23.08.2025 11:30
Hörspiel "Metaphysik der Leere" von Zeitblom
epd Schon die ersten Zitate haben es in sich. "Der Anfang ist schon Nichtanfang, wie der Ursprung immer Nichtursprung ist. So komplex ist die Situation", heißt es da beispielsweise. Davor und danach ist ein langgezogener Ton zu hören, der, ähnlich wie ein Hörtest bei einem Ohrenarzt, allmählich anschwillt, um dann wieder zu verklingen. Willkommen im Hörspiel "Metaphysik der Leere" von Zeitblom.
Grundlage des rund 55 Minuten dauernden Hörstücks des Musikers, Komponisten, Autors und Produzenten ist das Buch "Metaphysik der Leere" von Marcus Steinweg, das vor fünf Jahren in der Reihe "Fröhliche Wissenschaft" des Verlags Matthes & Seitz erschienen ist. Darin umkreist dieser in mehr als 200 Aphorismen die Frage, was Denken überhaupt heißt und welche Rolle dabei der Wahrheit und vor allem der Leere zukommt. Steinweg ruft hierfür eine Reihe philosophischer und künstlerischer Gewährsleute der abendländischen Geistesgeschichte auf. Die entsprechenden Aphorismen tragen die Überschrift "Notiz zu ..." gefolgt von Namen wie Foucault und Lacan, Robert Walser und Heiner Müller. Dazu gesellen sich unter Überschriften wie "Scheißplanet" oder "Nichts an Kafka ist kafkaesk" Auseinandersetzungen mit den Werken Becketts und Kafkas. Die Französin Simone Weil ist die eine einzige Frau, die auftaucht.
Steinweg bohrt die ganz dicken Bretter. Ein Aphorismus hat laut Definition originell und geistreich zu sein. Beides kann man den manchmal nur aus einem Satz, wenigen Zeilen bestehenden oder auch bis zu drei Seiten langen Aphorismen nicht absprechen, wobei die Fremdwortdichte enorm ist. "Eine Metaphysik der Leere", heißt es, "kann nur eine des Taumels sein" und genau in solch einen versetzt uns der in Berlin lebende Philosoph mit seinen verblüffenden Assoziationsketten ein ums andere Mal. Zeitblom wiederum, so der Eindruck, möchte uns mit seiner Hörspiel-Adaption wieder auffangen, indem er das Buch in eine lange meditative Reise verwandelt.
Der Clou: Er setzt auf je einzelne Sätze, die er unterschiedlichen Aphorismen entnommen hat. Dabei erwähnt er weder die Titel, die Rückschlüsse auf die gewählte Textvorlage geben könnten, noch huldigt er Steinwegs Namedropping. Kein einziger der genannten Philosophen taucht in dem Hörspiel auf. Es zählt allein der eine prägnante Satz oder die eine längere Passage.
"Die Sprache umzirkelt die Leere. Jedes Wort dementiert sich. Es sagt, dass nichts zu sagen bleibt, weil alles gesagt wurde. Unendlich viel, nichts." So aus dem Kontext ausgestanzt, gibt Zeitblom den Worten Raum, ein Eigenleben zu entwickeln und in den Hörern nachzuklingen. Fast erinnern sie nun an Koans aus dem Zen-Buddhismus, die durch ihre paradoxen Aussagen das logische Denken aushebeln wollen.
Hier vibriert, dort tickt etwas.
Eingebettet sind die Zitate in eine auf das Wesentliche reduzierte Soundlandschaft. Sie besteht aus elektronischen Klängen und wundersamen Tönen, die Achim Färber seinen Schlaginstrumenten und Erik Drescher seinen Flöten entlocken. Man meint, einen Gong zu hören, zum Klingen gebrachtes Glas. Hier vibriert, dort tickt etwas. Hier fühlt man sich an ein Echolot, dort an eine Sirene erinnert. Es kann dauern, bis der sphärisch anmutende Klangraum sich in Stille verwandelt und der nächste Satz gesprochen wird. Dafür findet die Sprecherin Alice Dwyer einen gleichmäßigen, ruhigen Ton. So als hätte sie sich folgenden Aphorismus zu Herzen genommen: "Sprache. Verheerender als ihr Verlust ist ihr Gebrauch."
Zeitbloms "Metaphysik der Leere" entfaltet von Anfang an eine fast hypnotische Wirkung und endet wie die Vorlage mit der Frage, wohin man vor dem Wahnsinn fliehen soll. Eine mögliche Antwort: Zurück auf Anfang und das Hörspiel noch einmal hören, um seine ganze Tiefe auszuloten.
infobox: "Metaphysik der Leere", Hörspiel nach Texten von Marcus Steinweg, Regie, Buch und Komposition: Zeitblom (Deutschlandfunk, 19.8.25, 20.05-21.00 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 23.08.2025 13:30
Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KDLF, Hörspiel, Zeitblom, Steinweg, Welle
zur Startseite von epd medien