Pokern für den Lebenstraum - epd medien

05.09.2025 11:14

"High Stakes" erzählt die Geschichte einer jungen Türkin, die Astronautin werden will. Um ihren Traum zu verwirklichen, braucht die gläubige Muslima Geld, das sie beim Pokern gewinnen will. Es geht um Menschen und ihre Widersprüche, Konflikte und Entwicklungen, lobt Ulrike Steglich.

ZDFneo-Serie "High Stakes"

Ayla Güner (Via Jikeli), und Vincent van de Waal (Jannik Schümann) am Pokertisch in der ZDFneo-Serie "High Stakes"

epd Seit ihrer Kindheit hat Ayla einen großen Traum: Sie will Astronautin werden, ins All fliegen. Und sie tut mit großem Ehrgeiz alles dafür, dass es kein Traum bleibt: Ihr Astrophysik-Studium in Heidelberg hat sie als Jahrgangsbeste abgeschlossen und bewirbt sich nun um einen Praktikumsplatz bei der NASA. Mit viel Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft gelingt ihr das sogar - allerdings muss sie dafür binnen sechs Wochen 22.000 Euro auftreiben, für Flug, Unterkunft und Lebenshaltungskosten in den USA.

Von ihren Eltern kann Ayla keine Unterstützung erwarten: Vater Adil hat soeben Aylas Bruder Tolga 50.000 Euro "Darlehen" für sein Start-up gewährt, das eine Dating-App für Muslime entwickelt - auch für queere. Von seiner Tochter hingegen erwartet der Vater, dass sie den "unrealistischen Schwachsinn" aufgibt und sich als Versicherungsmathematikerin in seiner Firma bewirbt - ein Vorstellungsgespräch mit Tante Hatice ist bereits arrangiert.

22.000 Euro bis zum Lebenstraum

Schon die erste Folge der Serie "High Stakes" skizziert eine überaus interessante, differenzierte Konstellation: Aylas Eltern sind moderne türkischstämmige Münchner, die ihren beiden Kindern viele Freiheiten lassen. Ayla ist die einzige in ihrer Familie, die als Muslima ihren Glauben aktiv praktiziert, ihr Kopftuch ist ein Ausdruck dessen - die Mutter trägt keines. Dennoch hat die familiäre Toleranz unausgesprochene Grenzen: Tolga (Eren Kavukoglu) traut sich nicht, sich vor seinen Eltern als schwul zu outen und verschweigt seine Beziehung zu Vincent, Ayla durfte zwar in Heidelberg studieren, aber nun soll sie doch "bei der Familie" bleiben, stößt also zu Hause an die "gläserne Decke".

Mindestens ebenso interessant ist aber, dass Naturwissenschaft und Glauben für Ayla überhaupt keinen Widerspruch darstellen, was sie mit der Präzision der Mathematikerin auch begründen kann.

Vom nächsten Schritt zur Verwirklichung ihres Lebenstraums aber trennen Ayla zunächst 22.000 Euro. Zufällig entdeckt sie über eine spielerische Pausenrunde in Tolgas Team ihr Talent für Poker. Später, als sie in einem Club wütend und vergeblich von Tolga fordert, sie am väterlichen Darlehen zu beteiligen, beobachtet sie ein illegales Pokerspiel im Hinterzimmer. Vincent (Jannik Schümann), der heimliche Lover ihres Bruders, der im Club arbeitet, scheint sehr vertraut mit dem Spiel zu sein. Ayla fasst den Plan, sich das Geld über Pokerrunden buchstäblich zu erspielen - und Vincent soll sie trainieren. Denn zwar bringt Ayla ihr mathematisches Wissen über Wahrscheinlichkeiten mit, aber die beiden wichtigen Komponenten Psychologie und Beobachtung muss sie erst lernen.

Perücke statt Kopftuch

Damit bauen sich fesselnde Spannungsbögen auf, in denen es um weit mehr geht als nur um die simple Frage, ob Aylas Plan aufgeht. Denn zum einen knistert es bald zwischen Ayla und dem ebenso charismatischen wie undurchschaubaren Vincent: Sie kommen sich näher und verlieben sich. Zum anderen gerät Ayla in Konflikt mit ihren ethisch-religiösen Überzeugungen: Glücksspiel ist haram (nach islamischem Glauben verboten), Lügen, also Bluffen, ebenso. Also schafft sie sich ein zweites Ich: Aus Ayla, die am Spieltisch im Hinterzimmer vom windigen Clubeigentümer Cornel Prien (Thomas Loibl) noch abfällig als "Kopftuchmädchen" bezeichnet wurde, wird nun "Nina", eine sorgfältig gestylte und geschminkte Frau mit Perücke (die das eigene Haar bedeckt wie ein Kopftuch) und undurchdringlicher Miene, die sich in ein männlich dominiertes Haifischbecken begibt.

Die (kriminellen) Abgründe, die dunklen Seiten sind dabei immer präsent - auch Vincent ist darin verstrickt, mit 500.000 Euro steht er bei Clubchef Prien in der Kreide, mit Aylas Pokertalent hofft er, sich aus dieser Abhängigkeit befreien zu können.

Dramaturgisch und auch visuell werden diese Spannungsfelder überaus gelungen umgesetzt: Die Szenen wechseln zwischen Aylas Familie, ihren Videocalls mit der NASA, den Begegnungen mit Vincent, dem Club und den Pokerrunden und den Momenten, in denen sie allein ist. Visuell reizvoll sind schon die Kontraste zwischen den Aufnahmen ferner Galaxien, der stillen Kühle des Universums wie auch des Wassers, in dem Ayla immer wieder in die Schwerelosigkeit eintaucht, und den verrauchten, aufgeheizten Pokerrunden.

Der erzählerische Bogen hält bis in die letzten Szenen die Spannung aufrecht, wartet mit überraschenden Wendungen auf. Zudem werden filmische Mittel höchst effektiv eingesetzt: um zu erzählen, wie viel Zeit noch bleibt, um die Summe aufzutreiben, genügen kurze Einblendungen; anderes wird über Whatsapp-Nachrichten, Handy-Aufnahmen und Videocalls erzählt.

Zeitgemäße Selbstverständlichkeit

Großartig ist die Besetzung: Via Jikeli als Ayla ist jeden Zoll überzeugend in ihrer Zerrissenheit zwischen den unterschiedlichen Rollen, ihren inneren Kämpfen, den Zweifeln und den Träumen. Jannik Schümann hält bis in die letzte Folge die innere Spannung über Vincents Gefühle und Motive - beide absolvieren hier eine meisterliche Gratwanderung. Auch die weiteren Rollen sind hervorragend besetzt: Thomas Loibl als durchtriebener Clubchef, Pauline Großmann als Aylas beste und treue Freundin Britta, Lale Yavas und Özgür Karadeniz als Aylas und Tolgas Eltern.

Was darüber hinaus an "High Stakes" wirklich hervorsticht und nicht hoch genug zu schätzen ist, ist die zeitgemäße Selbstverständlichkeit im Umgang mit Dingen, die - zumindest in deutschen Großstädten - längst auch selbstverständlich sind: eine gläubige Muslima, die erfolgreich ein naturwissenschaftliches Studium absolviert, Queerness auch unter Muslimen, die Diversität sexueller Orientierungen, eine liberale türkische Familie, Aylas Springen zwischen deutscher, englischer und türkischer Sprache. All das wird hier nicht verhandelt, sondern ist schlicht als Rahmen gesetzt, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Menschen und ihre Widersprüche, Konflikte, Entwicklungen.

Auch das Ende der sechsten Folge klug gestrickt: Zwar ist eine Erzählung zunächst abgeschlossen - dennoch bliebe auch Raum und Stoff für eine Fortschreibung der Serie. Folgen würde man dieser interessanten jungen Frau bei ihren weiteren Schritten allemal.

infobox: "High Stakes", sechsteilige Drama-Serie, Regie: Marijana Verhoef, Buch: Jan Cronauer, Marianna Ölmez, Christoph Busche, Kamera: Matthias Fleischer, Produktion: Odeon Fiction (ZDF-Mediathek ab 5.9.25, ZDFneo, ab 14.9.25, jeweils sonntags 20.15-21.45 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 05.09.2025 13:14

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik (Fernsehen), KZDF, High Stakes, Steglich

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