03.09.2025 06:50
Ein epd-Interview mit dem Filmemacher Jan Georg Schütte
"Die Hochzeit" ist eine Fortsetzung der Geschichten um die Familie Hell, die wir schon in der Serie "Das Begräbnis" kennengelernt haben: Anja Kling, Martin Brambach, Luise von Finckh sind als Schauspieler wieder mit von der Partie, hinzu kommt diesmal als internationaler Star Tobias Moretti. Improvisationskomödien sind Ihr Markenzeichen als Hörspiele, Fernsehfilme und Serien. Wie ist es dazu gekommen?
Jan Georg Schütte: Ich hatte bis zum Jahr 2005 30 Jahre als Schauspieler gearbeitet und war des Bühnenschauspiels ein bisschen überdrüssig geworden. Ich habe mich mit mir selbst auf der Bühne gelangweilt. Dann sollte man aufhören, denn wenn ich mich mit mir selbst langweile, wird das auch die Zuschauer langweilen. Ich habe also am Thalia-Theater aufgehört und wollte Richtung Filmschauspiel gehen, aber da hat keiner auf mich gewartet. Dann wollte ich Drehbücher schreiben, aber die waren nicht gut. Und dann habe ich eine Improvisationsvorlage für Kollegen aus dem Theater geschrieben, aus der ich ein Drehbuch machen wollte. Dieser Improvisationsnachmittag war so toll! Obwohl das dilettantisch aufgezeichnet war, habe ich das zusammengeschnitten und es wurde mein erster Film, "Swinger Club". Damit hatte ich großen Erfolg, der Film lief auf Festivals und hatte sogar einen Kinostart. Offensichtlich hatte ich da eine neue Art zu arbeiten gefunden. Improvisation war damals in, aber mit so vielen Kameras gleichzeitig zu arbeiten, das hatte noch kaum jemand gemacht. Das war natürlich alles Low Low Budget. Bei den "Glücklichen" hatte ich das erste Mal 10.000 Euro und dachte: Das ist ja viel Geld! Und irgendwann hat mich der NDR für ein Hörspiel angesprochen.
Sie haben also nicht selbst angefragt, sondern der NDR ist auf Sie zugekommen?
Ja, die Redakteurin Hilke Veth kannte mich aus dem Theater in Castrop-Rauxel und sagte: Mach doch mal so was für das Hörspiel. Das erste Hörspiel war halbwegs erfolgreich und dann habe ich "Altersglühen" gemacht. Das war im Hörspiel der totale Durchbruch, dafür habe ich den Hörspielpreis der ARD bekommen.
Als Schauspieler lernt man, Texte zum Leben zu erwecken.
"Altersglühen" haben Sie dann auch als Fernsehfilm inszeniert ...
Eine Redakteurin vom WDR hatte das gehört und ging zu ihrer Chefin und sagte: Mit dem Jan Schütte müssen wir was machen, das geht bestimmt auch für den Film. Die Bedingung war, dass ich ein prominentes Ensemble zusammenbekomme. Denn das war zwar ein Experiment, aber sie wollten einen Film für den Hauptabend.
Improvisation gehört ja zur Ausbildung für Schauspieler und Schauspielerinnen dazu, aber es wird trotzdem selten gemacht im Theater oder Fernsehen ...
Es gehört bedingt dazu, natürlich machen sie immer ein bisschen Improvisation, aber im Grunde lernt man als Schauspieler in der Ausbildung, Texte zum Leben zu erwecken. Eigene Texte zu entwickeln, ist eher ein Nebengleis.
Gibt es viele Schauspieler, die gerne improvisieren?
Tatsächlich haben die meisten Schauspieler wahnsinnig Lust dazu, die rennen mir die Bude ein. Ich kriege ständig Bewerbungen. Die etwas Prominenteren erzählen das dann anderen Kollegen am Set ... So ist jetzt Tobias Moretti dazugekommen: Er hat Charly Hübner erzählt: Wenn du mit dem Schütte mal was machst, will ich unbedingt dabei sein.
Ich sehe im Lachen den Ausweg aus dem Drama.
Als Sie angefangen haben, gab es auch andere, die mit Improvisationen gearbeitet haben, aber die machten andere Sachen, zum Beispiel die "Schillerstraße" bei Sat.1 mit unter anderem Annette Frier und Cordula Stratmann. Das nannte sich "Impro-Comedy", war aber für Sie kein Vorbild?
Ich fand das auch lustig, aber mir war das zu rums-bums. Meine Initialzündung für das Filmemachen war "Das Fest" von Thomas Vinterberg. Als ich den Film gesehen habe, dachte ich: So was will ich machen. Das ist nun keine Komödie, aber es hatte starke improvisatorische Elemente. Dass es bei mir eher Komödien wurden, liegt zum einen daran, dass ich selbst ein Mensch bin, der im Lachen den Ausweg aus dem Drama sieht. Ich habe eine starke depressive Seite wie viele, glaube ich, die Komödien machen. Das andere ist, dass das voll improvisierte Drama oft sehr peinlich wird. Es gab damals viele, die das versucht haben, da wurde nur geschrien und geheult auf der Leinwand und alle haben nach innen gefühlt und fanden sich toll. Das war für mich ein Riesen-Missverständnis, das wollte ich auf keinen Fall.
Det willste machen? Da bin ick dabei!
Das Casting ist für Ihre Art zu arbeiten sehr wichtig, Sie machen Schauspieler-Filme. "Altersglühen" ist im Grunde ein Generationenfilm, Sie haben da von Mario Adorf bis Angela Winkler die Generation der großen alten Schauspieler versammelt. Wie haben Sie damals als Anfänger im Regie-Metier diesen Cast für "Altersglühen" gefunden?
Tatsächlich war Senta Berger diejenige, die alles ins Rollen brachte, obwohl sie nun gar nicht für Improvisation steht. Dieser Grande Dame hatten wir das Hörspiel geschickt und es hat ihr gefallen. Ich bin nach München gefahren und hatte eine Dreiviertelstunde Zeit, sie zu überzeugen. Sie hatte mir Schnittchen hingestellt und während ich aß, musste ich ihr mit vollem Mund erklären, was ich da vorhabe. Dann war eine längere Pause und es kam ein langer, prüfender Blick von ihr und dann sagte sie: Ja, Herr Schütte, das kann ich mir vorstellen. Über Senta kam auch Mario Adorf dazu und nach und nach hatte ich die ganze Riege am Start. Bei Michael Gwisdek reichte ein Anruf: Det willste machen? Da bin ick dabei!
Haben Sie, wenn Sie ihre Projekte planen, schon bestimmte Schauspieler im Kopf, die Sie gerne dabei hätten?
Manchmal. Mit Charly Hübner arbeite ich seit "Klassentreffen" zusammen. Bei den Sachen, die ich mit Lars Jessen und Charly zusammen mache, kommt oft die erste Idee von Charly, etwa bei "Micha denkt groß" und "Für immer Sommer 90". Die Filme sind auf ihn ausgerichtet. Die anderen sind Ensemble-Filme. Eigentlich habe ich meist erst die Idee und dann kommen die Schauspieler dazu.
Ich habe Lust auf ein großes Ensemble.
"Klassentreffen" ist auch ein Generationenfilm: Charly Hübner, Annette Frier, Jeanette Hain ... - das war damals die Generation der Schauspieler zwischen 40 und 50. War das für die Schauspieler und Schauspielerinnen auch so eine Art Klassentreffen? Hatten sie Spaß daran, dass sie mal alle zusammen in einem Film mitspielen können?
Ich glaube, die hatten einen Riesenspaß. "Klassentreffen" war für viele die totale Initialzündung. Jeanette Hain war vollkommen von den Socken. Sie waren fast alle sehr glücklich danach.
Am Anfang waren es Fernsehfilme, seit einiger Zeit machen Sie auch Serien. Ist es schwieriger, eine Improvisation zu entwickeln, die über mehrere Folgen trägt?
Ich war ganz froh, dass ich Serie machen durfte. Bei "Altersglühen" und auch bei "Klassentreffen" war es so, dass ich eigentlich viel zu viel Material hatte. Obwohl ich ja nur ein oder zwei Tage drehe, wusste ich nicht, wohin mit dem ganzen Material. Von "Altersglühen" und von "Klassentreffen" gibt es auch jeweils eine Serie, die sind sogar ein bisschen besser als der Film. Ich war sehr froh, dass ich mit "Das Begräbnis" das erste Mal offiziell Serie machen durfte. Und wir drehen trotzdem nur zwei Tage. Ich habe Lust auf ein großes Ensemble und mit einer Serie kann ich den Figuren viel besser gerecht werden.
Jeder Schauspieler bekommt ein fast 50-seitiges Booklet.
Zwei Tage für sechs Folgen. Das ist wenig. Wie viel Zeit verbringen Sie dann im Schnitt? Da findet dann wohl die eigentliche Arbeit statt ...
Man kann nicht sagen, dass da die eigentliche Arbeit stattfindet. Ganz viel Arbeit findet vorher statt. Ich schreibe zwar kein Drehbuch, aber bei "Das Begräbnis" zum Beispiel hatte jeder Schauspieler ein fast 50-seitiges Booklet und jedes Booklet war anders, weil ich die Figuren unterschiedlich beschreibe. Anja Kling bekommt die Beschreibung, dass sie ihren Mann irgendwie möglichst schnell loswerden will, während bei Martin Brambach steht: Meine Frau liebt mich über alles und würde mich nie verlassen.
Martin Brambach spielt in "Das Begräbnis" Carsten Hell, den Mann von Anna Hell, die von Anja Kling gespielt wird.
Diese Missverständnisse baue ich da ein und da muss man sehr genau sein. Das sind Excel-Tabellen, die nebeneinanderstehen und immer wieder kontrolliert werden. Das ist viel Arbeit vorher, auch wenn ich keine Dialoge schreibe.
ChatGPT ist eine Riesenhilfe.
Also Sie plotten richtig, Sie entwerfen starke Figuren und geben denen viel Hintergrund, damit die Schauspieler etwas haben, aus dem sie schöpfen können. Arbeiten Sie da auch mit ChatGPT oder mit einer Künstlichen Intelligenz zusammen?
Bei "Das Begräbnis" gab es das noch nicht, ich habe ja vor fünf Jahren schon angefangen, daran zu arbeiten. Das war eine irre Arbeit, das einzusortieren. Jetzt bin ich froh, dass ich ChatGPT habe, um die Sachen zu sortieren. Das ist eine Riesenhilfe.
Nutzen Sie ChatGPT auch für Brainstorming? Um Situationen zu entwerfen oder zu entwickeln?
Inzwischen ja. Aber ich fange gerade erst damit an. Ich bin überhaupt kein Digital Native. Mein Sohn hat mich darauf gebracht, der ist Autor. Er hat gesagt: Papa, ohne das geht es nicht mehr. Jetzt fange ich damit an und man muss sich sein ChatGPT ja erst aufbauen, damit es so reagiert, wie man will.
Sie müssen die Künstliche Intelligenz trainieren ...
Jetzt habe ich zumindest gelernt, ChatGPT zu beschimpfen, es ist ja nur eine Maschine.
Die Schauspieler werden einbezogen in die Entwicklung der Figuren.
Sie arbeiten bei den Büchern aber auch häufig mit Kollegen zusammen. Im Hörspiel häufig mit Wolfgang Seesko, im Film und bei den Serien ...
... ist es Sebastian Schultz, der hat sich seit "Das Begräbnis" sozusagen zu meiner rechten Hand entwickelt. Er wird auch immer genannt als Co-Autor und Co-Regisseur, er hilft mir ganz entscheidend.
Entwickeln Sie die Plots und die Figuren dann zu zweit im Ping-Pong?
Ja, wir sind ganz viel im Gespräch. Zum Beispiel bei "Kranitz - Bei Trennung Geld zurück", da entsteht ganz viel im Gespräch, auch mit den Schauspielern zusammen. Die werden sehr einbezogen in die Entwicklung ihrer Figuren. Und dann ab einem bestimmten Moment werden sie rausgezogen, dann dürfen sie nicht mehr alles wissen, weil es Geheimnisse sind.
Sie müssen ja auch überrascht werden.
Genau, Überraschung ist das A und O.
Sie kontaktieren die Schauspieler also schon, während Sie den Plot entwickeln?
Wir haben erste Ideen für eine Figur, sonst wüssten wir ja nicht, wen wir da besetzen wollen, und wenn wir die haben, dann hole ich die Schauspieler ziemlich früh dazu. Das ist für diese Arbeit ganz wichtig, die müssen das ja vertreten vor der Kamera, weitgehend allein. Ich kann da nur sehr begrenzt eingreifen. Dafür ist es gut, dass sie das selbst mitentwickelt haben. Dann können sie es viel besser durchkämpfen.
Dieser Exhibitionismus ist mir ein bisschen fremd.
Das heißt, Sie sind quasi auch Ihr eigener Casting-Agent? Wenn Sie eine Figur entwickeln, denken Sie, wer könnte das machen und sprechen die Schauspieler an?
Viele kenne ich ja durch meinen Arbeitszusammenhang, aber wir haben auch immer Casting-Agenten dabei. Das ist ganz wichtig, gerade bei den jungen Leuten bin ich auf Casting-Agenten angewiesen.
In "Die Hochzeit" gibt es einige junge Menschen, die sind zum Beispiel "Influencer". Sie greifen in ihren Filmen und Serien häufig Themen auf, die gesellschaftlich relevant sind. Ob das nun die Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind, die Verwandtschaftsbeziehungen oder auch der Klimawandel und die Trockenheit wie in "Micha denkt groß". Was wollen Sie in "Die Hochzeit" erzählen? Ist das eine Kritik an der Ausstellung des Privatlebens in sozialen Netzwerken?
Ich bin ja ein Boomer und stehe total zwischen den Stühlen. Einerseits ist dieser Exhibitionismus für mich ein bisschen fremd, gleichzeitig bin ich ja selbst ein Clown. Ich bin nun mal einer, der ständig mit Veröffentlichung arbeitet. Aber diese Art von Vermischung von privaten Veröffentlichungen irritiert mich total. Ich weiß, die jungen Menschen können das. Lena Klenke, die die Simone spielt, auch Luise von Finckh sind da super unterwegs. Die machen das auf eine souveräne und sehr lustige Art. Mir geht es auch gar nicht darum, die social networks zu verurteilen, ich untersuche das. Natürlich treiben wir das für die Komödie auf die Spitze und die fliegen auch auf die Nase mit dem, was sie da machen. Ich will aber nicht die junge Generation vorführen.
Ich mache seit 15 Jahren Filme ohne Drehbücher.
Sie hatten, als Sie mit Ihren Improvisationsarbeiten im Fernsehen angefangen haben, ein gutes Entrée. Sind Projekte wie Ihre einfach durchzukriegen bei den Redaktionen? Oder gibt es manchmal noch Vorbehalte gegen Improvisation?
Tatsächlich sind nach "Altersglühen" die Türen aufgeflogen und jedes Projekt war wieder sehr erfolgreich. Jedes Mal, wenn ich einen Preis gewinne, macht das wieder eine Tür auf. Ich finde es ein bisschen schade, dass ich es nicht geschafft habe, wieder ins Kino reinzukommen. Der ganze Förderungsmechanismus ist so kompliziert, die wollen immer Drehbücher haben. "Die Hochzeit" sollte eigentlich ein Kinofilm sein, aber das wurde abgelehnt, weil ich kein Drehbuch hatte. Ich sage dann: Leute, ich mache seit 15 Jahren Filme ohne Drehbücher, guckt euch die doch an. Aber die sagen: Nein, das geht nicht. Wir hatten mit "Die Hochzeit" eine sensationelle Premiere beim Filmfest München, hinterher kamen große Namen des Kinos auf mich zu und fragten: Wieso machst du das nicht im Kino? Ein Plan ist jetzt, doch noch einmal Kino zu machen.
Ihr Film "Micha denkt groß" hatte auch eine kurze Kinoauswertung.
Das stimmt, das war aber nicht so geplant. Das war als Fernsehfilm geplant, das sieht man dem Film auch an. Die Kinotour war ganz toll, aber "Die Hochzeit" wäre glaube ich auch eine große Freude im Kino.
Wie finden Sie Ihre Drehorte? Die Landschaft, in der "Die Hochzeit" spielt, erinnerte mich stark an den "Bergdoktor".
Ja, das spielt da um die Ecke, in Tirol. Da muss ich der Produktionsfirma ein großes Lob aussprechen: Das war ein enormes Risiko. Wir haben auf der Alm gedreht, alles war da, und wenn an dem Tag Regen und Nebel gewesen wäre, wären wir im Eimer gewesen. Dann hätte man die Berge nicht gesehen. Wir waren darauf angewiesen, dass an diesen beiden Tagen, wenn 150 Leute am Set sind, gutes Wetter ist. Wir können das nicht um eine Woche verschieben, die Leute reisen aus ganz Europa an, das wäre irre teuer gewesen. Und es war genau an diesen beiden Tagen schönes Wetter. Das war ein großes Geschenk.
Technisch ist es eine gigantische Herausforderung.
Für Sie sind die Locations sehr wichtig. Sie können nicht viel tricksen oder die Drehorte wechseln.
Wir sind zehn Tage durch Tirol gefahren und haben jeden Tag zwei Hotels angeschaut. Ich kenne jetzt glaube ich jedes große Hotel dort. Tirol hat eine schlaue Förderpolitik, und dieses Hotel ist wirklich malerisch gelegen und hat einen tollen Stil.
Wie lange haben Sie das Hotel gemietet?
Zwei Wochen. Die lassen sich das gut bezahlen, dass es so toll liegt. Wir haben aber in einer Zeit gedreht, in der die Wintersaison vorbei war und die Sommersaison noch nicht begonnen hatte. Diese Lücke konnten wir ausnutzen. Wir waren zwei Wochen dort, die Vorbereitungszeit ist irre lang, es werden überall Kabel gelegt, Wände gezogen. Allein die Installation der Mikrofone dauert fünf Tage. Technisch ist es eine gigantische Herausforderung.
Mit wie vielen Kameras haben Sie gedreht?
50 mit 50 Menschen dahinter.
Und wie lange waren Sie anschließend im Schnitt?
Ein halbes Jahr etwa. Ich habe inzwischen zwei Editoren, die parallel arbeiten und Sebastian Schultz, mein Co-Regisseur, ist auch von Haus aus Editor. Früher habe ich tatsächlich noch danebengesessen, wenn geschnitten wurde. Das mache ich nur noch ganz selten. Ich kenne das Material und guck mir das zu Hause an, wo ich auch einen Schnittplatz habe und bekomme von den Editoren immer wieder eine Fassung geschickt. Es ist ein halbes Jahr, in dem ich mich immer wieder mit dem Stoff beschäftige, aber die Hauptarbeit im Schnitt machen die Editoren, denen vertraue ich sehr. Benjamin Ikes schneidet seit "Klassentreffen" alles für mich, Nikolai Hartmann ist dazugekommen.
Was misslungen ist, ist nachher im Schnitt oft das beste.
Das Ganze ist eine große Teamarbeit: Das Schauspielensemble, die Kameraleute, die Editoren. Jeder muss im richtigen Moment funktionieren. Üben Sie das vorher gar nicht?
Wir trainieren die Kameraleute, die ganzen technischen Abteilungen trainieren viel vorher und wir machen einen Probedurchlauf mit Komparsen. Damit trainieren wir die technischen Abläufe. Was wäre wenn? Auf einmal gehen fünf Schauspieler auf die Terrasse - wie kriegen wir da möglichst schnell ein Kamerateam hin? Wenn dann die wirklichen Schauspieler da sind, die auf keinen Fall dort proben dürfen, gibt es viel Chaos. Der Tag des Drehs ist ein Irrsinn. Ich bin danach vollkommen durch, alle sind völlig durch, weil es wirklich zehn Stunden auf Tausend Volt sind. Wir versuchen die ganze Zeit mitzukriegen, was passiert. Wir haben einen Überwachungsraum mit 50 Monitoren, davor sitzen 20 Leute, die mitschreiben. Da kann ich immer abfragen: Wo ist Anja? Was macht sie? Hat sie diese Aufgabe schon erfüllt? Dann sag ich Anja: Denk dran, dass du da noch hin musst. Das muss ich alles auf dem Zettel haben. Und es misslingt auch vieles. Und das, was misslungen ist, ist nachher im Schnitt oft das beste.
Wie behalten Sie da den Überblick?
Ich habe ihn nicht. Ich habe einen Knopf im Ohr und Sebastian Schultz ist in der Kommandozentrale und hält mich auf dem Laufenden und wenn es irgendwo brennt, kann ich da hingehen. In der Nacht nach dem Dreh werden die Daten eingelesen, dann kommen die Protokollanten und erzählen uns, was jede Figur erlebt. Das hören wir uns an und dann überlegen wir uns, was wir nachdrehen müssen. Dafür ist der zweite Tag da.
Gibt es auch Szenen, die noch einmal gedreht werden?<
Am zweiten Tag sagen wir dann zum Beispiel: Die Begegnung zwischen Braut und Bräutigam war nicht so toll, lass uns die nochmal machen. Wir versuchen das hinzukriegen, das ist ja immer ein großes Anschlussproblem, das Wetter kann anders sein, das Licht kann anders sein, so dass wir begrenzt Möglichkeiten haben, Sachen nachzudrehen. Aber wir können zusätzliche Szenen drehen.
Die Schauspieler müssen nicht die ganze Zeit 1000 Volt abliefern.
Wie kommen die Schauspieler mit dieser Art des Arbeitens zurecht? Gibt es Schauspieler, die sagen: Das packe ich nicht?
Hier gab es das nicht, aber bei dem "Tatort: Das Team", den ich 2019 gemacht habe. Das war eine grenzwertige Erfahrung für mich, das war schwieriger. Da kam Ben Becker zwischendurch und sagte: Wir müssen echt ne Pause machen, das wird zu anstrengend. Da hab ich gesagt: Du, das ist überhaupt kein Problem. Mach ne Pause, du kannst dich auch hinlegen und pennen und wenn du wieder aufwachst, ist die Kamera da. Das ist ganz wichtig, dass die Schauspieler wissen, sie müssen nicht die ganze Zeit 1000 Volt abliefern, sondern sie dürfen sich auch ausruhen zwischendrin. Das ist dann alles Figur.
Gab es Schauspieler, mit denen Sie gerne was gemacht hätten, die aber sagten, das ist nicht mein Ding?
Nora Tschirner zum Beispiel. Die hat mir schon ein paar Mal abgesagt.
Die Unfehlbarkeit der Fernsehkommissare nervt mich.
Sie selbst sind ja auch immer noch Schauspieler. Sie spielen zum Beispiel in den Bretagne-Krimis den Thierry Kadeg an der Seite von Kommissar Dupin. Ist das für Sie so eine Art Urlaub?
Ehrlich gesagt ja, es ist ein bisschen Urlaub. Das Stresslevel ist deutlich geringer. Ich habe meinen Text, mein Kostüm und dazu die herrliche Bretagne. Das genieße ich.
Haben Sie sich die etwas schräge Figur des Kadeg so gestaltet, wie Sie wollten, oder war die schon im Drehbuch so?
Die hatte so einen Ansatz im Drehbuch, aber ich habe sie mir in die Richtung gezogen. Ich habe persönlich ein großes Problem mit Kommissaren im Fernsehen. Das sind in meinen Augen immer so Klugscheißer. Leute, die es besser wissen und die richtigen sind. Allein schon diese Frage: Wo waren Sie am Mittwochabend? Diese Überheblichkeit und dieser scheinbare Kampf um die Gerechtigkeit, das finde ich unerträglich. Mir war wichtig, dass der Kadeg ein bisschen schief gewickelt ist. Er verdächtigt immer die falschen. Der ist so fehlbar. Diese Unfehlbarkeit der sonstigen Fernsehkommissare nervt mich total.
Seit ich selbst Filme mache, bin ich als Schauspieler noch deutlich pflegleichter.
Und sie beobachten dann bei den Dreharbeiten den Regisseur und schauen, wie der sich abstrampelt?
Nee, gar nicht. Seit ich selbst Filme mache, bin ich als Schauspieler noch deutlich pflegeleichter. Ich weiß zu schätzen, wie toll das ist, wenn man diese ganze Verantwortung nicht hat. Man kommt zum Drehtag, die Drehgenehmigung ist da, das Motiv ist ausgesucht, die Kostüme sind da. Ich habe einen Wohnwagen, ich kann mich beschweren, wenn das Essen nicht gut ist. Als Schauspieler ist das für mich ein großes Geschenk. Ich drehe ja auch andere Sachen bei tollen Projekten, mit Marvin Kren zum Beispiel.
Sie haben in seiner Serie "4 Blocks" mitgespielt.
Genau. Marvin ist mir seitdem auch treu, ich habe auch bei "Crooks" mitgemacht, in seiner neuen Serie. Jetzt habe ich bei einem großen Projekt von Philipp Kadelbach mitgemacht, das demnächst rauskommt. Toller Typ, unheimlich genau.
Was ist Ihr nächstes Projekt?
Ich habe viele Stoffe auf dem Tisch, aber da ist noch nichts entschieden. Aber ich hoffe sehr, dass es mit den Meurers und Hells weitergeht. Ich hätte Lust, mit denen weiterzuarbeiten. Da sind schöne Geschichten und tolle Figuren entstanden.
Wenn es die Mediathek nicht gäbe, hätte ich es mit meinen Projekten viel schwerer.
Sie haben mit den Meurers und Hells "Das Begräbnis" gemacht, dann "Das Fest der Liebe", jetzt "Die Hochzeit". Das ist im Grunde eine moderne Familienserie.
Total. Da geht noch viel mit denen.
Sie haben gesagt, Ihre Projekte waren sehr erfolgreich und das macht es leichter, das nächste Projekt durchzukriegen. Ist das immer noch so?
Ein paar Projekte sind auch abgelehnt worden. Dass "Kranitz" nicht weiterläuft, hat mich sehr gekränkt. Das wurde abgelehnt, weil die Serie zu wenig Klickzahlen hatte. Zu sehr Nischenprodukt. Gleichzeitig ist das nun mal ein freier Markt und natürlich setzen sich die Sachen durch, die mehr gesehen werden. Ich bin heilfroh, dass es die Mediathek gibt. Wenn es die nicht gäbe, hätte ich es mit diesen Formaten viel schwerer. Die Mediathek ist wirklich sehr experimentierfreudig, für "Kranitz" hätte ich nie einen Sendeplatz bekommen.
Die Feinde des öffentlich-rechtlichen Fernsehens lauern nur darauf, dass sie es abschalten können.
"Kranitz" ist die Serie mit dem ungewöhnlichen Paartherapeuten mit sehr ungewöhnlichen Methoden, den Sie selbst spielen. Die Fortsetzung ist abgelehnt worden, das heißt, auch für die Mediathek werden die Klicks immer wichtiger. Wäre es nicht öffentlich-rechtlicher Auftrag, das trotzdem zu machen?
Ich schätze meine Redakteure sehr, aber die stehen in einem irren Spagat: Auf der einen Seite wollen und müssen sie das Fernsehen verändern und gleichzeitig dürfen sie die Zuschauer nicht verlieren. Wenn man ein großes Theater übernimmt, ist es überhaupt kein Problem, die Bude erst einmal leer zu spielen. So war es früher: Man lässt es auf der Bühne krachen, dann hauen die ganzen Abonnenten ab und es kommen neue. Wenn man das im Fernsehen machen würde, wäre man das öffentlich-rechtliche Fernsehen los. Die Debatte, die da läuft, ist gruselig. Die Feinde des öffentlich-rechtlichen Fernsehens lauern nur darauf, dass sie es abschalten können. Deswegen ist da immer dieser Spagat: Wir müssen für die Masse was machen und gleichzeitig müssen wir das Fernsehen verändern und junge Leute ranziehen. Von den jungen Leuten guckt ja fast keiner mehr lineares Fernsehen. Das heißt, wenn die Mediathek nicht durchstartet, haben die Öffentlich-Rechtlichen ein großes Problem. Sie müssen den Spagat schaffen, Experimente zu machen, Neues auszuprobieren und gleichzeitig die alten Zuschauer nicht zu verschrecken. Den Job stelle ich mir schwer vor.
Ich gelte bei vielen als Unterhaltungsfuzzi.
Sie spielen auf die Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an. Würden Sie sich in dieser Situation von den Politikern der demokratischen Parteien wünschen, dass sie sich mehr hinter die Öffentlich-Rechtlichen stellen?
Ich glaube nicht, dass da von der Politik viel Hilfe kommen kann. Im Gegenteil. Wir als Mitarbeitende des Rundfunks müssen es selbst schaffen, uns in der Bevölkerung zu verankern. Ich mache viel für Florida Entertainment, die Firma von Joko & Klaas. Klaas Heufer-Umlauf ist ein Meister darin, diesen Spagat zu schaffen: Die hauen sich Torten ins Gesicht und machen abends zur besten Sendezeit eine Sendung über die Bahnhofsmission. Diesen Spagat müssen wir schaffen: Massenunterhaltung und gesellschaftliche Probleme ansprechen. Deutsche Produktionen gehen oft sehr in die Problemrichtung und verlieren dadurch die andere Bevölkerungsschicht. Ich gelte bei vielen als Unterhaltungsfuzzi. Vielleicht bin ich das, aber ich will auch eine gewisse Masse erreichen. "Das Begräbnis" war 2022 der Top-Erfolg in der ARD-Mediathek, das macht mich stolz. Das ist kein rein intellektuelles Produkt und trotzdem ist da ganz viel drin für Leute, die gehobene Unterhaltung mögen. Diesen Spagat zu schaffen, ist mir sehr wichtig.
dir
Zuerst veröffentlicht 03.09.2025 08:50
Schlagworte: Medien, Fernsehen, ARD, Interview, Schütte, Roether
zur Startseite von epd medien