08.09.2025 09:10
Sarah Tacke auf der Suche nach der "Wahrheit über Arbeit und Geld"
epd Die Frage "Wie viel verdienst du?" ist in Deutschland immer noch ein Tabu. In der ZDF-Reportage "Die Wahrheit über Arbeit und Geld" illustrieren Comedy-Szenen mit dem Schauspieler Martin Brambach das Thema. Brambach spielt virtuos einen gefrusteten Angestellten, der mehr Lohn will. Er hat das Gefühl, jeder andere verdient mehr als er und verkörpert die Ängste, Ressentiments und Gefühle eines verunsicherten Angehörigen der Mittelschicht: "Jeder kämpft für sich."
Die ZDF-Journalistin Sarah Tacke führt diesmal als Presenterin auf ein sensibles Terrain. Sie besucht Menschen mit sehr unterschiedlichem Einkommen und schwelgt geradezu in diametral entgegengesetzten Lebenswelten. Im Salzburger Land macht ein Team des Münchner Energiemaklers Teleson für rund 100.000 Euro einen Incentive-Ausflug ins Hochgebirge, Aprés-Ski-Stimmung inklusive. "Was verdient ihr?", fragt Tacke und erntet verlegenes Lachen in der Runde. Nur die Jüngste traut sich zu sprechen, vermutlich hat sie das niedrigste Gehalt.
Für mich ist Geld umgewandelte Energie.
Wie der Trailer zu einer Fernsehschnulze wirkt die Annäherung an die Villa der Businessfrau Ingrid Hofmann, die eine große Zeitarbeitsfirma aufgebaut hat. Sie erklärt selbstbewusst: "Für mich ist Geld die umgewandelte Energie für das, was ich bereit bin zu leisten." Sie habe aber auch seit 40 Jahren eine Sechstagewoche und Verantwortung für 16.000 Mitarbeiter.
Im Hamburger Osten begegnen wir in einer Reihenhaussiedlung Sandra und Tobias, sie Erzieherin, er Pflegedienstleiter. Zusammen verdienen sie mehr als 10.000 Euro brutto im Monat, doch für die teuren Hobbys ihrer Kinder, Reiten und Basketball, legt Tobias noch Zusatzschichten am Wochenende ein. Die 66-jährige Hannelore dagegen arbeitet in einer Wäscherei für den Mindestlohn von 12,82 Euro. Nein, sie gehöre nicht zur Unterschicht, sagt sie, der Mensch zeichne sich nicht durch Geld, sondern Wesen und Charakter aus.
Reporterin Tacke geht auch nach ganz unten und trifft auf einer Baustelle einen Rumänen, der anonym über die illegalen Gepflogenheiten der Branche auspackt. 120 Stunden offiziell abgerechnet, den Rest in bar. Auch nach 20 Jahren lebt er noch in einer verdreckten Bauarbeiterabsteige, doch er erzählt stolz, das mache er alles für seine beiden Kinder in der fernen Heimat. Tiefer recherchiert hat Tackes Gesprächspartner, der Autor Sascha Lübbe. Er sagt, ein Rumäne sei auf dem Bau auf sechs Euro Stundenlohn gekommen, ein Bulgare gar nur auf drei.
Tacke stellt zwar grundsätzliche Überlegungen zum Wert von menschlicher Arbeit und zu Umverteilungsideen an, doch bei aller Lässigkeit geht es sehr affirmativ zu. Selbst Brambach, dessen Kleinbürger nach dem erfolglosen Gehaltsgespräch ausrastet, Akten in die Luft wirft und von der Selbstständigkeit träumt, kühlt rasch runter, als er auf einem alten Röhren-PC-Monitor, liest, dass Chefs weder Arbeitslosenversicherung noch Urlaub noch Lohnfortzahlung haben, dafür aber längere Arbeitszeiten. Daraufhin räumt er alles wieder auf und verabschiedet sich wie ein serviler Diener von seinen Kollegen.
Ernüchternd ist auch der Ausflug von Sarah Tacke nach Norwegen, wo man auf einer Website des Finanzministeriums das Einkommen jedes Bürgers abfragen kann - ganz offen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Ingeborg Foldøy Solli erklärt jedoch, diese Transparenz stärke die Arbeitgeber, denn die könnten einzelne Mitarbeiter abwimmeln mit dem Argument, sonst müssten sie allen mehr zahlen. Die Durchschnittseinkommen in Norwegen seien gesunken.
Und während das Filmteam in Deutschland von den für das Gespräch angefragten Vorstandsmitgliedern reihenweise Absagen erhielt, lädt Ståle Kyllingstad, CEO des Energieanlagenherstellers IKM, Tacke zum Gespräch. Zusätzlich zu seinem Jahresgehalt von 500.000 Euro erhalte er fünf Millionen Euro Dividende, sagt er. Ihm sei egal, was seine Mitbürger darüber dächten: "I don’t care."
Angst vor dem Abstieg haben Sandra und Tobias, die in Deutschland zur oberen Mittelschicht gehören, nicht. Doch die Verunsicherung der Mitte spiele eine wichtige Rolle für das gesellschaftliche Klima, sagt der Soziologe Berthold Vogel. Angesichts steigender Preise und Sozialabgaben prognostiziert er, dass die Menschen in Deutschland künftig "weniger im Geldbeutel haben werden".
Ironie der Programmplanung: Ursprünglich hatte das ZDF "Die Wahrheit über Arbeit und Geld: Was verdient Deutschland?" schon am 17. Juni senden wollen. Stattdessen lief damals die Dokumentation "Musk gegen Trump: Machos, Macht, Milliarden".
infobox: "Die Wahrheit über Arbeit und Geld - Was verdient Deutschland?", Reportage mit Sarah Tacke, Regie und Buch: Maik Gizinski, Juliane Kussmann, Kamera: Jonny Müller-Goldenstedt, Felix Korfmann, Florian Lengert u.a., Produktion: Elbmotion Filmproduktion (ZDF, 2.9.25, 20.15-21.00 Uhr, ZDF-Mediathek bis 1.9.30)
Zuerst veröffentlicht 08.09.2025 11:10
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Dokumentation, Tacke, Gizinski, Klussmann, Dehler
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