Die Frau am Meer - epd medien

10.09.2025 08:03

Nachdem ihre Mutter an einer Überdosis gestorben ist, fährt die junge Ida nach Rügen, ohne Ziel und Plan. Beim Schwimmen in Sturm und Regen stellt sie sich ihrer Vergangenheit. Im HR-Hörspiel "Windstärke 17" nach Caroline Wahls zweitem Roman gibt es zwar wenige Überraschungen, aber lauter sympathische Figuren, meint Cosima Lutz.

HR-Hörspiel "Windstärke 17"

Maximilian Mundt spricht die Hauptrolle des Leif im Hörspiel "Windstärke 17"

epd Eine junge Frau zu sein - das war wahrscheinlich noch in keiner Ära der pure Spaß. Als literarische Heldin ist sie entweder unterdrückt und rettungsbedürftig, oder sie geht unangepasst ihren Weg und wird dafür wahlweise belohnt oder bestraft. Das Tröstliche und extrem Mehrheitsfähige an den Protagonistinnen der Erfolgsautorin Caroline Wahl liegt in deren Sowohl-als-Auch: Selbst eine leicht weirde Bitch mit latenten Zwangsstörungen, die durchaus irgendwie ohne Kerl auskäme, darf sich von einem attraktiven jungen Mann retten lassen (und ihn retten). Caroline-Wahl-Heldinnen können beides, Prinzessin sein und Erbse.

Das unaufgeregt Normale zeichnete schon die Schwestern Ida und Tilda in Wahls soeben verfilmtem Romandebüt "22 Bahnen" aus: Tilda, die ältere, studiert Mathematik, weil es "Ordnung schafft". Im Schwimmbad zieht sie immer genau 22 Bahnen, um Abstand zu gewinnen zum chaotischen Zuhause mit der alkoholkranken Mutter. Um Ida, die Jüngere, geht es in Wahls ebenso erfolgreichem Nachfolgeroman "Windstärke 17": Da setzt sich Ida einfach in den Zug und steigt erst auf Rügen wieder aus, ziel- und ratlos und nur mit einem Köfferchen in der Hand. Die ältere Schwester ist weit weg, die Mutter vor zwei Monaten an einer Überdosis Tabletten gestorben. Aber hier ist das Meer.

Innere und äußere Wellen

Ida schwimmt sofort gegen die inneren und äußeren Wellen an, am liebsten bei Regen und Sturm. Mit der leicht quäkigen Stimme von Hanna Hilsdorf gibt sie dann mehrheitsfähige Weisheiten von sich wie: "Ich mag junge Menschen ja eigentlich nicht, die sind mir zu optimistisch" oder: "Manchmal ist Schreien das einzige, das wirklich hilft". Im Kneipenwirt Knut und dessen Frau Marianne findet sie, die entgegen ihrer zur Schau gestellten Bockigkeit stets gut ankommt, schnell Ersatzeltern auf Zeit. Und der schöne Prinz lässt auch nicht lange auf sich warten: Leif, ebenfalls mit seelischem Gepäck unterwegs, aber international als DJ gefragt und also angemessen cool, wird ihr Retter.

Regisseur Léon Haase bleibt in seiner Hörspiel-Bearbeitung nah an der Romanvorlage und reichert diese akustisch liebevoll mit Atmosphäre an. Eine Coming-of-Age-Story, die sich zwischen zeitlosem Meeresrauschen und dem charmant verstaubten Kneipen-Pop der 80er- und 90er-Jahre wohlig wegknuspern lässt wie Omas Plätzchen an einem verregneten Herbstnachmittag. Die kleine Bar, der raue Strand und das behaglich altmodische Wohnzimmer mit seinem leise knarzenden Schaukelstuhl bilden einen Kosmos, den Wahl mit wenigen Pinselstrichen zu zeichnen versteht. Dramatische Zustände bleiben stets mild abgepolstert durch die jugendliche Gewissheit eines Happy Ends. Oder wie Ida sagen würde: wie in einem "schlechten Highschool-Liebesfilm".

Weltflucht und Identifikation

Solche kleinen Selbstdistanzierungen streut die Autorin immer wieder ein, als würde sie den Leserinnen komplizenhaft ironisch zuzwinkern: etwas kitschig, ich weiß, aber ist es nicht manchmal wirklich so? Caroline Wahl wurde vorgehalten, sie als wohlsituiertes Akademikerkind würde ja gar nicht wissen, wie es wirklich sei, in sozial prekären Verhältnissen aufzuwachsen. Dass soeben ihr dritter Roman "Die Assistentin" erschien, in dem es um einen übergriffigen Chef in der Verlagsbranche geht, wirkt wie eine lässige Erwiderung auf solche Kritik: Denn Ähnliches hat Wahl nach eigener Aussage tatsächlich erlebt.

Im Hörspiel "Windstärke 17" jedenfalls schafft das Ensemble um Ida - Hanna Hilsdorf, Maximilian Mundt, Regine Vergeen und Christian Redl - durchweg sympathische und glaubhafte Charaktere, die mit üblichen Vorlieben und weit verbreiteten Schicksalsschlägen aufwarten, von der posttraumatische Panik auslösenden Krebsdiagnose Mariannes bis zum zuverlässig tröstlichen Vanillearoma, das Ida so liebt. "Windstärke 17", Buch wie Hörspiel, wollen nichts Exravagantes und lassen gerade dadurch Raum für beides: Weltflucht und Identifikation. Denn letztlich geht es in Idas Krise bei aller fragilen Schnodderigkeit um die Gewöhnung ans Älterwerden und damit an die Erkenntnis: "Alle Menschen, die ich liebe, sterben".

infobox: "Windstärke 17", Hörspiel nach dem gleichnamigen Roman von Caroline Wahl, Bearbeitung und Regie: Léon Haase (HR2-Kultur, 7.9.25, 14.00-15.40 Uhr, ARD-Audiothek seit 1.9.25)



Zuerst veröffentlicht 10.09.2025 10:03

Cosima Lutz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KHR, Hörspiel, Lutz

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