn ins Lächerliche gezogene Triggerwarnung ist durchaus angebracht: Der junge Peppi und sein homophober Kumpel PD (Jonathan Kriener) sind zunächst alles andere als liebenswert, ihr Verhalten und ihr diskriminierender Humor sind manchmal sogar abstoßend. Ihre 18 Jahre älteren Versionen sind allerdings kaum besser. Er sei "einfach nur ein schlechter Freund", muss sich Peppi gegen Ende von einem Polizisten sagen lassen, doch da ist er dank seiner Selbsterkenntnis ("und plötzlich ist man ein trauriger Erwachsener") trotz allem längst zum Sympathieträger geworden.
infobox: "Chabos", achtteilige Serie, Regie und Buch: Arkadij Khaet, Mickey Paatzsch, Kamera: Nikolaus Schreiber, Produktion: BBC Studios (ZDF-Mediathek, ab 22.8.25, ZDFneo, ab 24.8.25 sonntags, 20.15-21.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 22.08.2025 09:45
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Serie, Khaet, Paatzsch, Gangloff
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