"Es müssen alle raus aus ihren Schützengräben" - epd medien

09.09.2025 06:45

Der SPD-Politiker Alexander Schweitzer ist seit Sommer 2024 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Vorsitzender der Rundfunkkommission der Bundesländer. Direkt nach seinem Amtsantritt musste er die finalen Verhandlungen der Länder zum Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und zum Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag koordinieren. Diemut Roether und Michael Ridder sprachen mit Schweitzer über diese beiden Gesetzeswerke, über den Dauerstreit von ARD und ZDF mit den Zeitungsverlegern und über die Regulierung großer Plattformen. Der 51-jährige Jurist gehört dem Präsidium des SPD-Parteivorstands an, von 2021 bis 2024 war er Staatsminister im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz.

Ein epd-Interview mit Ministerpräsident Alexander Schweitzer

Alexander Schweitzer (Archivbild)

Herr Schweitzer, Sie haben gesagt, mit dem Reformstaatsvertrag wollen die Länder die öffentlich-rechtlichen Medien "zukunftsfest, digitaler, effizienter und interaktiver machen". Welche Rolle sollen Ihrer Meinung nach öffentlich-rechtliche Angebote in Zukunft für die kommunikativen Bedürfnisse in der Gesellschaft spielen?

Alexander Schweitzer: Eine zentrale. Ich halte sie nach wie vor für eine der wichtigen Säulen des Medienangebots und der Medienvielfalt. Ich glaube, wir können stolz darauf sein, dass wir uns diese Medienvielfalt über all die Jahrzehnte hinweg erhalten haben. Wir haben eine vitale Demokratie in Deutschland, die durch Meinungsvielfalt und Möglichkeiten sich einzubringen, geprägt ist. Dazu tragen die Öffentlich-Rechtlichen und auch die starken privaten Anbieter bei. Wir brauchen beide Welten und die müssen womöglich auch stärker kooperieren, das ist auch ein ausgesprochenes Ziel des Reformstaatsvertrags. Wir brauchen das öffentlich-rechtliche Angebot auch in Zukunft und es muss entsprechend ausgestattet sein, aber es muss sich auch Reformen unterwerfen. Reformen, die man am besten innerhalb der Anstalten selbst gestaltet.

Wir sehen im Reformstaatsvertrag viele Einsparungen. Es sollen Kanäle gestrichen werden, es soll weniger Radiowellen geben, weniger Text in den öffentlich-rechtlichen Online-Angeboten. Was ist daran modern?

Zunächst mal ist es nicht zwangsläufig modern, ganz viel parallel zu machen. Vielfalt besteht nicht darin, eine Vielzahl an ähnlichen Hörfunkwellen zu betreiben, die ähnliche Personenkreise ansprechen, ähnliche Programmfarben haben, die einmal aus historischen Gründen entstanden sind, jetzt aber einer radikal veränderten Medienwelt gerecht werden müssen. Das Thema Zusammenarbeit wird mit Blick auf eine ökonomisch sinnvolle Auftragserfüllung eine wichtige Rolle spielen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht die Akzeptanz derer, die ihn als Medienkonsumenten brauchen, aber auch finanzieren. Wir haben den Anspruch an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dass er diese Impulse aus der Politik und Gesellschaft aktiv aufnimmt, seinem Programmauftrag nachkommt, aber dabei auch manches konsolidiert. Niemand wird in Deutschland weniger Medienvielfalt erleben, wenn nicht mehr jeder alles macht, sondern Radiowellen zusammengelegt werden.

Der Öffentlich-Rechtliche muss nicht dahin gehen, wo andere die Arbeit schon machen.

Sind Sie da so sicher?

Ja. Ich sehe, dass das Angebot gleichzeitig in Bereiche ausgeweitet wird, wo Hörerinnen und Hörer sind: digitale Formate wie Podcasts. Da Medienvielfalt auch bedeutet, Zeitungsangebote zu sichern, dürfen die textlichen Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks privaten Tageszeitungen keine unzulässige Konkurrenz machen. Das heißt nicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk diese Möglichkeiten gar nicht mehr hat. Sie sind nach wie vor da. Wir haben versucht, einen Rahmen zu bauen. Es wird nichts geben, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht machen kann, aber er wird nicht alles machen können, was auch Tageszeitungen machen.

ZDF-Intendant Norbert Himmler hat gesagt, mit der Einschränkung von Textangeboten durch den Staatsvertrag würden die Möglichkeiten eingeschränkt, junge Menschen zu erreichen.

Ich halte das für falsch. Ich glaube, dass wir jetzt schon sehen, dass die digitalen Angebote ausreichend Möglichkeiten haben, junge Menschen anzusprechen. Ich glaube, dass wir im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Programmformate und starke Marken haben, die junge Menschen ansprechen können. Denken sie an das Gemeinschaftsangebot von ARD und ZDF für junge Menschen, Funk.

Im Medienstaatsvertrag taucht immer noch der Begriff Presseähnlichkeit auf. Ist der im Zeitalter digitaler Medien nicht völlig veraltet?

Regionale Tageszeitungen haben eine Aufgabe, die wir genauso stark brauchen für lokale und regionale Medienvielfalt. Wenn ich mit Kommunalpolitikern spreche, sagen die mir: Wenn Qualitätszeitungen, die von Zeitungs-Abonnements und Werbung leben, nicht mehr die Möglichkeit haben, die regionale und lokale Identität abzubilden, weil öffentlich finanzierte Medienangebote ihnen das wegnehmen, dann schränke ich die Medienvielfalt ein. Das wollen wir nicht. Der Öffentlich-Rechtliche muss nicht dahin gehen, wo andere die Arbeit schon machen. Das gilt zumindest noch für die meisten Regionen Deutschlands.

Wir werden diese Konfliktfelder nur miteinander lösen können.

Streitfälle zwischen Verlagen und öffentlich-rechtlichem Rundfunk, die es immer wieder gibt, soll eigentlich eine Schlichtungsstelle regeln. Das ist eine Sollvorschrift im Staatsvertrag, das heißt, es muss eigentlich so gemacht werden. Die Schlichtungsstelle ist aber de facto seit anderthalb Jahren nicht besetzt. Ist das im Sinne des Gesetzgebers?

Nein, sicherlich nicht, aber das heißt nicht, dass die Institution als solche überflüssig ist, sondern sie muss eben wieder entsprechend aufgebaut werden. Aber das zeigt: Wir werden diese Konfliktfelder nur miteinander lösen können.

Die Öffentlich-Rechtlichen haben nicht angekündigt, dass sie mehr Texte im Regionalen machen wollen. Wir verstehen nicht, warum Texte in den öffentlich-rechtlichen Angeboten die Regionalangebote bedrohen. Es ist ja nicht erwiesen, dass die Leute mehr Zeitungen abonnieren, wenn sie bei den Öffentlich-Rechtlichen keine Textangebote mehr lesen können.

Mir wird immer wieder berichtet, dass Text-Berichterstattung auf den Online-Plattformen der öffentlich-rechtlichen Angebote ein ganzes Stück über den Kernauftrag hinausgegangen ist. Da muss man eine Grenzziehung akzeptieren. Nochmal: Wenn wir über Medienvielfalt sprechen, dann ist diese Medienvielfalt nicht ausschließlich in den Konditionen des öffentlich- rechtlichen Bereichs zu definieren, da müssen auch andere ihre publizistischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten haben. Gerade die Privaten stehen vor der großen Herausforderung der Refinanzierung, während der öffentlich-rechtliche Rundfunk beitragsfinanziert ist. Es ist Aufgabe der Medienpolitik, den Pluralismus und die Medienvielfalt insgesamt zu sichern.

Die Medienpolitik hat ein paar Mal einen Anlauf genommen, die Medienvielfalt zu fördern und die Verlage zu unterstützen. Vor fünf Jahren hieß es, es gebe 200 Millionen Euro im Bundeshaushalt für die Zustellförderung, die vor allem den regionalen Verlagen zugutekommen sollte. Das wurde nicht umgesetzt. Wäre das nicht die bessere Art, die Verlage zu stärken, indem man ihnen Erleichterungen oder Unterstützung zukommen lässt?

Es wäre die bessere Art. Ich habe es ausdrücklich bedauert, dass wir uns in den Koalitionsverhandlungen nur auf eine Prüfung von Erleichterungen verständigen konnten. Die Frage, wer abonniert noch, wer stellt zu, wer liest noch Print oder längst digital, ist eine riesige Herausforderung für die regionalen Tageszeitungen. Wir sind in Rheinland-Pfalz sehr ländlich und wenn es dann in sehr kleinen Gemeinden nur noch wenige Tageszeitungs-Abonnenten gibt, dann ist es wirtschaftlich nicht darstellbar für einen Verlag, die Zeitungen dort hinzubringen. Die Verlage sind sehr stark im digitalen Umbau. Sie bieten ihren Leserinnen und Lesern zum Teil digitale Endgeräte an, wenn sie die gedruckte Zeitung nicht mehr zustellen können und ermöglichen so, die Zeitung zu lesen. Über die Idee der Zustellförderung ist inzwischen die Zeit hinweggegangen. Trotzdem glaube ich, sie hätte den Transformationsprozess im Medienbereich erleichtern können. Wir hätten den Verlagen in dieser Zeit mehr Luft verschaffen können.

Der Reformstaatsvertrag sieht vor, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio einen aufeinander abgestimmten öffentlichen Raum schaffen sollen, der auch offen ist für Kooperationen mit privaten Medien. Was genau stellen Sie sich da vor? Soll das eine Art öffentlich-rechtliches Youtube werden?

Es soll eine Anlaufstation für die Medienkonsumentinnen und Medienkonsumenten sein, bei der klar ist: Ich habe Zugriff auf hochwertige Inhalte und ich finde diese leicht. Dabei ist es zunächst mal aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten zweitrangig, ob das öffentlich-rechtliche Inhalte sind oder private Inhalte. Diese Inhalte müssen zentral und einfach ansteuerbar sein. Denn wenn wir eine Alternative zu den großen amerikanischen Plattformen und Streamingdiensten wie Google oder Netflix wollen, müssen sich viele zusammentun. Das ist der Wunsch der Medienpolitik.

Die Menschen lernen in ihrem Konsumverhalten von den großen amerikanischen Plattformen.

Sie stellen sich also eine Plattform vor, die auch interaktiv ist, wo es Möglichkeiten gibt zu reagieren und in den Dialog mit den Redaktionen zu treten?

Ja, natürlich. Die Menschen lernen in ihrem Konsumverhalten von den großen amerikanischen Plattformen, von den großen Streamern. Dass der deutsche Medienmarkt an der Stelle noch nicht konkurrenzfähig ist, kann keiner abstreiten. Die Herausforderung liegt darin, dass journalistisch verfasste und journalistisch und redaktionell verantwortete Inhalte im Wettbewerb stehen mit von Nutzern generierten Inhalten, die auch Fake news und Populismus enthalten können. Die US-amerikanischen und chinesischen Plattformen drücken diese in unsere Märkte hinein, übernehmen aber keine Verantwortung für den Inhalt. Das ist eine medienpolitische Realität. Unser Appell: Arbeitet zusammen, wir unterstützen das, aber ihr müsst die Plattform dafür schaffen und ihr müsst es bald machen. Die ersten Versuche gab es. Da müssen auch die Privaten fair spielen. Das ist im Sinne einer engen und vertrauensvollen Kooperation nicht so gut gestartet.

Sie spielen auf die von ARD und ZDF nicht genehmigte Einbindung von Inhalten ihrer Mediatheken bei Joyn, der Streamingplattform von ProSiebenSat.1, an. Deswegen ist derzeit ein Rechtsstreit anhängig. Aber wenn wir zum Beispiel auf die Verlage gucken, da gab es in den vergangenen Jahren viele Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender zu kooperieren. Es gab eine Stelle beim NDR, die Nachrichtenvideos koordiniert hat, die die Verlage hätten übernehmen können. Wenn man nachfragt, hört man, die Verleger interessieren sich gar nicht dafür, sie winken eher ab. Im Zweifel gehen sie lieber nach Brüssel und reichen eine Beihilfe-Beschwerde ein. Ist das ein erfolgversprechender Weg? Müssten sich die Verleger nicht auch ein bisschen bewegen?

Am Ende müssen sich alle aufeinander zubewegen, es müssen alle raus aus ihren Schützengräben. Wenn man sich anschaut, wie die wirtschaftliche Entwicklung bei einigen Privaten ist, kann niemand sagen, dass man noch viel Zeit hat. Deutschland ist einer der stärksten Medienstandorte in Europa, hier muss das Angebot möglichst bald möglichst stark sein, damit Europa im Medien- und Informationsmarkt wahrnehmbar bleibt. Dieses kooperative Angebot muss schnell aufgebaut werden, damit Medienkonsumentinnen und -konsumenten in Deutschland sagen: Bei uns gibt es etwas, das spricht mich an, das prägt mein Mediennutzungsverhalten. Das ist keine technische Frage, das ist eine Frage der Bereitschaft und der Intensität, das in real Erlebbares umzusetzen.

Der ARD-Vorsitzende Florian Hager hat uns gesagt, dass er die ARD genau für das, was Sie skizziert haben, fit machen möchte. Er hat aber auch gesagt, es hätte ihm geholfen, wenn das Modell einer ARD-Geschäftsführung, das ursprünglich mal im Medienstaatsvertrag vorgesehen war, umgesetzt worden wäre. Warum war das so schnell vom Tisch?

Er hat mir das auch vorgetragen. Aber offen gesagt: Nichts von dem, was im Reformstaatsvertrag festgelegt ist, hängt an dieser rein strukturellen Frage. Die öffentlich-rechtlichen Sender und auch die ARD können das auch jetzt umsetzen.

Sie meinen, die ARD hätte auch selbst eine Geschäftsführung einführen können?

Das ist in erster Linie eine Frage der Binnenorganisation. Man kann diesen Punkt jedenfalls nicht als Grund dafür anführen, den Reformstaatsvertrag nicht in seinen Inhalten und seinem Geist umzusetzen.

Ich vermute, dass Karlsruhe uns in der Politik die Aufgabe nicht komplett abnehmen wird.

Ein anderes Thema aus dem Reform-Komplex: Sie hatten sich als Länder im Dezember eigentlich auf ein neues Modell für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geeinigt.

Weitestgehend zumindest.

Weitestgehend. Aber drei Ministerpräsidenten haben den Vertrag immer noch nicht unterschrieben. Damit hat sich das Zeitfenster geschlossen, um diesen Vertrag rechtzeitig ratifizieren zu lassen. Jetzt stehen sie wieder wie am Anfang da, müssen ein neues Modell überlegen, Warum hat es nicht funktioniert?

Dafür gibt es sicherlich unterschiedliche Gründe. Noch während die Rundfunkkommission der Länder an Lösungen und Mehrheiten gearbeitet hat, haben die ARD und ZDF Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Das hat die Kompromissbereitschaft einiger Länder am Ende nicht erhöht. Hinzu kommen die veränderte Mediennutzung, die polarisierenden Debatten, insbesondere auch über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und komplizierte Mehrheitsverhältnisse in einigen Landtagen.

Man hat den Eindruck: Alle Beteiligten warten aktuell auf das Bundesverfassungsgericht.

Ich kann nicht sagen, wann das kommt und wir mit Hinweisen aus Karlsruhe rechnen können. Ich vermute, dass Karlsruhe uns in der Politik die Aufgabe nicht komplett abnehmen wird. Das heißt: Wir werden Hinweise bekommen, und mit den Hinweisen werden wir umgehen. Meine Position bleibt die, die ich schon von Anfang an eingebracht habe: Auch ein reformierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk braucht eine sichere, regelbasierte Finanzierungsgrundlage. Und dann brauchen wir Mechanismen, die bei Anpassungen nicht immer in ein hochpolitisiertes Verfahren führen. Hinzu kommt: Nach meinem Eindruck hat die Aufmerksamkeit, die wir alle hoffentlich haben für die enormen Herausforderungen durch eine internationale digitale Medienkonzentration, eher noch zugenommen. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukunftssicher zu machen und zu schützen als wichtige Säule der Medienvielfalt, ist also noch dringlicher geworden.

Sehen das alle Ministerpräsidenten so?

Das kann ich nur hoffen.

Wird der Spruch aus Karlsruhe für Befriedung sorgen können?

Nein, das wird er nicht. Das habe ich übrigens auch den Intendantinnen und Intendanten gesagt.

Wir sind aus guten Gründen mit Blick auf die deutsche Geschichte eben kein zentraler Staat.

Aber es gab ja im letzten Urteil aus Karlsruhe auch schon Hinweise, wie man damit umgehen könnte. Es gab die Idee, man könnte das Ganze per Verordnung regeln. Das war aber offenbar im Länderkreis nicht durchsetzbar.

Das war im Länderkreis nicht durchsetzbar, weil die Verordnung leichter angreifbar ist und weil es auch Länder gibt, die - übrigens aus nicht ehrenrührigen Gründen - gesagt haben: Das sind wichtige Entscheidungen, die wir in der Regierung und dann auch in den Parlamenten behandeln wollen. Der Weg, den wir dann aufgezeigt haben, hätte so ein bisschen das Beste aus beiden Welten miteinander vereinbart. Darum halte ich ihn auch nach wie vor für inhaltlich richtig. Ich kann nur sagen: Wenn Karlsruhe uns Hinweise gibt, ist es schlichtweg unsere Aufgabe, damit umzugehen. Und die Politisierung der Medienwelt mit Blick auf US-Plattformen und die Verknüpfung der wirtschaftlichen Interessen dieser Plattformen mit der aktuellen Außen- und Verteidigungspolitik der amerikanischen Administration machen es umso dringlicher, dass wir unser System aufstellen und zukunftssicher machen.

Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, dass die Medienpolitik sehr stark unter Druck steht. Und Sie haben in der Medienpolitik ja nach wie vor das föderale System. 16 Länder müssen sich einigen. Ist das auf die Dauer so zu halten?

Es ist absolut wichtig, dass wir es behalten. Wir sind ja aus guten Gründen mit Blick auf die deutsche Geschichte eben kein zentraler Staat, der von einer starken politischen und wirtschaftlichen Hauptstadt aus geführt wird, sondern ein Bundesstaat geworden, denn wir haben unterschiedliche kulturelle und geschichtliche Erfahrungen in Deutschland. Diese Vielfalt ist noch größer geworden nach der deutschen Einheit. Insofern gibt es programmatisch nach wie vor eine gute Begründung dafür, dass diese Vielfalt der politischen Landschaft sich auch in der Medienpolitik widerspiegelt. Das kann durchaus herausfordernd sein, wenn man etwa auf die aktuelle Situation in den Landtagen schaut. Und nichtsdestotrotz steht diese Vielfalt für Meinungsvielfalt und schützt damit die Demokratie.

Noch einmal zum neuen Finanzierungsmodell, das geplant war. Die aktuell nicht erfolgte Beitragserhöhung wäre auch in diesem System gescheitert, im Grunde schon am Einspruch von Bayern und Sachsen. Zwei Länder hätten genügt. Was hätte das neue Modell also gebracht?

Wenn die Anstalten nicht geklagt hätten, weiß ich nicht, ob die beiden Länder Widerspruch eingelegt hätten. Jedenfalls hätten wir mit dem Modell zumindest den politischen Kompromiss bekommen, und auf der Grundlage hätten wir weiterarbeiten können. Es wären nicht alle Fragen schon geklärt gewesen, das war mir völlig klar. Ich habe immer gewusst, dass nach dieser Frage die nächste schon auf uns wartet. Aber wir wären ein Stück vorangekommen. Nach wie vor halte ich es für wichtig, dass wir in ein anderes Finanzierungssystem kommen.

Es ist völlig klar, dass wir auf allen Ebenen zusammenarbeiten müssen, um bei der Plattformregulierung voranzukommen.

Sie haben die großen amerikanischen Digitalkonzerne angesprochen, die ja auch große Teile der Meinungsbildung hier in Deutschland beherrschen, inzwischen bei vielen Nutzern. Was halten Sie von den Plänen von Kulturstaatsminister Weimar, eine Digitalabgabe für Plattformen einzuführen?

Ich weiß gar nicht, ob das Pläne der Bundesregierung sind. Als Ministerpräsident, der für Medienpolitik zuständig ist, wüsste ich schon ganz gerne: Ist das eine Idee des Kulturstaatsministers oder sind es Pläne der Bundesregierung? Ich sage das nicht ohne Grund.

Okay. Aber jetzt mal jetzt medienpolitisch gedacht. Halten Sie das für sinnvoll? Als Medienpolitiker?

Es ist völlig klar, dass wir auf allen Ebenen zusammenarbeiten müssen, wir Länder mit dem Bund und mit der EU-Kommission, um bei der Plattformregulierung voranzukommen. Die Kommission darf die Erwartungen nicht enttäuschen, indem sie schon beim ersten Konflikt einknickt. Die Diskussion über Zölle wird seitens der amerikanischen Administration ziemlich unverblümt mit der Frage der Regulierung von Plattformen verknüpft. Die EU-Kommission muss unsere Demokratie schützen, indem sie deutlich macht: Wir lassen uns das Recht nicht nehmen, Plattformen, die bei uns agieren, zu regulieren. Das ist der wichtigste Punkt.

Sie sprechen jetzt über den Digital Services Act und den Digital Markets Act und die Verfahren, die auf dieser Grundlage eingeleitet wurden?

Ja, die beiden Gesetzte werden massiv angegriffen. Das Thema Plattform-Regulierung wird mit Begriffen wie "Verletzung von Meinungsfreiheit" oder "Zensur" geframed. Für mich ist das, ohne Übertreibung, eine Existenzfrage der freiheitlichen, liberalen Demokratie in Europa.

Ein generelles Verbot ist am Ende nicht immer das wirkungsvollste Instrument.

Zum Thema Plattformen gibt es eine andere größere Diskussion, nämlich die Debatte um ein Verbot von Social Media für unter 16-jährige. Da haben sich viele geäußert, unter anderem auch Ministerpräsidenten, die das befürworten. Ist das für Sie sinnvoll, und ist das überhaupt rechtlich machbar?

Ich habe selber Kinder, und wir haben versucht, sozusagen unsere eigene Medienregulierung zu Hause zu betreiben, mit mehr oder weniger großem Erfolg. Aber ich weiß als Politiker und Vater und auch im Gespräch mit vielen anderen Eltern, dass es klare Regeln braucht und dass es starke Medienkompetenz braucht. Deswegen haben wir gerade im Ministerrat unsere ressortübergreifende Medienkompetenzstrategie auf den Weg gebracht und einen Ordnungsrahmen für Handynutzung an Schulen gesetzt. Ein generelles Verbot ist am Ende nicht immer das wirkungsvollste Instrument.

Plattformregulierung, Medienkompetenzbildung und verbindliche Regeln, wie in Schulen private Handys genutzt werden dürfen und wann nicht, das sind für mich die Aufgaben der Politik. In Rheinland-Pfalz haben wir Programme, die bereits sehr junge Menschen dabei zu unterstützen, kompetente Medienkonsumentinnen und -konsumenten zu sein und damit selbstbestimmte und verantwortungsvolle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu werden. Ich habe da mehr Vertrauen in junge Menschen und Kinder als manche andere. Zudem haben wir mit dem neuen Jugendmedienstaatsvertrag, der am 1. Dezember in Kraft tritt, eine Altersangabe über die Betriebssysteme eingeführt.

In welchem Alter setzt man in Rheinland-Pfalz die Medienkompetenzförderung an?

In der frühkindlichen Bildung und in der Grundschule. Das Programm "Medienkompetenz macht Schule" gibt es schon seit vielen Jahren, und es sind immer wieder auch neue Schwerpunkte, die hinzugefügt werden können. Medienkompetenz ist übrigens auch bei vielen älteren Menschen ein Thema. Deswegen haben wir mittlerweile über 700 "Digital-Botschafterinnen und -Botschafter" in Rheinland-Pfalz. Das boomt total. Das ist so eine richtige Volksbewegung geworden von älteren Menschen, die in ihrer Peergroup anderen Menschen dabei helfen, sich sicher im Internet zu bewegen.

Der Ansatz ist: Die Dinge sind da, sie prägen unser Leben, und wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit sie zum Wohle von uns allen und der Demokratie genutzt werden. Ein pauschales Verbot von Social Media für eine bestimmte Altersgruppe reduziert auch digitale Teilhabe und wird der Komplexität nicht gerecht. Unser Ziel sollte es sein, dass auch diese Angebote altersgerecht und sicher genutzt werden können. Inhalte, die definitiv nicht für junge Menschen gedacht und geeignet sind, dürfen für sie nicht zugänglich sein. Deshalb haben wir ja die Altersangabe über die Betriebssysteme eingeführt. Die EU-Kommission will ähnlich vorgehen und eine App anbieten. Ob Betriebssystem oder App, es geht daher weniger darum, jungen Menschen Social-Media einfach wegzunehmen, sondern darum, eine altersgerechte Nutzung zu sichern. Medienkompetenz und Jugendmedienschutz müssen Hand in Hand gehen.

Die Zusammensetzung der ZDF-Gremien wurde in den letzten Jahren angepasst, auch mit Blick auf die Staatsferne.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz ist ja traditionell auch im ZDF Verwaltungsrat. Wird das irgendwann bei Ihnen auch so sein?

Ich möchte diese Aufgabe gerne übernehmen. Aber ich habe mich sehr darüber gefreut, dass meine Vorgängerin Malu Dreyer diese Arbeit zunächst fortsetzt.

Und werden Sie dann auch den Vorsitz übernehmen?

Das strebe ich an, ja.

Wäre es nicht im Sinne der Staatsferne ein gutes Signal zu sagen, den Vorsitz sollte jemand übernehmen, der nicht Regierungschef ist?

Nein. Die Zusammensetzung der ZDF-Gremien wurde in den letzten Jahren angepasst, auch mit Blick auf die Staatsferne. Dafür hat sich übrigens der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz als Vorsitzender der Rundfunkkommission stark gemacht.

dir/rid



Zuerst veröffentlicht 09.09.2025 08:45

Schlagworte: Medien, Schweitzer, Medienpolitik

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