Lost in Big Tech - epd medien

27.08.2025 08:10

Wie abhängig ist Deutschland von den großen US-amerikanischen Internet-Konzernen? Glaubt man Nadia Kailouli und Daniel Anibal Bröckerhoff, die als Presenter der Dokumentation "Digitale Ohnmacht" fungieren, gibt es kaum europäische Alternativen. Ein Dilemma.

ARD-Dokumentation "Digitale Ohnmacht"

Daniel Bröckerhof und Nadia Kailouli führen durch die Dokumentation "Digitale Ohnmacht"

epd Dass sie womöglich dafür sorgen, dass in Deutschland das Licht ausgeht, wurde früher gerne den Gegnern der Atomenergie vorgeworfen. Nun wird das düstere Szenario in einer "ARD Story" wahr: Das Presenter-Duo Nadia Kailouli und Daniel Anibal Bröckerhoff sitzt plötzlich im Dunkeln, während es über einen "Kill Switch" referiert, eine Art Notfallschalter, mit dem US-Konzerne Deutschland den Saft abdrehen könnten. Wie realistisch das ist, sei mal dahingestellt, aber es ist eine Möglichkeit, die große Abhängigkeit von den weltweit dominierenden IT-Riesen wie Microsoft, Google und Apple zu veranschaulichen.

Kailouli und Bröckerhoff sitzen sich an zwei Schreibtischen gegenüber und sprechen miteinander. Das soll sich spontan und lässig anhören und bietet eine Abwechslung zu den Interviews, Archivausschnitten und Grafiken des Films, aber meist handelt es sich doch um eine ziemlich konventionelle Vortragssituation. Auf die Dauer fragt man sich, was von dem Informations-Wortschwall am Ende wohl beim Publikum hängen bleibt. Grimme-Preisträgerin Kailouli, die seit Januar 2024 das SWR-Politmagazin "Report Mainz" moderiert, führt außerdem mehrere Interviews. Im Abspann sind insgesamt sechs Autorinnen und Autoren aufgeführt, die sich des herausfordernden Themas angenommen und darin auch ein wenig verloren haben.

Konspirative Treffen

Die Reise der grünen Europaabgeordneten Alexandra Geese in die USA illustriert zu Beginn das bedrückende Klima in der zweiten Präsidentschafts-Ära von Donald Trump. Bildmontage und der Kommentar sind in einigen Passagen etwas suggestiv, aber dass sich niemand von Geeses Gesprächspartnern aus Angst vor weiteren Repressionen vor der Kamera äußern möchte, ist in der Tat erschreckend. Man erfährt nicht einmal, mit welchen Organisationen die deutsche Digitalpolitikerin in den USA Kontakt hat und mit wem sie sich konspirativ trifft wie in einem autokratischen oder diktatorischen Staat. Die Europäische Union sei nun wegen der Gesetze, mit denen die Monopolmacht der Tech-Konzerne eingeschränkt werden soll, der letzte Hoffnungsträger, heißt es.

Kompakt und stark verkürzt blickt das Autorenteam auf die Entwicklungssprünge des Internet-Zeitalters zurück - und auf die deutschen und europäischen Versuche, die Auswüchse regulatorisch einzuhegen. Sogar Heiko Maas (SPD) taucht mal wieder aus der Versenkung auf, der als Bundesjustizminister das Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf den Weg gebracht hat, das ab 2017 vor allem Facebook und das damalige Twitter dazu verpflichten sollte, gegen strafbare Inhalte auf ihren Plattformen vorzugehen. "Es ist viel zu lasch gewesen", sagt Maas heute.

Döpfner hält Regulierer für "überfordert"

Der Kölner Medienwissenschaftler Martin Andree weist auf das "Hauptproblem" hin, dass Mark Zuckerbergs Facebook, Elon Musks Twitter-Nachfolger X und andere nicht für strafrechtlich relevante Inhalte auf ihren Plattformen haften müssen - ein Versäumnis der Politik. Die Sache bleibt jedoch abstrakt. Was fehlt, sind Beispiele für den Umgang mit Desinformation und Hassrede.

Springer-Chef Mathias Döpfner dagegen hält Regulierer für "grundsätzlich überfordert". Man hätte dazu fairerweise Verantwortliche aus den Landesmedienanstalten befragen können. Und auch die Behauptung von SAP-Vorstand Thomas Saueressig, die Daten deutscher Bürgerinnen und Bürger seien "hundertprozentig sicher", das heißt vor dem Zugriff der US-Regierung geschützt, wird nicht durch eine Nachfrage beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) geprüft. Dabei bezieht der in Walldorf ansässige Software-Konzern SAP, der die Programm-Infrastruktur für "die deutsche Verwaltung" liefert, nach Saueressigs Angaben das BSI angeblich bei jedem Microsoft-Update ein.

Nebenbei: SAP als "deutsche Alternative" zu bezeichnen, ist einigermaßen zweifelhaft. War es nicht der in den USA stark engagierte Konzern, der recht zügig "Anpassungen" als Reaktion auf Donald Trumps Politik angekündigt und zum Beispiel das Ziel eines 40-prozentigen Frauenanteils in der Belegschaft aufgegeben hat? Auf welchen Gebieten gibt es überhaupt europäische "Alternativen" zu den Tech-Riesen aus den USA? Bröckerhoff deutet sie, abgesehen von SAP, nur in einem Nebensatz an.

Die Liebe zur Technologie wiederentdecken.

Und was gedenkt Karsten Wildberger (CDU), der erste Bundesminister für Digitales, zu unternehmen, um die von der schwarz-roten Koalition propagierte "digitale Souveränität" zu erlangen? Es bleibt auch hier bei Worthülsen, die nicht hinterfragt werden, und oberflächlich aufbereiteten Details. Der Eindruck: Die 45-minütige "Story" uferte aus, ohne dem Thema wirklich gerecht zu werden. Weniger wäre mehr gewesen.

Allerdings sind Wildbergers Äußerungen aufschlussreich. Deutschland müsse die "Liebe und Freude zur Technologie ein Stück weit wiederentdecken", sagt der Minister. Die Industrie sei "in großer Gefahr". Denn die Künstliche Intelligenz sei die "wahrscheinlich größte Revolution, die die Menschheit bisher erfahren hat". KI sei vergleichbar "vielleicht mit der Erfindung vom Feuer, der Elektrizität, vielleicht dem Internet". Ex-Manager Wildberger möchte sich "keine Welt ausmalen, wo wir von dieser Technologie nur Kunde sind".

Abgesehen davon, dass der Mensch nicht das Feuer erfunden hat, sondern nur gelernt hat, selbst Feuer zu entfachen, fährt einem bei diesen Worten der Schreck in die Glieder. Wie soll das Deutschland des Jahres 2025, in dem Züge nicht pünktlich fahren, das Internet immer noch nicht flächendeckend funktioniert und Regierungskoalitionen notorisch streiten, mit der "größten Erfindung" seit "der Erfindung vom Feuer" klarkommen? Und dann auch noch ohne die bei KI führenden US-Konzerne, von denen man ja unabhängig werden will? Immerhin kann man dem Film nicht vorwerfen, sein Publikum mit haltlosem Optimismus einzulullen.

infobox: "ARD Story: Digitale Ohnmacht - Deutschland im Bann von Big Tech", Dokumentation mit Daniel Bröckerhoff und Nadia Kailouli, Regie und Buch: Nils Altland, Daniel Anibal Bröckerhoff, Lorenz Jeric, Nadia Kailouli, Paul Schwenn, Tobias Wilko Willms (ARD/NDR, 19.8.25, 22.50-23.35 Uhr, ARD-Mediathek bis 19.8.27)



Zuerst veröffentlicht 27.08.2025 10:10

Thomas Gehringer

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KNDR, Bröckerhoff, Kailouli

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